Menschenwürde geht selbst durch ‚unwürdiges‘ Verhalten nicht verlor

Begonnen von Zatoo, 04. August 2024, 23:52:59

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Zatoo

2019 bereits ein Urteil des Verfassungsgerichts gegeben, das an dieser Stelle wegweisend wäre. Damals betonten die Richter und Richterinnen die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, auf die jede Person Anspruch habe. Besonders bedeutend folgender Satz in der Urteilsbegründung: ,,Die den Anspruch fundierende Menschenwürde steht allen zu und geht selbst durch vermeintlich ,unwürdiges' Verhalten nicht verloren."
https://www.merkur.de/wirtschaft/sollte-buergergeld-fuer-totalverweigerer-komplett-gestrichen-werden-zr-93214717.html

DANN DÜRFTE ES KEINE SANKTIONEN GEHEN.
Die Sozialgerichte müssten sich an das Urteil von 2019 halten!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

peter_m

Zitat von: Zatoo am 04. August 2024, 23:52:59DANN DÜRFTE ES KEINE SANKTIONEN GEHEN. Die Sozialgerichte müssten sich an das Urteil von 2019 halten!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

Du hättest den Artikel zu Ende lesen sollen.
Dann hättest Du auch von den im Gerichtsurteil ausgeführten Abweichungen vom Grundsatz "Die den Anspruch fundierende Menschenwürde steht allen zu und geht selbst durch vermeintlich ,unwürdiges' Verhalten nicht verloren."
gelesen.

Vollloser

Hier mal eine juristische Kommentierung zu dem BverfG-Urteil von 2019: https://aktuelle-sozialpolitik.de/2019/11/06/ein-sowohl-als-auch-urteil/

Ein Auszug:
»Die zentralen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung staatlicher Grundsicherungsleistungen ergeben sich aus der grundrechtlichen Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG). Gesichert werden muss einheitlich die physische und soziokulturelle Existenz. Die den Anspruch fundierende Menschenwürde steht allen zu und geht selbst durch vermeintlich ,,unwürdiges" Verhalten nicht verloren.«

Nicht wenige werden hier die Umrisse eines bedingungslosen Grundeinkommens erkennen und wenn sie Befürworter einer solchen Welt sind entsprechend frohlocken. Aber wie so oft im Leben folgt die Ernüchterung sofort im Anschluss an den kurzen Moment der Freude. Denn bereits im nächsten Satz heißt es:
»Das Grundgesetz verwehrt es dem Gesetzgeber aber nicht, die Inanspruchnahme existenzsichernder Leistungen an den Nachranggrundsatz zu binden, also nur dann zur Verfügung zu stellen, wenn Menschen ihre Existenz nicht vorrangig selbst sichern können, sondern wirkliche Bedürftigkeit vorliegt.«

Und um das, was hier konstatiert wird, nochmals zu unterstreichen, schieben die Verfassungsrichter einen zweiten Leitsatz sicherheitshalber und unmissverständlich hinterher:
»Der Gesetzgeber kann erwerbsfähigen Menschen, die nicht in der Lage sind, ihre Existenz selbst zu sichern und die deshalb staatliche Leistungen in Anspruch nehmen, abverlangen, selbst zumutbar an der Vermeidung oder Überwindung der eigenen Bedürftigkeit aktiv mitzuwirken. Er darf sich auch dafür entscheiden, insoweit verhältnismäßige Pflichten mit wiederum verhältnismäßigen Sanktionen durchzusetzen.«

Anders formuliert: Das Bundesverfassungsgericht konstatiert unmissverständlich, dass in einem bedürftigkeitsabhängigen Sozialhilfesystem – und darum geht es im SGB II -, der Staat sehr wohl das Recht hat, a) die Bedürftigkeit (und deren Fortexistenz) zu prüfen und b) darüber hinaus auch die aktive Mitwirkung der Leistungsempfänger einfordern darf, sich an der Überwindung der Hilfsbedürftigkeit zu beteiligen und diese voranzutreiben. Und sollte er oder sie das nicht tun, dann kann der Staat mit – ,,verhältnismäßigen" – Sanktionen dies auch durchzusetzen versuchen.
Das Adjektiv ,,verhältnismäßig" ist nun der Schlüssel, um den dritten Leitsatz des Urteils zu verstehen und einordnen zu können:
»Wird eine Mitwirkungspflicht zur Überwindung der eigenen Bedürftigkeit ohne wichtigen Grund nicht erfüllt und sanktioniert der Gesetzgeber das durch den vorübergehenden Entzug existenzsichernder Leistungen, schafft er eine außerordentliche Belastung. Dies unterliegt strengen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit; der sonst weite Einschätzungsspielraum zur Eignung, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit von Regelungen zur Ausgestaltung des Sozialstaates ist hier beschränkt ... Zudem muss es den Betroffenen tatsächlich möglich sein, die Minderung existenzsichernder Leistungen durch eigenes Verhalten abzuwenden; es muss also in ihrer eigenen Verantwortung liegen, in zumutbarer Weise die Voraussetzungen dafür zu schaffen, die Leistung auch nach einer Minderung wieder zu erhalten.«

Fazit dazu also:
Ungeachtet jetzt mal des von Hause aus schon deutlich zu klein gerechneten sog. "Regelsatzes" (gruseliges Wort !) (!!), endet die Verhältnismäßigkeit, und Zumutbarkeit, von Sanktionen im Bürgergeld/Hartz4 laut BverfG definitiv bei 30 % !!
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