Unterschied zwischen Bedarfsanteilsmethode und Vertikalmethode

Begonnen von Ottokar, 15. November 2008, 12:59:46

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Ottokar

Um zu beurteilen, ob eine Person tatsächlich Hilfebedürftig ist, muss man nach der sog. Vertikalmethode rechnen, nicht nach der Bedarfsanteilsmethode.
Bei der Bedarfsanteilsmethode wird das Einkommen eines Mitgliedes der BG auf alle anderen verteilt, und zwar prozentual nach Menge der Bedürftigkeit.




Bedarfsanteilsmethode Beispiel 1

Die BG besteht aus 2 Personen.
Einkommen Person 1: 1500€ Brutto, 1100€ Netto
Einkommen Person 2: 0€
Unterkunftskosten ges.: 400€

Zuerst muss das anrechenbare Einkommen ermittelt werden:
Grundfreibetrag: 100€
Freibetrag 1: 180€ (20% des Brutto von 100,01€ bis 1000,00€; hier von 900€)
Freibetrag 2: 20€ (10% des Brutto von 1000,01€ bis 1200,00€, bei mind. einem mind. Kind in der BG bis 1500€; hier von 200€)
gesamt: 300€
anrechenbares Einkommen = 1100€ Netto - 300€ Freibeträge = 800€

dann der Bedarf:
- Bedarf Person1: 353€ Regelbedarf + 200€ Anteil KdU (1/2) = 553€
- Bedarf Person2: 353€ Regelbedarf + 200€ Anteil KdU (1/2) = 553€
Gesamtbedarf = 1106€

anschließend wird je Person der prozentuale Anteil des individuellen am Gesamtbedarf errechnet:
Gesamtbedarf: 1106€ = 100%
davon
Bedarf Person1: 553€ = 50%
Bedarf Person2: 553€ = 50%

das anrechenbare Einkommen von Person1 (800€) wird nun nach diesen Prozentanteilen wie folgt verteilt:
50% davon Person1: 400€
50% davon Person2: 400€

abschließend wird das so errechnete anrechenbare Einkommen je Person zuerst vom Regelbedarf und ein ev. verbleibender Rest von den Unterkunftskosten abgezogen:
Person1
353€ Regelbedarf
- 400€ verteiltes anrechenbares Einkommen
= -47€ Anspruch Regelbedarf (wenn Negativ dann weiter anrechenbares Resteinkommen)
200€ Anteil KdU
- 47€ anrechenbares Resteinkommen
= 153€ Anspruch Unterkunftskosten

Person2
353€ Regelbedarf
- 400€ verteiltes anrechenbares Einkommen
= -47€ Anspruch Regelbedarf (wenn Negativ dann weiter anrechenbares Resteinkommen)
200€ Anteil KdU
- 47€ anrechenbares Resteinkommen
= 153€ Anspruch Unterkunftskosten




Bedarfsanteilsmethode Beispiel 2

Wenn zu Beispiel 1 ein Kind hinzu kommt, sieht das etwas anderst aus.
Da Kinder im SGB II ihren Eltern keinen Unterhalt schulden, darf bei der Berechnung das Einkommen eines Kindes auch nur diesem Kind zugeordnet werden.
Die Berechnung zur Ermittlung der Bedarfsanteile würde dann wie folgt aussehen.

Die BG besteht aus 3 Personen, davon ein Kind von 5 Jahren.
Einkommen Person 1: 1500€ Brutto, 1100€ Netto
Einkommen Person 2: 0€
Einkommen Kind: 184€ Kindergeld
Unterkunftskosten ges.: 600€

Zuerst muss das anrechenbare Einkommen ermittelt werden:
Person 1
Grundfreibetrag: 100€
Freibetrag 1: 180€ (20% des Brutto von 100,01€ bis 1000,00€; hier von 900€)
Freibetrag 2: 50€ (10% des Brutto von 1000,01€ bis 1200,00€, bei mind. einem mind. Kind in der BG bis 1500€; hier von 500€)
gesamt: 330€
anrechenbares Einkommen = 1100€ Netto - 330€ Freibeträge = 770€

Kind
anrechenbares Einkommen = 184€ KiGe - 0€ Freibeträge = 184€

dann der Bedarf:
- Bedarf Person1: 353€ Regelbedarf + 200€ Anteil KdU (1/3) = 553€
- Bedarf Person2: 353€ Regelbedarf + 200€ Anteil KdU (1/3) = 553€
- Bedarf Kind: 261€ Regelbedarf + 200€ Anteil KdU (1/3) = 461€ - 184€ KiGe = 277€ (Einkommen des Kindes mindert nur dessen Bedarf)
Gesamtbedarf = 1383€

anschließend wird je Person der prozentuale Anteil des individuellen am Gesamtbedarf errechnet:
Gesamtbedarf 1383€ = 100%
davon
Bedarf Person1 553€ = 40%
Bedarf Person2 553€ = 40%
Bedarf Kind 277€ = 20%

das anrechenbare Einkommen von Person1 (770€) wird nun nach diesen Prozentanteilen verteilt:
40% davon Person1 = 308€
40% davon Person2 = 308€
20% davon Kind = 154€

abschließend wird das so errechnete anrechenbare Einkommen je Person zuerst vom Regelbedarf und ein ev. verbleibender Rest von den Unterkunftskosten abgezogen:
Person1
353€ Regelbedarf
- 308€ verteiltes anrechenbares Einkommen
= 45€ Anspruch Regelbedarf (wenn Negativ dann weiter anrechenbares Resteinkommen)
200€ Anteil KdU
- 0€ anrechenbares Resteinkommen
= 200€ Anspruch Unterkunftskosten

Person2
353€ Regelbedarf
- 308€ verteiltes anrechenbares Einkommen
= 45€ Anspruch Regelbedarf (wenn Negativ dann weiter anrechenbares Resteinkommen)
200€ Anteil KdU
- 0€ anrechenbares Resteinkommen
= 200€ Anspruch Unterkunftskosten

Kind
261€ Regelbedarf
- 184€ Kindergeld
- 154€ verteiltes anrechenbares Einkommen
= - 77€ Anspruch Regelbedarf (wenn Negativ dann weiter anrechenbares Resteinkommen)
200€ Anteil KdU
- 77€ anrechenbares Resteinkommen
= 123€ Anspruch Unterkunftskosten




Vertikalmethode

Die Vertikalmethode wird angewendet, um zu ermitteln, ob eine Person (hier Person1 als Enkommensbezieher) tatsächlich individuell hilfebedürftig ist und damit allen Pflichten des SGB II unterliegt:

770€ anrechenbares Einkommen - (353€ Regelsatz + 200€ Anteil KdU) 553€ Bedarf = 217€ Resteinkommen, d.h. diese Person ist tatsächlich individuell nicht hilfebedürftig

Hier ist das anrechenbare Einkommen (um 217 Euro) höher als der eigene Bedarf, d.h. diese Person ist per Definition (§ 9 Abs. 1 SGB II) eigentlich nicht hilfebedürftig, obwohl sie aufgrund der Bedarfsanteilsmethode ALG II erhält.
Diejenige Person einer BG, die ihren Bedarf mit eigenem Einkommen decken kann und nur Aufgrund der sog. Bedarfsanteilsmethode (§ 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II) ALG II erhält, unterliegt zwar noch dem Rechtskreis des SGB II, dieser muss hier jedoch verfassungskonform umgesetzt werden (BGH vom 7/7/04 AZ: XII ZR 272/02, BSG vom 07.11.2006, Az. B 7b AS 8/06 R). D.h. das JC kann z.B. an sie keinerlei Forderungen mehr richten, welche auf die Eingliederung oder Bedarfsminderung (=Einkommenserhöhung) abzielen, wie z.B. Bewerbungen, Teilnahme an Eingliederungsmaßnahmen.
Meine Beiträge beinhalten oder ersetzen keine anwaltliche Beratung oder Tätigkeit.
Für eine verbindliche Rechtsberatung und -vertretung suchen Sie bitte einen Anwalt auf.


Ottokar

#1
Wird derzeit überarbeitet

Berechnung Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit (§ 3 ALG II-V):
(vereinfachte Darstellung)

Grundlagen
Jeder Selbstständige, der auch ALG II bezieht, muss zwei Bücher führen: eines für das Finanzamt nach steuerrechtlichen Vorschriften und eines für das Jobcenter entsprechend den Vorschriften des SGB II und der ALG II-V über die Einkommensberechnung. Diese zwei Rechtsgebiete muss man zwingend trennen! Denn entgegen steuerrechtlichen Vorschriften sind bei der Einkommensberechnung für das SGB II nach § 3 ALG II-V erforderliche Betriebsausgaben immer in voller Höhe abzusetzen.

Durchschnittseinkommen
Das Jobcenter muss für den Bewilligungszeitraum - oder falls die Selbstständigkeit nur während eines Teiles des Bewilligungszeitraumes ausgeübt wurde, dann entsprechend anteilig - alle in diesem Zeitraum erzielten Betriebseinnahmen und alle angefallenen Betriebsausgaben gegenüberstellen und aus dem so errechneten Gewinn ein monatliches Durchschnittseinkommen bilden: § 3 ALG II-V.
Dieses Durchschnittseinkommen bildet dann das monatliche Bruttoeinkommen, von dem die Absetzbeträge nach § 11 Abs. 2 SGB II abzusetzen sind. Das verbleibende Einkommen wird dann mindernd auf ALG II angerechnet.

abschließende Berechnung
Eine abschließende Berechnung kann i.d.R. immer erst nach dem Ende des aktuellen Bewilligungszeitraumes und der Vorlage aller relevanten Unterlagen, i.d.R. mittels einer abschließenden EKS, erfolgen.
Achtung!
Die abschließende EKS muss innerhalb von 2 Monaten nach dem Ende des Bewilligungszeitraums erfolgen (§ 3 Abs. 6 ALG II-V).
Wenn das Jobcenter mehr Einkommen angerechnet und somit zu wenig ALG II gezahlt hatte, muss das Jobcenter dieses nicht von sich aus nachzahlen, sondern man muss - zusätzlich zur abschließenden EKS - den Erlass eines endgültigen Bescheides beantragen (§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 2 SGB III).
Eine abschließende EKS muss also immer mit einem Antrag auf Erlass eines endgültigen Bescheides ergänzt werden.
Sollten sich danach nochmal Änderungen am Gewinn/Einkommen ergeben, z.B. aufgrund einer Steuernachzahlung für einen beendeten Bewilligungszeitraum, muss man die Bescheide des betroffenen Bewilligungszeitraumes mittels Überprüfungsantrag anfechten und eine Neuberechnung unter Berücksichtigung der Steuernachzahlung fordern.

Gewinn
Gewinn = Betriebseinnahmen - notwendige tatsächliche Betriebsausgaben
Bei den Betriebsausgaben dürfen die nach § 11 Abs. 2 SGB II möglichen Absetzbeträge nicht berücksichtigt werden.
Bei Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs können für betriebliche Fahrten 0,10 Euro für jeden gefahrenen Kilometer abgesetzt werden (Fahrtenbuch).
Dieser so ermittelte Gewinn wird dann wie Einkommen nach § 11 SGB II behandelt.

Anlage EKS
In der Anlage EKS wird von selbstständigen Hilfebedürftigen erwartet, eine Glaskugelprognose zu stellen, wieder mal ein Beweis für die vollkommene Unfähigkeit unserer Politiker.
Hier hat sich folgender Zusatz bewährt:
Mir ist es nicht möglich für die Zukunft detailliert für jeden einzelnen Monat zu planen, wann ich Büromaterial brauche, wann ich für wie viel Geld telefoniere, wann ich welche Betriebsmittel und Waren zu welchen Preisen ein- und verkaufen kann bzw. muss. Ich versichere aber, dass in die voraussichtliche Gewinnsumme keine vermeidbaren Ausgaben eingeflossen sind. Abschreibungen aus den Vorjahren sind nicht enthalten. Die Telefonkosten wurden, wie gefordert, bei der Schätzung zur Hälfte privat und zur Hälfte gewerblich angenommen. Ausgaben, die bei der Bereinigung des Einkommens berücksichtigt werden sind ebenfalls nicht enthalten. Abschließende detaillierte Angaben bekommen Sie nach Ende des Bewilligungszeitraumes.
Damit bin ich meiner Mitwirkungspflicht nach §§ 60 und 65 SGB I voll und ganz nachgekommen.

Meine Beiträge beinhalten oder ersetzen keine anwaltliche Beratung oder Tätigkeit.
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