LSG: Kein Entschädigungsanspruch bei überlangen Verfahren (Hartz IV)

Begonnen von Meck, 06. Dezember 2016, 13:50:32

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Ratlos

Das wäre eine Klage gegen den Staat. z.B. geht ohne Verzögerungsrüge / Verspätungsrüge im laufenden Verfahren gar nichts. Das Gericht hat zwar eine Prozessförderungspflicht aber gut 50 % der Urteile halten sich nicht im zeitlichen Rahmen.
Schon eine z.B. sehr langwierige Beweisaufnahme steht in so engem Zusammenhang mit dem späteren Urteil, dass man von einer Verzögerung kaum erfolgreich reden kann.
Ja freilich gibts da Urteile.
Der EUGH bejaht Verzögerung nach 1 Jahr pro Instanz, der BFH dagegen 2 Jahre.
Das alles gilt aber nur für Straf- und Zivilverfahren nicht aber für Verwaltungsverfahren.

PetraL

Ich bezog mich da eigentlich auf Verfahren gegen das Jobcenter, wie @Gast22325 geschrieben hatte.

Ratlos

Zitat von: PetraL am 14. Juli 2022, 21:06:38Ich bezog mich da eigentlich auf Verfahren gegen das Jobcenter, wie @Gast22325 geschrieben hatte.
Jobcenter sind gemeinsame Einrichtungen der Bundesanstalt (BA) und damit staatlich.
Eine Entschädigungsklage wird somit gegen den Staat und nicht gegen das Jobcenter geführt :smile:
Bevor so eine Klage überhaupt möglich ist müssen besstimmte Voraussetzungen vorliegen.
Wie ich schon schrieb: z.B. eine Verzögerungsrüge im laufenden Verfahren


Ratlos

Danke Jan. Der Link ist nicht neu. Er bezieht sich auf eine Verfahrensdauer von 4 Jahren.
Zitat von: Ratlos am 14. Juli 2022, 18:31:37Der EUGH bejaht Verzögerung nach 1 Jahr pro Instanz, der BFH dagegen 2 Jahre.
Das alles gilt aber nur für Straf- und Zivilverfahren nicht aber für Verwaltungsverfahren



PetraL

Zitat von: Ratlos am 15. Juli 2022, 10:21:05Wie ich schon schrieb: z.B. eine Verzögerungsrüge im laufenden Verfahren
Ja. Und da bei uns eine solche bis jetzt (vermutlich) noch nicht erfolgte, wird es auch keinen Entschädigungsanspruch geben, denke ich mal. Unser RA schweigt sich hierüber leider aus ...  :no:

Ferenz

Zeit für eine Verlängerung dieses Threads:

1)
z.B. LSG der Länder Berlin und Brandenburg, Urteil vom 28.01.2022 - L 37 SF 284/19 EK AS

Zitat1. Verfahrensverlängerungen, die darauf zurückzuführen sind, dass das Ver-fahren (weiterhin) geruht hat, obwohl objektiv kein Ruhensgrund (mehr) vor-lag, fallen zumindest auch in den Verantwortungsbereich des Gerichts und sind somit dem Staat zuzurechnen.

https://openjur.de/u/2388436.html


2.) BSG, Beschluss vom 20.05.2022 - Aktenzeichen B 10 ÜG 1/22 B, DRsp Nr. 2022/9458

Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer Divergenzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Voraussetzungen für die Senkung der Entschädigungspauschale

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 8. September 2021 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1526,24 Euro festgesetzt

Normenkette:
GVG § 198 ; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2 ;
Gründe

I

Die Klägerin begehrte ursprünglich eine Geldentschädigung von 5900 Euro für die Dauer des von ihr geführten Verfahrens vor dem SG für das Saarland (Az S 12 AS 552/12). In diesem Ausgangsverfahren war die einmalige Zahlung von Fahrtkosten in Höhe von 14,30 Euro streitig. Das LSG als Entschädigungsgericht hat den Beklagten verurteilt, der Klägerin 170 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Die Dauer des Ausgangsverfahrens vor dem SG weise eine unangemessene Verfahrensdauer von 41 Monaten auf, von denen lediglich 17 Monate zu entschädigen seien. Die Verzögerungen im Ausgangsverfahren würden zumindest teilweise durch die zügige Bearbeitung des anschließenden Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens ausgeglichen. Zudem sei aufgrund der Vielzahl der Verfahren, die die Klägerin führe, der Orientierungswert von 12 Monaten Vorbereitungs- und Bedenkzeit auf 18 Monate zu erhöhen. Das neben dem Hauptsacheverfahren geführte Prozesskostenhilfeverfahren führe als dessen Annex nicht zu einem eigenständigen Entschädigungsanspruch. Zwar sei die bloße Feststellung, dass die Verfahrensdauer unangemessen gewesen sei, im vorliegenden Fall nicht ausreichend. Allerdings sei ein höherer Entschädigungsbetrag als 10 Euro pro Monat der Verzögerung, also insgesamt 170 Euro, im Hinblick auf den geringen Streitwert im Ausgangsverfahren unbillig (Urteil vom 8.9.2021).

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt und in der Hauptsache noch eine Geldentschädigung von 1700 Euro abzüglich gezahlter 173,76 Euro begehrt. Sie macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Divergenz und Verfahrensmängel geltend.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG )...

https://www.rechtsportal.de/Rechtsprechung/Rechtsprechung/2022/BSG/Entschaedigung-wegen-ueberlanger-Verfahrensdauer-Divergenzruege-im-Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren-Voraussetzungen-fuer-die-Senkung-der-Entschaedigungspauschale

Ratlos

@ Ferenz
Ganz so einfach ist ein Amtshaftungsanspruch nicht durchzusetzten. Verklagt wird ja der Staat.
Dem liegt ein sog. Piloturteil des EMRK von 2010 zugrunde.
Da müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein.
Zuerst ist eine Verzögerungsrüge zwingend notwendig, damit das Gericht regaieren und Abhilfe schaffen kann.
So eine Rüge ist aber nur zulässig, wenn begründete Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen wird. Für das Ruhen eines Verfahrens ist die Zustimmung des Gegners erforderlich.
Nach der Verzögerungsrüge besteht 6 Monate Wartezeit bis eine Verzögerungsklage eingereicht werden kann. -siehe § 198 Abs. 5 GVG

Wie "Überlang" auszulegen ist so kommt es vor allem auch auf das Verhalten der Beteiligten im Ausgangsprozess an.
Dann kommt noch hinzu, dass derjenige derjenige der Entschädigung geltend macht, den Kausalzusammenhang beweisen muss. Es müssen verfassungsrechtliche Normen verletzt sein.
Und Geld gibts überhaupt nur dann wenn anderweitige Wiedergutmachung nicht greift und ein nachweisbarer materieller Schaden durch die überlange Dauer entstanden ist.
In deinem Urteil zu Punkt 1 gab es kein Geld sondern nur die Widergutmachung in Form der Feststellung der überlangen Dauer.
Alles nicht so einfach wie es sich anhört. Das siehst du schon daran, dass die Klägering Urteil Punk 2 eine völlig unsubstantiierte Begründung abgegeben hat, womit die Abweisung vorprogrammiert war.

@ PetraL
Zitat von: PetraL am 15. Juli 2022, 12:50:17Ja. Und da bei uns eine solche bis jetzt (vermutlich) noch nicht erfolgte, wird es auch keinen Entschädigungsanspruch geben, denke ich mal. Unser RA schweigt sich hierüber leider aus ...
Du wirst sicher keine Entschädigung bekommen, denn eine Verzögerung durch das SG ist echt nicht erkennbar.

Ferenz

@ Ratlos: Nach Inkrafttreten der im Dezember 2011 mit § 198 GVG geltenden neuen Rechtsschutzmöglichkeit ist eine nach ZPO geltende Beweislast der Klagepartei in ÜGG-Verfahren nicht mehr erforderlich, denn diese Neuregelung des § 198 GVG setzt einen solchen Kausalitätsnachweis für einen Entschädigungsanspruch nicht mehr voraus, da der entschädigungspflichtige Nachteil bereits in der unangemessenen Dauer liegt.

Es handelt nach dem sog. EGMR-Piloturteil und der Schaffung einer neuen Rechtslage mit dem neuen Rechtsbehelf, der nach Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 6 Abs. 1 MRK einen geschriebenen Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit gewährt!

Im Gegensatz zu Deiner nunmehr veralteten Ansicht geht es im ÜGG nicht um einen Amtshaftungsanspruch wegen Pflichtverletzungen von Amtsträgern oder um einen materiellen Anspruch auf irgendwelchen Schadensersatz, für die grundsätzlich die Zivilgerichtbarkeit vor dem Landgericht bzw. den Amtsgerichten zuständig ist.

Nach der Intention des Gesetzgebers zielt § 198 GVG in erster Linie auf eine ,,angemessene" Entschädigung (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG), denn in diesem Entschädigungsverfahren kann für die sog. immateriellen Nachteile – zum Beispiel für seelische und körperliche Belastungen durch das zu lange Verfahren verlangt werden, –, soweit eine Wiedergutmachung auf andere Weise nicht ausreichend ist (§ 198 Abs. 2 GVG).

Neben dem Ausgleich für die immateriellen Nachteile ist zusätzlich eine angemessene Entschädigung für materielle Nachteile vorgesehen, etwa wenn die unangemessene Verfahrensdauer zur Insolvenz eines Unternehmens führt.

Der Entschädigungsanspruch hängt nicht von einem Verschulden ab.

Neben der Entschädigung sind zusätzlich – wie bisher schon – Amtshaftungsansprüche denkbar, wenn die Verzögerung auf einer schuldhaften Amtspflichtverletzung beruht. Dann kann umfassend Schadensersatz verlangt werden, etwa auch der Ersatz von entgangenem Gewinn.

https://www.burhoff.de/veroeff/aufsatz/StRR_2012_4.htm

Mir ist seit 2014-2019 anlaßlich meiner LSG-ÜGG-Verfahrensbeobachtungen in Potsdam schon längst klar geworden, daß es insbesondere für gerichtsbekannte "Vielkläger-Querulanten" eine große Hürde gibt, sich mit ihren Entschädigungsklagen durchzusetzen.

Als Berliner war ich einige Male zu Terminen eines Klägers aus Neuköln gefahren und habe erlebt, wie die Vors. Richterin Braun des 37. LSG-Senats überraschend am 28.4.2016 eine beachtenswerte eigene Doktrin anwendete und eine Grenzlinie in Bezug auf vom Kläger verursachte Verfahrenverzögerungen bekanntgab:

"Leitsätze
Nimmt ein Kläger eine Gerichtsbarkeit exzessiv, wenn nicht sogar zu sachfremden Zwecken in Anspruch, bindet er durch die Art seiner Verfahrensführung unnötige Arbeitskapazitäten bei den Gerichten und sind die Klagebegehren von erheblichem Anspruchsdenken geprägt, kann die den Gerichten regelmäßig im Umfang von zwölf Monaten zur Verfügung stehende Vorbereitungs- und Bedenkzeit verlängert werden (hier: auf 18 Monate für das sozialgerichtliche Verfahren)."

"Bei dem geltend gemachten Anspruch auf Gewährung einer Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer handelt es sich nicht um einen Amtshaftungsanspruch im Sinne des Art. 34 des Grundgesetzes (GG)."

https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/legacy/186051?modul=esgb&id=186051
 

Ratlos

@  Ferenz
du zitierst hier einen § nach dem andern und strapazierst die hm. der Rechtsprechung, was so nichts bringen kann.
Vor allem § 198 GVG interpretierst du im Kontext mit der hm. etwas "oberflächlich".

Ob Anspruch in Geld auf Entschädigung besteht kann dir hier nach deinen bisherigen Ausführungen keiner beantworten, weil die Zeitdauer alleine für sich nicht ausschlaggebend ist.

Wir wissen bis zur Stunde nicht
- wurde eine Verzögerungsrüge gemacht und wie hast ist die begründet und was war die Antwort des Gerichts (muss ja im Sitzungsprotokoll verzeichnet sein)
- wir kennen nicht den Umfang des Ermittlungsbedarfs der Rechtssache
- liegt Inaktivität des Gerichts vor trotz Verzögerungsrüge?
- sehr wichtig ist WANN genau Entscheidungsreife des Verfahrens gegeben war
- wir wissen auch nicht die Zeitspanne zwischen Entscheidungsreife und Zugang des Urteils (1/2 Jahr wäre noch angemessen).
- wir wissen nicht ob Dritte (z.B. Gutachter/Sachverständige) am Verfahren beteiligt waren und was ggf. das Gericht für eine Verfahrensbeschleunigung angeordnet hat
- wir kennen nicht den Tenor des Urteils um zu sehen ob es den generalpräventiven Charakter des § 198 GVG wiederspiegelt.

Das alles ist erstmal wichtig um feststellen zu können ob ein geldwerter Entschädigungsanspruch besteht oder ob anderweitige Wiedergutmachung ausreicht.
Das zitieren von § und Urteilen ist derzeit unerheblich denn es kommt hier immer auf den Einzelfall, d.h. allein auf das betreffende Verfahren an und was sich im Verfahrensverlauf alles abgespielt hat.

Das Urteil LSG Berling-Brandenburg ist ein Einzelfall. Dort wurde das Verfahren ruhend gestellt obwohl kein Ruhegrund mehr vorhanden war.
Wenn ich schon Nichtzulassungsbeschwerde lese wegen eines Ausgangsbetrages von 14,30 € könnte man an die Decke gehen. Solche Leute sind reine Streithansel wohl aus Langeweile.
Auch das Urteil mit der Divergenzrüge greift im vorliegenden Fall nicht weil die Möglichkeit der Anwendung einer revisiblen Norm nicht erkennbar ist.

Damit beende ich diesen Faden für mich. Weiteres bringt ja nichts, außer endloser Diskussion.