Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft (VuE) nach § 7 Abs. 3a SGB II

Begonnen von Ottokar, 15. November 2008, 13:08:01

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Ottokar

Nach § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II gehört: "eine Person, die mit einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen," mit zu dessen Bedarfsgemeinschaft.
Welche Voraussetzungen dafür vorliegen müssen, damit der Leistungsträger eine sog. Verantwortungs- und Einstehgemeinschaft vermuten darf, hat der Gesetzgeber in § 7 Abs. 3a SGB II festgelegt:
Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner
1. länger als ein Jahr zusammenleben,
oder
2. mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
oder
3. Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
oder
4. befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.


Bei diesen Festlegungen, von denen bereits eine genügt, damit eine Verantwortungs- und Einstehgemeinschaft entsteht, handelt es sich auch nicht um eine Kann-Bestimmung oder Ermessensfrage des jeweiligen Leistungsträgers oder Sachbearbeiters.
Das wird sowohl durch die eindeutige Formulierung des § 7 Abs. 3a SGB II als auch durch die fehlende Ermächtigungsgrundlage in § 13 SGB II deutlich.
Jedoch ignorieren viele Leistungsträger die in § 7 Abs. 3a SGB II vom Gesetzgeber festgelegen eindeutigen Kriterien, die besagen, wann ein Leistungsträger von einer solchen Verantwortungs- und Einstehgemeinschaft ausgehen darf.

Mit der Festlegung dieser Kriterien wollte der Gesetzgeber es Nicht-ALG II Beziehern ermöglichen, dass diese auch eine Partnerschaft mit ALG II-Beziehern ohne rechtliche Unterhaltsverpflichtungen eingehen können, also ohne sich gleich fest binden zu müssen.
Hintergrund ist u.a. die sog. Prüfungszeit, in der Partner beim Zusammenleben prüfen, ob und wieweit sie zusammen passen und ob sie gewillt sind, den jeweils anderen im alltäglichen Leben zu unterstützen. Dies geht ohne eine solche Prüfungszeit nicht.
Wenn mögliche Partner von ALG II Beziehern dazu verpflichtet wären bzw. würden, sofort für ihren Partner finanziell zu sorgen, würde das eine Partnerschaft zwischen Nicht-ALG II Beziehern und ALG II Beziehern vollkommen unmöglich machen und beide in unzulässiger und verfassungswidriger Weise diskriminieren.
Um genau das zu verhindern, hat der Gesetzgeber die klaren Voraussetzungen in § 7 Abs. 3a Nr. 1 bis 4 SGB II geschaffen. Aus Gründen des Gleichberechtigungsgrundsatzes gilt das natürlich auch für zwei Personen die beide ALG II beziehen.

So lange keine der dort genannten Voraussetzungen für das Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstehgemeinschaft zutreffen, bilden die betroffenen Personen lediglich eine Wohngemeinschaft, es besteht keinerlei rechtliche Grundlage, die es dem Leistungsträger ermöglicht, von einem ALG II Bezieher  die Vorlage von Nachweisen über Einkommen und Vermögen dessen Partners zu fordern, darf Einkommen eben nicht nach der Bedarfsanteilsmethode auf andere verteilt werden und besteht ein Anspruch auf 100% des Regelsatzes.

Viele Leistungsträger machen nun Hausbesuche, um das angebliche Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstehgemeinschaft nachzuweisen. Was sie vorfinden, sind Paare, die selbstverständlich wie eine Bedarfsgemeinschaft zusammenleben, jedoch ohne dabei die rechtlichen Voraussetzungen einer solchen zu erfüllen.
Hausbesuche sind also ein vollkommen unzulängliches Mittel, um das Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstehgemeinschaft nachzuweisen. Eben deshalb gibt es ja die klaren Voraussetzungen in § 7 Abs. 3a SGB II und hat die Bundesagentur für Arbeit die Anlage VE (Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft) als Prüfungsgrundlage entwickelt.

Das Partner während dieser vom Gesetzgeber eingeräumten Kennenlernfrist so zusammenleben, wie es gesunden, einander zugetanen Personen eigen ist, scheint vielen Leistungsträgern - und auch dessen Außendienst - vollkommen fremd zu sein. Wie sonst ist zu erklären, dass Leistungsträger allein Aufgrund der Nähe des Zusammenlebens der so kontrollierten Personen auf eine Verantwortungs- und Einstehgemeinschaft schließen.
Diese Nähe des Zusammenlebens begründet jedoch keine der in § 7 Abs. 3a SGB II festgelegten Voraussetzungen des Bestehens einer Verantwortungs- und Einstehgemeinschaft, wie Leistungsträger gern  behauptet, sondern ist vielmehr vollkommen üblich und eben Ausdruck eines Kennenlernens und gegenseitigen Prüfens.

Leider ist es üblich, dass Leistungsträger oft ihrer Pflicht zur Begründung einer Datenerhebung nach § 67a Abs. 3 SGB X und der damit verbundenen Aufklärungspflicht nach § 13 SGB I vorsätzlich nicht nachgekommen und unbegründet, oder sogar unter falschen Begründungen oder Drohungen wie: "Ohne diese Unterlagen erhalten sie kein Geld/wird ihr Antrag nicht bearbeitet!", vom ALG II Bezieher Unterlagen über Einkommen und Vermögen dessen Partners, oder auch direkt von diesem, verlangen.
Das der Leistungsträger dies nur macht, um eine Verantwortungs- und Einstehgemeinschaft zu unterstellen und Einkommen und Vermögen des Partners auf den Bedarf des ALG II Beziehers anzurechnen, auch wenn die in § 7 Abs. 3a SGB II genannten Voraussetzungen tatsächlich nicht zutreffen, wird von Betroffenen oft nicht vermutet oder erkannt. Gerade deshalb, weil der Leistungsträger hierbei rechtswidrig und in betrügerischer Absicht handelt.

Wenn Betroffene dann endlich die Informationen erhalten haben, die ihnen der Sachbearbeiter rechtswidrig vorenthalten hat, und dann dieser Unterstellung widersprechen, behaupten ganz freche Sachbearbeiter dann sogar: "Aber sie haben uns doch ihre Unterlagen freiwillig gegeben. Damit beweisen sie ja, dass sie eine BG sind!" und versuchen so, sich von ihrer Schuld rein zu waschen. Eine ungeheure Frechheit!


Gegen die ungerechtfertigte Unterstellung einer Verantwortungs- und Einstehgemeinschaft sollte man energisch vorgehen und auch keine Klage scheuen.

Selbst die Bundesagentur für Arbeit stellt in ihrem "Leitfaden Aussendienst" fest, dass ein Hausbesuch nicht geeignet ist, dass Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft festzustellen oder zu widerlegen und verweist stattdessen auf die Anwendung der Anlage VE.


1 Jahr zusammen aber doch keine Verantwortungs- und Einstehgemeinschaft nach § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II?
Auch nach einem Jahr kann es sein, dass keine Verantwortungs- und Einstehgemeinschaft nach § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II vorliegt, wenn beide weiterhin keine Wirtschaftsgemeinschaft bilden (vgl. BSG-Urteil vom 23.08.2012, Az. B 4 AS 34/12 R) und sich weigern, den jeweils anderen wirtschaftlich zu unterstützen.
D.h. konkret, dass neben der Wohn- auch eine Wirtschaftsgemeinschaft bestehen muss. § 7 Abs. 3a SGB II ersetzt die Feststellung einer VuE nach § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II nicht, sondern beinhaltet lediglich eine Beweislastumkehr, wann der Leistungsträger eine VuE vermuten kann und der Leistungsempfänger sie widerlegen muss.
Wenn also getrennt gewirtschaftet wird, jeder sein eigenes Geld und Konto hat und keine Absicht besteht, daran etwas zu ändern, liegt keine Verantwortungs- und Einstehgemeinschaft nach § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II vor. Das muss von beiden so schr. gegenüber dem Leistungsträger erklärt und durch Beweise glaubhaft gemacht werden.
Dabei hilft z.B. eine strikte Kostentrennung mithilfe einer Kostenbeteiligungsvereinbarung, die man dem Leistungsträger als Beweis für das Nichtvorliegen wirtschaftlichen Unterstützung vorlegen kann.


Rechtsprechungsübersicht

Bundesverfassungsgericht
- Urteil vom 17.11.1992, 1 BvL 8/87
Mit dem Begriff "eheähnliche Gemeinschaft" in § 137 Abs. 2 AFG ist bei verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift eine Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau gemeint, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt, und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen.
Gemeinschaften zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern oder Verwandten fallen nicht unter diesen Begriff.

Bundessozialgericht
- Urteil vom 23.08.2012, B 4 AS 34/12 R
- Urteil vom 29.04.1998, B 7 AL 56/97 R
- Urteil vom 17.10.2002, B 7 AL 96/00 R
Eheähnlich ist die Verbindung zweier Partner unterschiedlichen Geschlechts, wenn sie auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen.

Bundesverwaltungsgericht
- Urteil vom 17.05.1995, 5 C 16.93
Eine eheähnliche Gemeinschaft i.S.d. § 122 Satz 1 BSHG liegt nur dann vor, wenn sie als auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau über eine reine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht und sich - im Sinne einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft - durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner für einander begründen.

Bundesgerichtshof
- Urteil vom 13.01.1993, VIII ARZ 6/92
Eine eheähnliche Gemeinschaft setzt eine Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau voraus, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt, und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen. Gleichgeschlechtliche und ihrer Art nur vorübergehend angelegte Partnerschaften scheiden damit von vornherein aus.




Zusammenziehen

Wenn der Mieter den Ehepartner, den Lebenspartner oder sonstige Familienangehörige zum Zweck einer gemeinschaftlichen Haushaltsführung in die Wohnung aufnimmt, ist eine vorherige Erlaubnis des Vermieters überflüssig, sofern dadurch keine Überbelegung der Wohnung eintritt. Der Mieter muss dies dem Vermieter lediglich nachweislich mitteilen.
Bereits hier wird das Dilemma deutlich: "Aufnahme zum Zweck einer gemeinschaftlichen Haushaltsführung", diese zivilrechtliche Voraussetzung für die Aufnahme eines Partners in die eigene Wohnung kollidiert mit § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II, denn eine "gemeinschaftliche Haushaltsführung" ist bereits ein Indiz für eine VuE/BG, wobei dies allein nicht ausreicht. Hier kann man zwar mit einer Kostenbeteiligungsvereinbarung gegensteuern, wird sich aber trotzdem stetig mit dem JC auseinander setzten müssen.

Rechtlich ungeklärt ist hingegen, ob mit einem Untermietvertrag tatsächlich ein Teil der Wohnung zum alleinigen Gebrauch an den Untermieter vermietet werden muss, denn eine derartige Voraussetzung kennt das BGB nicht (vgl. § 540 BGB).
Vielmehr ist in der Rechtsprechung allgemein anerkannt, dass mit einem Untermietvertrag auch eine gemeinsame Nutzung der gesammten Wohnung geregelt werden kann. Rechtlich gesehen spricht also nichts gegen einen solchen Untermietvertrag.

Um der Unterstützungsvermutung des § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II zu entgehen, bieten sich also drei Lösungen an (Reihenfolge gewichtet):
1. Untermietvertrag (der Vermieter muss dem nachweislich zustimmen),
2. der hinzuziehende Partner tritt mit in den Hauptmietvertrag ein und schließt mit dem anderen Partner/Mieter eine Kostenbeteiligungsvereinbarung (wenn der Vermieter mitspielt, beide Mieter haften jeweils voll),
3. der hinzuziehende Partner schließt mit dem anderen Partner/Mieter eine Kostenbeteiligungsvereinbarung.
Die Lösung 1 bietet erkennbar die beste Abgrenzung zur Unterstützungsvermutung, gefolgt von Lösung 2.
Lösung 3 ist die unsicherste und bietet sich nur dann an, wenn es nicht anders geht, oder ohnehin die Absicht besteht, nach einem Jahr Zusammenleben eine VuE/BG zu werden.
Allerdings sollte man sich darüber im Klaren sein, dass auch die Lösungen 1 und 2 keinen 100%igen Schutz davor bieten, dass das JC eine VuE/BG unterstellt.
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