Neues Urteil des Verfassungsgerichts auch für Jugendämter zuständig?

Begonnen von membo, 10. Januar 2022, 20:05:20

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Yavanna

Auch wenn die Schreiben, auf die sich der VA bezieht, wirklich nicht angekommen sind...
Spätestens gegen den Bescheid  per PZU hätte Widerspruch eingelegt werden können.

Heinz-Otto

Und vom JA den Nachweis der Zustellung fordern.
Es gilt zwar die Zustellfiktion. Die Behörden führen idR ein Postausgangsbuch.
Falsch datierte Schreiben sind leider keine Seltenheit. Da geht es dann um dadurch verkürzte Fristen.
Ämter müssen aber trotzdem den Zugang nachweisen, wenn die Zustellung ernsthaft anzweifelbar ist.
Es verschwindet immer mal wieder Post.
Sollten die Briefe wirklich nicht angekommen sein, sollte man gute Gründe angeben können.
Immerhin waren es gleicht 2 Briefe zum selben Sachverhalt die nicht ankamen. Das scheint sehr ungewöhnlich und weniger glaubhaft.

https://rechtsanwalt-und-sozialrecht.de/bekanntgabe-verwaltungsakt/
Urteil BSG des vom 26. Juli 2007, B 13 R 4/06 R, Rdnrn. 19 f
Zitat19] Auch wenn nach der Lebenserfahrung die weitaus größte Anzahl der abgesandten Briefe beim Empfänger ankommt, ist damit lediglich eine mehr oder minder hohe Wahrscheinlichkeit für den Zugang einer Briefsendung gegeben. Der Anscheinsbeweis ist aber nicht schon dann geführt, wenn zwei verschiedene Möglichkeiten eines Geschehensablaufs in Betracht zu ziehen sind, von denen die eine wahrscheinlicher ist als die andere (BGH vom 27.5.1957, BGHZ 24, 308, 312). Denn die volle Überzeugung des Gerichts vom Zugang lässt sich auf eine – wenn auch große – Wahrscheinlichkeit nicht gründen (BFH vom 14.3.1989, BFHE 156, 66, 71).

[20] Diese Regeln gelten unabhängig davon, ob das übersandte Schriftstück einen Verwaltungsakt enthält und somit die Bestimmung des § 37 Abs 2 SGB X (oder eine der Parallelvorschriften des § 41 Abs 2 Verwaltungsverfahrensgesetz bzw § 122 Abs 2 Abgabenordnung) unmittelbar anwendbar ist. Hiernach gilt die Fiktion, ein schriftlicher Verwaltungsakt sei am dritten Tage nach der Abgabe zur Post bekannt gegeben, nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang und seinen Zeitpunkt nachzuweisen. In diesem Sinne aber bestehen schon dann ,,Zweifel", wenn der Adressat den Zugang – schlicht – bestreitet (BFH vom 14.3.1989, BFHE 156, 66, 71) . Im Ergebnis nichts anderes gilt jedoch in anderen Rechtsbereichen; auch im Zivilrecht zB hat der Erklärende (bzw jener, der sich hierauf beruft) den Zugang einer Erklärung zu beweisen (so zB zur Mängelanzeige nach § 377 Handelsgesetzbuch: BGH vom 13.5.1987, BGHZ 101, 49, 55; dort auch dazu, dass eine Mängel"anzeige" empfangsbedürftig ist).

Jan Mustermann

Ich habe jetzt nicht alles gelesen, aber er sollte überprüfen ob die Rechtsmittelbelehrung hinsichtlich der Einlegung des Widerspruchs auf elektronischen Wege dort korrekt ist.

Maunzi

Zitat von: membo am 10. Januar 2022, 22:44:15
Interessante Stelle:
Da lt. Begründung des BVerfG Sanktionen von mehr als 30% des Regelsatzes generell verfassungswidrig sind, gilt diese Grenze in teleologischer Auslegung auch für Sanktionen wegen Meldeversäumnissen - und natürlich für Sanktionen gegen unter 25jährige.

Du liest da was ganz falsch, bzw markierst es schlicht falsch: Sanktionen* von mehr als 30% des Regelsatzes...

Die Leistungen vom Jugendamt sind sicherlich kein Regelsatz! Ich nehme an es handelt sich - wenn schon von Vorschuss die Rede ist - um Unterhaltsvorschuss?

*Sanktion und Leistungsentzug wegen fehlender Mitwirkung sind zwei verschiedene Paar Schuhe:

Wenn du beim JC zwei Termine versäumt hast und dann deine x% Sanktion hast über 3 Monate, dann kannst du dank dem Urteil die Mitwirkung nachholen und ab dem Zeitpunkt wird die Sanktion aufgehoben, jedoch nicht rückwirkend! Dementsprechend wäre es - auch wenn das Urteil (was es nicht ist) auf das Jugendamt anzuwenden wäre - ungefährt genauso zielführend wie nun einen neuen Antrag zu stellen und künftig auf alles zeitnah zu reagieren. Gibt so oder so nur für die Zukunft noch was, ausser es gab zB medizinisch belegbare Gründe für die ausbleibende Reaktion (Koma im Krankenhaus usw...).

Einzige Idee wäre: wenn die Person im Bezug von ALG2 oder so steckt, kann der nachweislich nicht bezahlte Part nicht angerechnet werden und müsste vom JC nachbezahlt werden. Wie es dahingehend mit dem "selber schuld"-Prinzip steht weiß ich jedoch nicht. Er/Sie hat sich ja indirekt gesehen selbst um die vorrangige Leistung gebracht und hilfebedürftiger gemacht. Versuchen kann man es aber.
Wer lügt, hat die Wahrheit immerhin gedacht. (Oliver Hassencamp)