Erben als ALG II Empfänger

Begonnen von Ottokar, 22. Mai 2011, 09:16:37

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Ottokar

Zitate aus Gesetzen oder Handlungsanweisungen sind kursiv gesetzt.

Ich habe geerbt, muss ich das der ARGE melden?
Jeder Empfänger von ALG II ist nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I verpflichtet, (spätestens) nach einer eventuellen Erbschaftsannahme die Erbschaft anzuzeigen. Außerdem kann die Bundesagentur Einsicht in die Akten des Nachlassgerichts nehmen (was voraussetzt, dass die Bundesagentur von dem Tod des Erblassers erfahren hat). Schließlich kann der Erbfall natürlich von missgünstigen Verwandten, Bekannten oder Nachbarn angezeigt werden.

Was passiert, wenn ich die Erbschaft nicht melde?
Unterlässt der Empfänger von ALG II die Anzeige der Erbschaft, begeht er nach § 63 Abs. 1 Nr. 6 SGB II eine Ordnungswidrigkeit, die nach § 63 Abs. 2 SGB II mit einem Bußgeld von bis zu 5.000,00 EUR geahndet werden kann. Außerdem macht er sich unter Umständen nach § 263 StGB wegen Betrugs strafbar. Bei nicht angezeigter Erbschaft dürfte aber in der Regel von einer Strafverfolgung abgesehen werden, da vielen Empfängern die Problematik schlicht nicht nachvollziehbar ist. Außerdem handelt es sich unter Umständen um sog. sozialwidriges Verhalten, welches Ersatzansprüche nach § 34 SGB II begründen kann.

Was passiert, wenn ich die Erbschaft ausschlage?
Ist der Erbfall bereits eingetreten, sollte der Erbe überlegen, ob ein Verzicht auf die Erbschaft oder eine Ausschlagung sinnvoll ist.
Allerdings sollte man im Hinblick auf § 34 Abs. 1 SGB II beachten, dass hier eine Leistungseinstellung bzw. -verweigerung wegen vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Herbeiführung der Hilfsbedürftigkeit möglich ist.
Schließlich weigert man sich, Einkommen anzunehmen, das einem zusteht. Eine solche Weigerung begründet keine Hilfebedürftigkeit und damit keine Ansprüche nach SGB II.
Eine Ausschlagung ist hier nur sinnvoll, wenn man Schulden erbt.

Ist das Erbe für einen ALG II-Empfänger Einkommen oder Vermögen?
Wenn man währen des Bezuges von ALG II erbt, egal ob verwertbare Sachwerte oder Geld, stellt dieses Erbe Einkommen im Sinne des § 11 SGB II dar und wird von der ARGE als einmaliges Einkommen auf das ALG II des Erben angerechnet.

Wird das gesammte Erbe berücksichtigt?
Generell kann nur der Betrag des Erbes berücksichtigt werden, der tatsächlich für Leistungen, für die das ALG II gezahlt wird, zur Verfügung steht.
D.h. alle Aufwendungen, welche mit der Erbschaft verbunden sind, müssen davon abgezogen werden (§ 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II). Dazu gehören u.a. Erbschaftssteuer, Schulden, des Erblassers, Bestattungskosten, usw.
Gegenstände oder Sachwerte können nur (mit ihrem Verkaufserlös) berücksichtigt werden, wenn deren Verwertung möglich ist und keine besondere Härte darstellt.

Wie werden einmalige Einnahmen berücksichtigt?
Geregelt ist dies in § 2 Abs. 2 Satz 3 ALG II-VO, dort heißt es:
Einmalige Einnahmen sind von dem Monat an zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Abweichend von Satz 1 ist eine Berücksichtigung der Einnahmen ab dem Monat, der auf den Monat des Zuflusses folgt, zulässig, wenn Leistungen für den Monat des Zuflusses bereits erbracht worden sind. Einmalige Einnahmen sind, soweit nicht im Einzelfall eine andere Regelung angezeigt ist, auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag anzusetzen.
Ganz wichtig ist hierbei, dass einmalige Einnahmen generell nicht wie Einkommen aus Erwerbstätigkeit behandelt werden.

Was bedeutet dies nun im Einzelnen für den/die Betroffenen?
Dazu gibt die Handlungsanweisung der BA zum § 11 SGB II ab Rz. 11.60 umfassend Auskunft:
Die Anrechnung ist daher im Regelfall in einer Summe vorzunehmen, wenn der aus der einmaligen Einnahme anzurechnende Betrag geringer ist als die Differenz zwischen dem Gesamtbedarf und einem ggf. anzurechnenden laufenden Einkommen. Der Zuschlag nach § 24 und Zuschüsse nach § 26 sind dabei nicht in die Berechnung einzubeziehen. Ist eine einmalige Einnahme in erheblicher Höhe (z.B. Erbschaften oder Abfindungen während des Leistungsbezuges) anzurechnen, kann auch ein vollständiger  Leistungsausschluss in Betracht kommen. Dabei sind im Rahmen der Ermessensausübung die Auswirkungen einer Beendigung des Leistungsbezuges auf laufende Eingliederungsmaßnahmen, den Zuschlag nach § 24 und insbesondere auf den Krankenversicherungsschutz zu berücksichtigen. Kann der  Krankenversicherungsschutz nicht über eine Familienversicherung sichergestellt werden, ist bei Anrechnungszeiträumen von bis zu sechs Monaten dem Leistungsbezieher der Abschluss einer freiwilligen gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung in der Regel nicht zuzumuten. Die Anrechnung sollte in diesen Fällen so vorgenommen werden, dass ein Zahlbetrag verbleibt und somit der KV-Schutz erhalten bleibt. Kann mit dem Anrechnungsbetrag aus einer einmaligen Einnahme ggf. auch unter Berücksichtigung eines sonstigen Einkommens der Gesamtbedarf für einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten gedeckt werden, so kann auch ein Verweis auf eine Finanzierung des KV-Schutzes aus dieser Einnahme zumutbar sein. Dabei gilt: je höher die einmalige Einnahme ist, und umso länger der Lebensunterhalt damit gesichert werden kann, desto eher ist die Tragung der Kosten des KV-Schutzes dem Antragsteller zuzumuten. Soll in diesen Fällen ein vollständiger Leistungsausschluss erfolgen, so sind die dem Antragsteller für die freiwillige gesetzliche oder private Krankenversicherung entstehenden Kosten bei der Ermittlung der Dauer des Leistungsausschlusses entsprechend § 26 Abs. 3 zu berücksichtigen.
D.h. also, dass die einmalige Einnahme in dem Monat auf das ALG II angerechnet wird, indem man sie erhält, wenn der Betrag geringer ist als das ALG II. Ist der Betrag höher als das ALG II, soll durch die Anrechnung in monatlichen Raten verhindert werden, dass der KV-Schutz entfällt. Nur bei sehr hohen einmaligen Beträgen ist eine Leistungseinstellung und damit die Selbstversicherung zulässig.
Lebt man in einer BG, ist man den anderen Mitgliedern gegenüber unterhaltspflichtig. D.h. das einmalige Einkommen wird auf den Bedarf aller Mitglieder der BG verteilt.

Auch ein Freibetrag muss hier gewährt werden
Insbesondere die Pauschale für angemessene private Versicherungen in Höhe von 30 € und die Aufwendungen für gesetzlich vorgeschriebene Versicherungen (z. B. Kfz-Versicherung) sind für jeden Monat, für den einmaliges Einkommen angerechnet wird, zu berücksichtigen.
Bsp: Wenn das Amt von 1200€ jeden Monat 100€ anrechnet, muss es davon 30€ plus Aufwendungen für gesetzlich vorgeschriebene Versicherungen (z.B. KFZ-Haftpflicht) absetzen. Es dürfen also tatsächlich nur 70€ oder weniger angerechnet werden.
Bei einer BG, wenn das einmalige Einkommen auf den Bedarf aller Mitglieder der BG verteilt wird, muss auch für jedes Mitglied der BG ein eigener Freibetrag berücksichtigt werden!

Was muss bei einer Leistungseinstellung besonderst berücksichtig werden?
Es darf nicht der komplette Betrag der einmaligen Einnahme zugrunde gelegt werden, sondern es müssen die monatlichen Freibeträge und Ausgaben für gesetzlich vorgeschriebene Versicherungen, insbesondere die dann privat zu zahlende Krankenversicherung, berücksichtigt und davon abgezogen werden. Das ist wichtig bei der Berechnung, für welche Zeitdauer diese einmalige Einnahme reicht und die Leistungseinstellung erfolgen kann, da hier der Bedarf an ALG II für diesen Zeitraum zugrunde gelegt wird. Dabei kann also nur der Betrag berücksichtigt werden, der auch tatsächlich für denselben Zweck wie das ALG II zur Verfügung steht.

Das Ziel ist ein möglichst kurzer Anrechnungszeitraum
In besonderen Situationen kann die Anrechnung auch abweichend vom Ziel eines möglichst kurzen Anrechnungszeitraums erfolgen, d.h. es wird ein geringerer als der höchstmögliche monatliche Anrechnungsbetrag angesetzt und der Anrechnungszeitraum entsprechend verlängert. Dies ist z. B. der
Fall, wenn der Hilfebedürftige nachweist, dass die einmalige Zahlung für die Tilgung von Schulden vorgesehen ist und auch hierfür verwendet wird.

Bsp: Im Falle einer einmaligen Einnahme in Höhe von 500€ kann also statt der sofortigen kompletten  Anrechnung auf die laufende Leistung auch eine Anrechnung ihn Raten erfolgen, z.B. 10 x 50€. Da hier aber wieder bei jeder Rate der Freibetrag berücksichtigt werden muss, wird dies wirklich nur in absoluten Ausnahmefällen und auch nur in Maßen passieren. Denn statt der bei kompletter Anrechnung hier anzurechnenden (500€ - 30€ =) 470€ wären bei z.B. 10 Raten a' 50€ nur (50€ - 30€ = 20€ x 12 Monate =) 240€ anzurechnen. Das würde die ARGE also 240€ an Leistung kosten.

Ganz wichtig:
Die Anrechnung der einmaligen Einnahme soll auch bei erheblichen Beträgen einen Zeitraum von zwölf Monaten nicht überschreiten. Der nicht verbrauchte Anteil der einmaligen Einnahme ist danach im Rahmen der Vermögensprüfung zu berücksichtigen.
Eine einmalige Einnahme kann also nur max. für 12 Monate angerechnet werden. Dabei ist es egal, ob hier die Leistung für 12 Monate komplett eingestellt wird oder aber nur eine Anrechnung in monatlichen Raten erfolgt. Bei der Berücksichtigung als Vermögen, nach Ablauf der 12 Monate, kann sich dann u.U. eine Vermögensverwertung ergeben, wenn der Vermögensfreibetrag überschritten wird.


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Abkürzungen:
BA = Bundesagentur für Arbeit
BG = Bedarfsgemeinschaft
SGB = Sozialgesetzbuch, die Nr. des jeweiligen SGB wird meist in römischen Ziffern angegeben
Rz = Randziffer, eine Markierung zum schnellen Auffinden von Textpassagen in einem Schriftstück, steht außerhalb des Textes im linken oder rechten Seitenrand (manchmal auch als Randnote bezeichnet)


Ich musste den Tip mit dem Ab- und Anmelden, um dadurch eine Erbschaft in einem Monat ohne Leistungszahlung zu Vermögen zu machen, im allgemeinen Interesse entfernen.

Hier zum besseren Verständnis nochmal dieser Tip:

Wenn man weis, das man im Mai einen Haufen Geld erbt, meldet man sich per 30.04. vom Leistungsbezug ab.
Das geht notfalls mittels Verzichtserklärung nach § 46 Abs. 1 SGB I. Bitte KV-Schutz beachten, also selbst versichern.
Im Mai erhält man dann das Geld, das entsprechend der Vermögensfreibeträge verteilt wird.
Am 01.06. kann man wieder ALG II beantragen, da das Einkommen vom Mai dann bei Antragstellung im Juni Vermögen ist.
Stellt man fest, dass der Vermögensfreibetrag erheblich überschritten wird, kann man aber auch erst mal ganz legal diesen Vermögensteil angemessen zur Deckung der Lebenshaltungskosten einsetzen - aber nicht rausschleudern. Auch Schulden können hier bezahlt werden, da das Amt einem so nicht vorrechnen kann, wie lange man von dem Geld leben können muss. Eine Schuldenbegleichung bewirkt hierbei nicht das vorsätzliche Herbeiführen von Hilfebedürftigkeit, sondern zählt als normale Lebensführung.
Ebenso kann man geerbte Immobilien veräußern und sich vom Gewinn eine andere zur eigenen Benutzung kaufen. Hierbei sollte man unbedingt auf die Angemessenheitskriterien für selbst genutztes Wohneigentum achten.
So kann man, übrigens ganz legal, Vermögensfreibeträge, die während des ALG II Bezuges nicht (voll) ausgeschöpft sind, ausfüllen und ausnutzen.


Der Grund:
von diesem, von Herrn Thome´ (http://www.tacheles-sozialhilfe.de, http://www.harald-thome.de/) veröffentlichten, Tip, rät dieser nunmehr selbst ab, da er seiner Meinung nach mit § 46 Abs. 2 SGB I kollidiert.

Lt. § 46 Abs. 1 SGB I hat jeder Sozialleistungsempfänger das Recht, auf Sozialleistungen zu verzichten.
Lt. § 46 Abs. 2 SGB I ist dieser Verzicht unwirksam, wenn damit eine Rechtsvorschrift umgangen wird:
Der Verzicht ist unwirksam, soweit durch ihn andere Personen oder Leistungsträger belastet oder Rechtsvorschriften umgangen werden.
Die damit umgangene Rechtsvorschrift wäre in diesem Fall § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II.
Dabei ist es unerheblich, warum man sich aus dem Leistungsbezug abmeldet und ob dies vorsätzlich geschieht oder nicht. Es kommt allein auf den Sachverhalt an.

Sollte jemand diesen Tip angewendet haben, so passiert eigentlich nichts weiter, als das der Leistungsverzicht unwirksam wird und die erhoffte "Erbe in Vermögen Umwandlung" nicht stattfindet.
Für ein Bußgeld müsste das Amt schon den Vorsatz des versuchten Leistungsbetruges nachweisen, was i.d.R. unmöglich ist, es ei denn, jemand war so leichtsinnig mit der Begründung "ich erbe" Leistungsverzicht zu erklären.

Die einzigste Möglichkeit, § 46 Abs. 2 SGB I zu umgehen wäre, wenn das Amt einen selbst aus dem Leistungsbezug nimmt.
Die von Herrn Thome´ dazu vorgeschlagene Vorgehensweise: "Meldung einer 6wöchigen Ortsabwesenheit ohne Genehmigung vom Amt", muss aber, entgegen seiner Annahme, nicht zwingend zu einer Leistungseinstellung nach § 48 SGB X führen.
Stattdessen kann das Amt für die Zeit der ungenehmigten Ortsabwesenheit auch das ALG II nach § 45 SGB X zurückfordern oder die Leistung für diesen Zeitraum einfach nur nicht zahlen, womit aber keine Leistungseinstellung nach § 48 SGB X verbunden wäre.

Auch diese Methode ist also nicht sicher, außerdem ist sie kurzfristig kaum zu realisieren, da bei den bekanntermaßen langen Bearbeitungsfristen Monate vergehen können, bis man sicher weis, ob das Amt nun wie gewünscht nach § 48 aufhebt, oder lediglich nach § 45 zurückfordert bzw. nicht zahlt. In letzterem Fall ist man dann auch noch doppelt bestraft, weil man für die Zeit der Ortsabwesenheit kein ALG II erhält und das Erbe trotzdem voll angerechnet wird.

Die einzigste legale Möglichkeit wäre demnach, keinen Wiederholungsantrag zu stellen. Doch das wird in den wenigsten Fällen praktikabel sein, denn der Erblasser wird wohl kaum auf Bestellung vererben.

Einen kleinen Lichtblick gibt es noch:
die Rechtsvorschrift in § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II setzt voraus, dass der Einkommenserzieler tatsächlich über das Einkommen verfügen können muss, es muss sich also um sog. liquide Mittel handeln, die im Monat ihres Zuflusses als Einkommen gelten (§ 2 Abs. 2 Satrz 1 ALG II-V).

Möglich wäre also, die Auszahlung des Erbes solange zu verzögern, oder verzögern zu lassen, bis man durch den Verzicht auf einen Wiederholungsantrag keine Leistungen mehr erhält.
Die andere Möglichkeit wäre, sich vorher intensiv mit dem Erblasser zu beraten.

Denn wenn der Erblasser in seinem Testament den Erben in dessen Verfügungsgewalt über das Erbe beschränkt, indem er einen Testamentsvollstrecker und Nachlassverwalter einsetzt, dem er die Entscheidungsbefugis erteilt, was, wann und wieviel aus dem Nachlass der Erbe erhält, und darüber hinaus bestimmt, dass der Nachlassverwalter nur Zahlungen an den Erben leisten darf, die nicht auf die Grundsicherung nach SGB II oder SGB XII angerechnet werden können, ist das Erbe für den so Beschränkten tatsächlich nicht verfügbar und damit nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht anrechenbar.
Das gleiche gilt für Personen, die nicht Erbe sind oder werden sollen, aber mit einem Nachlass bedacht werden.
Dazu bitte hier lesen: http://www.123recht.net/article.asp?a=29090
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