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Hilfebereich => Fragen und Antworten zum Bürgergeld (ehem. Hartz IV/ALG II) => Thema gestartet von: Inge am 19. November 2021, 12:36:59

Titel: Aufrechnung wegen endgültigem Bescheid rechtens?
Beitrag von: Inge am 19. November 2021, 12:36:59
Hallo ihr Lieben,

ich habe eine Frage zur Aufrechnung von zuviel gezahlten Leistungen. Ich bekomme durch schwankendes Einkommen immer einen vorläufigen Bescheid für 6 Monate. Hier geht es jetzt um den Bewilligungszeitraum vom 1.4.21 bis 30.9.21 - vorläufige Bewilligung erstellt am 19.02.2021.

Vor ein paar Tagen trudelte eine endgültige Festsetzung des o.g. Zeitraumes ein, ich soll einiges zurückzahlen. Knapp 43 Euro für meine Person und 30 Eur für meine Tochter soll ab 1.1.22 monatlich aufgerechnet werden. Das wären dann ca. 73 Eur Aufrechnung monatlich. Meine Fragen hierzu sind:

1.) Ist das mit der Aufrechnung nicht für Bescheide die vor dem 31.3.21erstellt wurden hinfällig?

2.) Wenn es nicht hinfällig ist und ich tatsächlich zurückzahlen muss, ist es dann rechtens, dass einfach aufgerechnet wird? Wenn ich in den Jahren zuvor Überzahlungen wegen schwankendem Einkommen hatte, wurde nie was aufgerechnet, sondern ich bekam dann separat einen Brief vom Inkassoservice aus Recklinghausen und habe dann bei denen immer abgezahlt. Ich habe dazu auch schon selber recherchiert und bin auf der Internetseite "gegen Hartz 4" auch mit Gesetzestexten fündig geworden. Da steht, dass das JC in so einem Fall eben nicht aufrechnen darf, sondern nur in Ausnahmefällen.

Ich hoffe, ihr könnt mir helfen.

Liebe Grüße
Inge
Titel: Re: Aufrechnung wegen endgültigem Bescheid rechtens?
Beitrag von: Inge am 19. November 2021, 15:13:18
Das ist das, was ich dazu gefunden habe:


Aufrechnungen sind laut SGB II nur in zwei Fällen zulässig:

Für einen unabweisbaren Bedarf, der von der Regelleistung nach § 20 SGB II umfasst wird, wurde ein Darlehen gewährt, das nun zurückgezahlt werden muss (§ 23 Abs. 1 SGB II).
Die Rückforderung des Amtes beruht darauf, dass der/die Leistungsbezieher/in vorsätzlich oder grob fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht hat (§ 43 SGB II).
In allen anderen Fällen ist eine Aufrechnung rechtswidrig.

Kann ich meinen Widerspruch darauf stützen?
Titel: Re: Aufrechnung wegen endgültigem Bescheid rechtens?
Beitrag von: JensM1 am 19. November 2021, 16:08:19
ZitatKann ich meinen Widerspruch darauf stützen?

Nein. Die Aufrechnung würde nach § 43 Abs. 1 Nr. 4 SGB II (Erstattungsansprüchen nach § 41a Absatz 6 Satz 3 SGB II) erfolgen.

ZitatIst das mit der Aufrechnung nicht für Bescheide die vor dem 31.3.21erstellt wurden hinfällig?

Nein. Erstmal haben Aufrechnungen nichts mit den Sonderregelungen Corona des § 67 SGB II zu tun. Zum anderen hat das Bescheiddatum nicht unmittelbar etwas mit diesen Sonderregelungen zu tun, es geht um Bewilligungszeiträume. Über Bewilligungszeiträume, die ab dem 01.04.21 begonnen haben, wird von Amts wegen endgültig entschieden.

Gab es vor der Aufrechnung ein Anhörungsschreiben zur Aufrechnung? Gibt es triftige Gründe, die gegen die Aufrechnung sprechen (Zahlungsverpflichtungen gegenüber Dritten inkl. Inkasso)? Wurde im Aufrechnungsbescheid Ermessen ausgeübt, falls ja, in welcher Form? Hast du Freibeträge aus Einkommen, egal welche? Je nach Sachlage kann es durchaus triftige Gründe, die einen Widerspruch stützen würden, geben. Aber nicht aus den von dir genannten Gründen, s. o.

Titel: Re: Aufrechnung wegen endgültigem Bescheid rechtens?
Beitrag von: Inge am 19. November 2021, 16:31:19
Hallo Jens, danke für deine Antwort. Ich beantworte deine Fragen wie folgt:

Es gab kein Anhörungsschreiben zur Aufrechnung.

Ja, es werden aktuell 30 Eur monatlich an den Inkassoservice der Bundesagentur für Arbeit gezahlt.

Ja, es wurde Ermessen ausgeübt. Genauer Wortlaut:

Bei dieser Entscheidung wurde Ermessen ausgeübt. Die Höhe der Aufrechnung beträgt 10 Prozent.
Das JC ist verpflichtet wirtschaftlich zu handeln. Hierzu gehört, bestehende Forderungen geltend zu machen u Möglichkeiten ihrer Einziehung auch zu nutzen. Nach Abwägung mit dem gesetzlichen Zweck zur Ausübung des Ermessens sowie dem öffentlichen Interesse waren die Entscheidungen somit in dieser Form zu treffen. Es ist nicht gerechtfertigt, von den Aufrechnungen abzusehen.

Freibeträge aus Erwerbseinkommen: ja, immer schwankend da schwankendes Einkommen, mal 220, dann wieder 230 Eur - je nachdem

Ich hoffe ich habe keine Frage vergessen zu beantworten.

Der Absatz mit dem Ermessen ist irgendwie Quatsch, vor allem der letzte Satz (Es ist nicht gerechtfertigt, von den Aufrechnungen abzusehen). Denn bei all den endgültigen Bescheiden die Jahre vorher, wurde niemals aufgerechnet.

Und ja, ich komme dadurch in eine finanzielle Notlage, ich bin alleinerziehend mit meiner 9 jährigen Tochter, wir kommen gerade so über die Runden. Ich bin total verzweifelt, da die ab 1.1.22 monatlich insgesamt 75,50 Eur einbehalten wollen.

Ich bitte um Hilfe.

Titel: Re: Aufrechnung wegen endgültigem Bescheid rechtens?
Beitrag von: JensM1 am 19. November 2021, 16:50:57
Handelt es sich um ein Jobcenter gE oder um eine Optionskommune? Für Jobcenter gE kannst du dich auf deren fachlichen Weisungen, hier insbesondere auf FW 43.15 berufen:

" Grundsätzlich ist der leistungsberechtigten Person vor jeder Aufrechnungserklärung rechtliches Gehör zu gewähren; somit ist eine Anhörung nach § 24 SGB X durchzuführen."

Das Ermessen wurde m. E. (bin normaler User und keine Fachkraft Recht, wo steckt die eigtl.?) nicht korrekt ausgeübt. Da muss dargelegt werden, warum dir die Aufrechnung in dieser Höhe möglich ist etc. und nicht nur der verwendete Standardtextbaustein. Korrekte Ermessenausübung wäre bspw., dass man deinen Belastungen die Freibeträge aus Erwerbseinkommen gegenüberstellt und zum Ergebnis kommt, dass deine Gesamtbelastung inkl. Aufrechnung allein schon durch die Freibeträge zu bewältigen ist und zusätzlich noch unter einer Gesamtbelastung von 30% bezogen auf den Regelbedarf liegt. Wäre hier gegeben, aber du hättest im Rahmen der Anhörung ja auch gestiegene Preise insbesondere auch durch besondere Umstände aufgrund der Alleinerziehung äußern, also kreativ werden können. Kannst du immer noch...

Widerspruch kannst du schon wegen der unterlassenen Anhörung einlegen. Zusätzlich dann mit den bereits laufenden Ratenzahlungen Inkasso + viel Phantasie begründen. Damit wird die Aufrechnung erst einmal ausgesetzt, im Idealfall würde sich einfach die Dauer deiner Ratenzahlung bei Inkasso erhöhen, weil die Überzahlung dann doch dorthin weitergeleitet werden könnte.

Edit: + nicht ausreichende Ermessensausübung mit in den Widerspruch
Titel: Re: Aufrechnung wegen endgültigem Bescheid rechtens?
Beitrag von: Inge am 19. November 2021, 17:05:55
Es handelt sich um ein Jobcenter-ge, zumindest wird dieses Kürzel "ge" in deren E-Mail Adresse genannt.

Dann werde ich mich am We an den Widerspruch setzen. Was genau meinst du mit "viel Phantasie", kannst du da etwas genauer werden?

Ich werde die unvollständige Ermessensausübung mit reinnehmen. Aber können die das dann nicht einfach nachholen und den Widerspruch ablehnen? Kann ich als Argument zusätzlich aufführen, dass in all den Jahren zuvor bei endgültiger Festsetzung noch nie aufgerechnet wurde? Oder ist das kein Argument?

Liebe Grüße
Inge
Titel: Re: Aufrechnung wegen endgültigem Bescheid rechtens?
Beitrag von: JensM1 am 19. November 2021, 17:25:23
ZitatWas genau meinst du mit "viel Phantasie", kannst du da etwas genauer werden.

Ich kenne deine Lebensumstände nicht, aber durch Corona, Inflation etc. ist ja einiges teurer geworden. Da würde ich möglichst konkrete Zahlen insbesondere immer auch in Bezug auf Alleinerziehung nennen. Also Zahlen, die gestiegene Kosten nicht nur für dich, sondern auch und insbesondere für dein Kind begründen. Preissteigerungen speziell auch für Nahrungsmittel deines Kindes benennen. Argumentieren - ohne Nachweise - dass die Freibeträge aus Erwerbseinkommen zu einem nicht unerheblichen Teil auch zur Ausübung der Beschäftigung draufgehen (Fahrtkosten, Verpflegung vor Ort "teure Brote" statt des gewöhlichen "Tafelessens". Apropos Tafel: Gibts da in deiner Region überhaupt noch was? Oder du nutzt du die nicht, um Kontaktmöglichkeiten zu reduzieren? Könnte man ja mal reinschreiben. Alles was Mehrausgaben betrifft aufzählen, alles was Einkommen betrifft, reduzieren, das war letztlich gemeint.

ZitatAber können die das dann nicht einfach nachholen und den Widerspruch ablehnen?

Die Widerspruchsstelle muss über den konkret erlassenen Bescheid entscheiden. Anhörung nachholen macht den Bescheid ja nicht "anders". Eine mögliche Entscheidung wäre, dass der Aufrechnungsbescheid aufgehoben wird. Dann könnte die Anhörung zur Aufrechnung gefolgt von einem Aufrechnungsbescheid ergehen. Oder die schicken das Ganze einfach nach Recklinghausen, viel weniger Aufwand... Bis das alles durch ist, vergehen vermutlich Monate, evtl. legst du jeden Monat schon mal ein bisschen zurück?

Dass vorher noch nie aufgerechnet worden ist, ist kein Argument.
Titel: Re: Aufrechnung wegen endgültigem Bescheid rechtens?
Beitrag von: Yavanna am 19. November 2021, 17:58:12
Nach vorläufiger Bewilligung und darauf folgender Festsetzung muss nicht unbedingt angehört werden. Dir war bewusst,  dass es zu einer Überzahlung kommen könnte.
Du hast zusätzlich zu manch anderem LE den Freibetrag auf Erwerbseinkommen und den Alleinerziehenden Zuschlag. Da wirst du wohl 10% Aufrechnung verkraften können.
Titel: Re: Aufrechnung wegen endgültigem Bescheid rechtens?
Beitrag von: Flip am 19. November 2021, 18:58:30
Zitat von: JensM1 am 19. November 2021, 17:25:23Anhörung nachholen macht den Bescheid ja nicht "anders"

Nein, stellt ihn aber auf formell korrekte Füße. Das bedeutet, dass, wenn die Aufrechnung rechtlich korrekt ist (und ich kann hier nicht erkennen, wieso das nicht der Fall sein sollte, denn es liegt ein Normalfall vor, im Gegenteil, durch den FB Erwerbstätigkeit und MB Alleinerziehung hat die TE mehr Mittel als ein LE ohne Zusatzleistungen), ist das nur eine Frage der Kosten des Widerspruchs. Es wird ein Formfehler geheilt, so dass trotz fehlendem Erfolg des Widerspruchs die Kosten des Widerspruchs zu übernehmen sind. Das ist einfach nur eine für Anwälte nette Regelung, bringt aber nichts.

Zitat von: Yavanna am 19. November 2021, 17:58:12Nach vorläufiger Bewilligung und darauf folgender Festsetzung muss nicht unbedingt angehört werden.

Naja, für die endgültige Festsetzung nicht, da einkommensabhängige Leistungen den tatsächlichen Verhältnissen angepasst werden sollen. Aber für die Aufrechnung muss angehört werden.