Sanktionen - Aktueller Status Quo

Begonnen von Cloud Strife, 09. Juni 2023, 12:21:52

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Cloud Strife

Guten Tag, ich arbeite in einer Einrichtung für Einkommensschwache und Obdachlose und da es viele Fragen bzgl der Willkür einiger Sachbearbeiter der Ämter im Bezug auf Leistungsvergabe gibt, wollte ich einmal fragen, wie da tatsächlich die derzeitige Gesetzeslage im Bezug auf Leistungskürzungen ist. Googlerecherche widerspricht sich da teilweise, oder gibt Daten aus verschiedenen Zeiträumen wieder, welche wegen zwischenzeitlich gesprochener Urteile nicht mehr aktuell sind.

Nach derzeitiger Recherche, auch auf dieser Seite, stellt es sich offenbar so dar, dass Sanktionen über 30% nicht mehr verhängt werden dürfen. Zudem darf dies nur auf den Regelsatz ohne Miete und Heizkosten angewandt werden. Die Dauer und Höhe der Sanktionen sind maximal 3 Monate lang 30% innerhalb eines 12-Montas-Zeitraums zulässig.

Dennoch erlebe ich aber, dass auch eine vollständige Einstellung der Leistungen vorgenommen wird. Widerspricht dies nicht dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes? Oder sind dann andere Beweggründe vorhanden, welche sich meiner Kenntnis entziehen, wie zb. unklare Einkommenslage? Ein Verstoß gegen Meldeauflagen, Verweigerung der Aufnahme eines Arbeitsplatzes oder einer Maßnahme und sonstige Meldeversäumnisse darf doch lt. Urteil nicht mehr härter sanktioniert werden, als mit den genannten 30%? Mal von überzogener Härte bei ua. psychischen Erkrankungen ganz abgesehen, welches ja sicherlich von einem Sozialgericht bewertet werden müsste...

Kann ich davon ausgehen, dass 70% vom derzeitigen Regelsatz (502,- - 30% = 351,40,-) also eine bedingungslose Leistung sind, auf die sich Klienten, etc derzeit verlassen können, ohne Befürchtungen haben zu müssen, dass je nach Auslegungssache keine Wurst mehr im Kühlschrank ist?

Würde mich über eine kurze Antwort dazu freuen, oder auch gerne Links zu dem Thema. Vielen Dank!

Sheherazade

Zitat von: Cloud Strife am 09. Juni 2023, 12:21:52Dennoch erlebe ich aber, dass auch eine vollständige Einstellung der Leistungen vorgenommen wird.

Wohl wegen fehlender Mitwirkung, nehme ich an.

ZitatWiderspricht dies nicht dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes?

Nein.

Sanktionen und Leistungseinstellung sind zwei Paar Schuhe.
"In Krisenzeiten suchen  die Intelligenten nach Lösungen, während die Schwachköpfe nach Schuldigen suchen." Totó 1898-1967

"Höher, schneller, weiter!" ist nicht das Problem. Das Problem ist: "Ich zuerst!", "Alles meins!" und "Mir doch egal!"

Cloud Strife

Zitat von: Sheherazade am 09. Juni 2023, 13:24:03
Zitat von: Cloud Strife am 09. Juni 2023, 12:21:52Dennoch erlebe ich aber, dass auch eine vollständige Einstellung der Leistungen vorgenommen wird.

Wohl wegen fehlender Mitwirkung, nehme ich an.

ZitatWiderspricht dies nicht dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes?

Nein.

Sanktionen und Leistungseinstellung sind zwei Paar Schuhe.

Davon gehe ich auch aus, aber was bedeutet das konkret "wegen fehlender Mitwirkung"? Und das Sanktionen und eine komplette Einstellung der Leistungen verschiedene Sachen sind weiß ich, aber deswegen ja meine Frage...?!

Sheherazade

Zitat von: Cloud Strife am 09. Juni 2023, 13:31:22aber was bedeutet das konkret "wegen fehlender Mitwirkung"?

Zum Beispiel, wenn man wiederholt (und unentschuldigt) einer Meldeaufforderung nicht nachkommt.
"In Krisenzeiten suchen  die Intelligenten nach Lösungen, während die Schwachköpfe nach Schuldigen suchen." Totó 1898-1967

"Höher, schneller, weiter!" ist nicht das Problem. Das Problem ist: "Ich zuerst!", "Alles meins!" und "Mir doch egal!"

lappa

Zitat von: Cloud Strife am 09. Juni 2023, 12:21:52Die Dauer und Höhe der Sanktionen sind maximal 3 Monate lang 30% innerhalb eines 12-Montas-Zeitraums zulässig.
Es können auch durchgehend 30% vom Regelsatz sanktioniert werden, wenn der SB genügend Sanktionsgründe findet. Jede "Tat" des Kunden verjährt nach 6 Monaten. Danach ist das jeweilige Vergehen nicht mehr sanktionierbar.

Zitat von: Cloud Strife am 09. Juni 2023, 12:21:52Dennoch erlebe ich aber, dass auch eine vollständige Einstellung der Leistungen vorgenommen wird. Widerspricht dies nicht dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes? Oder sind dann andere Beweggründe vorhanden, welche sich meiner Kenntnis entziehen, wie zb. unklare Einkommenslage? Ein Verstoß gegen Meldeauflagen, Verweigerung der Aufnahme eines Arbeitsplatzes oder einer Maßnahme und sonstige Meldeversäumnisse darf doch lt. Urteil nicht mehr härter sanktioniert werden, als mit den genannten 30%?
Bei einer vorläufigen Leistungseinstellung werden alle Leistungen zu 100% eingestellt. Das muss vorher schriftlich angekündigt werden, dass eine vorläufige Leistungseinstellung kommen kann, wenn der Kunde X oder Y nicht fristgerecht nachweist/einreicht oder was auch immer. Sobald der Kunde die Pflichten nachholt müssen die Leistungen vollständig nachgezahlt werden (es darf keine Sanktion geben für die verspätete Erfüllung der Mitwirkungspflichten).
Verpasste Meldetermine dürfen nur mit 10% pro Termin sanktioniert werden. Es gibt aber immer wieder SBs, die auf Basis der totalen Willkür rechtswidrig Leistungen vorläufig einstellen, wenn der Kunde Termine nicht wahrnimmt. Das ist zwar illegal, aber das interessiert manche SBs nicht...
Nur wenn der Kunde die Arbeitsaufnahme verweigert, absichtlich seinen Job verliert, oder offen zugibt, dass er kein Interesse hat die Arbeitslosigkeit zu beenden kann es in Extremfällen zur vollständigen Leistungseinstellung kommen, bzw. in solchen Härtefällen darf das JC den Kunden auch nicht sterben lassen durch einen Leistungsentzug. Dann können die Leistungen als Darlehen gewährt werden, was zurückzuzahlen ist, falls der Kunde irgendwann in seinem Leben über dem Pfändungsfreibetrag liegen sollte.

Prinzipiell kann man Krankenkasse +Kosten der Unterkunft +70% vom Regelsatz als bedingungsloses Grundeinkommen betrachten.


Cloud Strife

Meine eigentliche Frage war ob die Leistungen über 30% hinaus gekürzt werden können und wie es da sein kann, dass manche Besucher, Klienten, etc keine Leistungen mehr bekommen können, wenn dies einerseits durch Karlsruhe angemahnt und andererseits durch das Bürgergeldgesetz so festgelegt wurde?

https://www.buerger-geld.org/leistungsminderungen/

Rein rechtlich dürfte dies doch nicht mehr möglich sein, bzw ist daher ein Gang vor das Sozialgericht erforderlich?

BigMama

Zitat von: Cloud Strife am 09. Juni 2023, 13:56:47Meine eigentliche Frage war ob die Leistungen über 30% hinaus gekürzt werden können und wie es da sein kann, dass manche Besucher, Klienten, etc keine Leistungen mehr bekommen können, wenn dies einerseits durch Karlsruhe angemahnt und andererseits durch das Bürgergeldgesetz so festgelegt wurde?
Und genau das wurde bereits beantwortet.
Die Welt wird nicht von skrupellosen Verbrechern, finstren Kapitalisten oder machtgierigen Despoten regiert, sondern von einer gigantischen, weltumspannenden RIESENBLÖDHEIT.
Wer´s nicht glaubt, ist schon infiziert.
(Michael Schmidt-Salomon, GBS-Sprecher)

Cloud Strife

Zitat von: lappa am 09. Juni 2023, 13:54:40
Zitat von: Cloud Strife am 09. Juni 2023, 12:21:52Die Dauer und Höhe der Sanktionen sind maximal 3 Monate lang 30% innerhalb eines 12-Montas-Zeitraums zulässig.
Es können auch durchgehend 30% vom Regelsatz sanktioniert werden, wenn der SB genügend Sanktionsgründe findet. Jede "Tat" des Kunden verjährt nach 6 Monaten. Danach ist das jeweilige Vergehen nicht mehr sanktionierbar.

Zitat von: Cloud Strife am 09. Juni 2023, 12:21:52Dennoch erlebe ich aber, dass auch eine vollständige Einstellung der Leistungen vorgenommen wird. Widerspricht dies nicht dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes? Oder sind dann andere Beweggründe vorhanden, welche sich meiner Kenntnis entziehen, wie zb. unklare Einkommenslage? Ein Verstoß gegen Meldeauflagen, Verweigerung der Aufnahme eines Arbeitsplatzes oder einer Maßnahme und sonstige Meldeversäumnisse darf doch lt. Urteil nicht mehr härter sanktioniert werden, als mit den genannten 30%?
Bei einer vorläufigen Leistungseinstellung werden alle Leistungen zu 100% eingestellt. Das muss vorher schriftlich angekündigt werden, dass eine vorläufige Leistungseinstellung kommen kann, wenn der Kunde X oder Y nicht fristgerecht nachweist/einreicht oder was auch immer. Sobald der Kunde die Pflichten nachholt müssen die Leistungen vollständig nachgezahlt werden (es darf keine Sanktion geben für die verspätete Erfüllung der Mitwirkungspflichten).
Verpasste Meldetermine dürfen nur mit 10% pro Termin sanktioniert werden. Es gibt aber immer wieder SBs, die auf Basis der totalen Willkür rechtswidrig Leistungen vorläufig einstellen, wenn der Kunde Termine nicht wahrnimmt. Das ist zwar illegal, aber das interessiert manche SBs nicht...
Nur wenn der Kunde die Arbeitsaufnahme verweigert oder offen zugibt, dass er kein Interesse hat die Arbeitslosigkeit zu beenden kann es in Extremfällen zur vollständigen Leistungseinstellung kommen, bzw. in solchen Härtefällen darf das JC den Kunden auch nicht sterben lassen durch einen Leistungsentzug. Dann können die Leistungen als Darlehen gewährt werden, was zurückzuzahlen ist, falls der Kunde irgendwann in seinem Leben über dem Pfändungsfreibetrag liegen sollte.

Prinzipiell kann man Krankenkasse +Kosten der Unterkunft +70% vom Regelsatz als bedingungsloses Grundeinkommen betrachten.



Danke, da hatte sich mein letzter Post mit überschnitten.

Also sind 70% des Regelsatzes bedingungslos, wenn auch als Darlehen. Das wollte ich wissen, zumal ich da unseren Besuchern den Gang zum Sozialgericht nahelegen kann. Sollten sie da anderweitig verstoßen haben, wie zb anderes Einkommen, was ich ja nicht weiß, würde dies dann auch vom SG geklärt werden. Schade, dass so weitere Steuergelder verschwendet würden, welche von den Sachbearbeitern verursacht werden, obwohl die Gesetzeslage da ja eigentlich eindeutig ist.

Vielen Dank!

lappa

Du musst prüfen, ob es offene Aufforderungen zur Mitwirkung gibt. Diese Aufforderungen müssen erfüllt werden. Ansonsten werdet ihr vom Richter am Sozialgericht 0 Chancen haben.
Falls die Personen, die du betreust, ihre Post nicht lesen und verstehen, musst du dafür sorgen, dass jemand das für die übernimmt.
Aufforderungen zur Mitwirkung müssen immer ernst genommen werden. Zwar sind nicht alle Aufforderungen zur Mitwirkung zulässig, aber das ist ein anderes Problem.


Cloud Strife

Zitat von: lappa am 09. Juni 2023, 14:08:00Du musst prüfen, ob es offene Aufforderungen zur Mitwirkung gibt. Diese Aufforderungen müssen erfüllt werden. Ansonsten werdet ihr vom Richter am Sozialgericht 0 Chancen haben.
Falls die Personen, die du betreust, ihre Post nicht lesen und verstehen, musst du dafür sorgen, dass jemand das für die übernimmt.
Aufforderungen zur Mitwirkung müssen immer ernst genommen werden. Zwar sind nicht alle Aufforderungen zur Mitwirkung zulässig, aber das ist ein anderes Problem.

Ich bin da als Ehrenamtlicher tätig und kann auch nur beratend tätig werden. Wollte mich informieren, weil ich den Leuten keinen Stuss erzählen möchte und es mich gleichzeitig wütend macht, mit welcher Willkür da teilweise vorgegangen wird, ohne Rücksicht auf menschliche Schicksale.

Manche Besucher haben einen anderen kulturellen Hintergrund und grundsätzlich werden unsere Besucher auch von der Caritas nebenan betreut. Jedoch habe ich das Gefühl, dass viele dennoch im Regen stehen gelassen werden, bzw Missstände seitens der Ämter so hingenommen werden. Im Zweifel für das Wort unserer Besucher allerdings. Ich kann auch leider keine Termine machen, da wir in unserer speziellen Einrichtung hauptsächlich ein Essen, Kleidung und Waschmöglichkeiten anbieten. Ich kann ihnen aber Broschüren der Hilfs- und Beratungsangebote in unserer Stadt anbieten und ihnen die Information von ihnen schon mal mit auf den Weg geben. Nochmals vielen Dank dafür!

Spring23

Zitat von: Cloud Strife am 09. Juni 2023, 14:01:18Also sind 70% des Regelsatzes bedingungslos, wenn auch als Darlehen. Das wollte ich wissen, zumal ich da unseren Besuchern den Gang zum Sozialgericht nahelegen kann.
Ob dieser oder einer anderen Kultur entstammend, tust Du Deinen Betreuten aber einen größeren Gefallen und hilft ihnen besser, wenn entweder Du oder jemand anders prüft, ob man ihnen nicht statt dem SG besser Mitwirkung nahelegt -oder den Gang zu einer Beratungsstelle, die dabei helfen kann


Ottokar

Zitat von: Cloud Strife am 09. Juni 2023, 12:21:52Nach derzeitiger Recherche, auch auf dieser Seite, stellt es sich offenbar so dar, dass Sanktionen über 30% nicht mehr verhängt werden dürfen. Zudem darf dies nur auf den Regelsatz ohne Miete und Heizkosten angewandt werden. Die Dauer und Höhe der Sanktionen sind maximal 3 Monate lang 30% innerhalb eines 12-Montas-Zeitraums zulässig.
Alles korrekt.

Zitat von: Cloud Strife am 09. Juni 2023, 12:21:52Dennoch erlebe ich aber, dass auch eine vollständige Einstellung der Leistungen vorgenommen wird.
Sanktioniert d.h. gekürzt werden wegen Pflichtverletzungen darf die Regelleistung des Bürgergeldes um max. 30% für max. 3 Monate.
Bei fehlender Mitwirkung und wenn der Leistungsanspruch deshalb nicht festgestellt werden kann, darf die Leistung nach § 66 SGB I versagt oder entzogen werden. Das setzt jedoch voraus, dass das JC den Betroffenen nachweislich schriftlich unter Fristsetzung und mit korrekter Rechtsfolgenbelehrung zur Mitwirkung aufgefordert hat.
Dazu muss man sagen, dass viele Mitwirkungsaufforderungen unzulässig sind (insbesondere wenn Unterlagen gefordert werden, die entweder unötig oder vom Betroffenen gar nicht beschafft werden können) und die meisten keine Versagung/Entziehung der Leistung rechtfertigen, weil die geforderten Unterlagen gar nicht anspruchsrelevant sind, oder statt des Betroffenen Dritte (z.B. der Arbeitgeber) mitwirkungspflichtig sind.
Genaues kann man immer nur zum jeweiligen Fall sagen.
Wegen einer Pflichtverletzungen darf die Leistung jedoch nicht versagt/entzogen werden, dafür gibt es im SGB II keine Rechtsgrundlage und § 66 SGB I ist hierfür nicht anwendbar.

Zitat von: Cloud Strife am 09. Juni 2023, 12:21:52Kann ich davon ausgehen, dass 70% vom derzeitigen Regelsatz (502,- - 30% = 351,40,-) also eine bedingungslose Leistung sind, auf die sich Klienten, etc derzeit verlassen können, ohne Befürchtungen haben zu müssen, dass je nach Auslegungssache keine Wurst mehr im Kühlschrank ist?
Korrekt.

Wenn man einen Ratsuchenden hat, dem das JC die Leistung verweigert, sollte man zuallererst an fehlende Mitwirkung denken.
Der Grund ergibt sich in den meisten Fällen aus dem Ablehnungs-/Aufhebungsbescheid. Dort steht dann drin, dass der Anspruch nicht festgestellt werden konnte, weil folgende Nachweise ... nicht erbracht wurden.
Meine Beiträge beinhalten oder ersetzen keine anwaltliche Beratung oder Tätigkeit.
Für eine verbindliche Rechtsberatung und -vertretung suchen Sie bitte einen Anwalt auf.


horst

Zitat von: Cloud Strife am 09. Juni 2023, 14:01:18Schade, dass so weitere Steuergelder verschwendet würden, welche von den Sachbearbeitern verursacht werden, obwohl die Gesetzeslage da ja eigentlich eindeutig ist.
du glaubst ja nicht, wie viele sich damit abfinden und es auf sich beruhen lassen, deshalb sind doch Leute Obdachlos.