Bürgergeld Worst-Case-Szenario

Begonnen von grapefruit, 19. September 2023, 13:06:02

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grapefruit

Hallo,

Ich habe eine Frage in Bezug auf das Worst-Case-Szenario wenn man nicht auf Briefe reagiert, bzw nicht zu Terminen erscheint.
Mein Sohn hat mir erzählt das er Bürgergeld beantragt hat (er lebt alleine) und das er vor hat nicht zu Terminen zu erscheinen.
Nun mache ich mir natürlich Sorgen.
Was ich bisher finden konnte war das sein Geld bis zu 30% gekürzt werden kann. Aber was passiert danach? Wenn er weiterhin nicht mit dem Jobcenter kooperiert, würde er dann einfach 'nur' 70% des Geldes erhalten und das wärs? Oder würde da schlimmeres auf ihn zukommen, wie gelbe Briefe, Rückzahlung des erhaltenen Geldes, etc.?

Viele Grüße

Phil_N

Sehr wahrscheinlich wird seine Zahlung von Jobcenter eingestellt werden, nachdem er 3 Mal in Folge nicht zu Terminen erschienen ist, weil dann angenommen wird, dass er sich nicht mehr im Zuständigkeitsbereich des JC aufhält. Das ist keine Vollsanktion (die gibt es nicht mehr). Das Geld fließt wieder ab dem Zeitpunkt, wo er sich dann beim JC meldet.

Nebenbei gefragt: Hast du deinen Sohn mal gefragt, was er sich davon verspricht, nicht auf Briefe des JC zu reagieren?
"In jedem Dorf gibt es eine Fackel, den Lehrer, und jemanden, der dieses Licht löscht, den Pfarrer." (Victor Hugo)

grapefruit

Soweit ich weiß hatte er unschöne Erfahrungen dort in der Vergangenheit gemacht mit den Bearbeitern (er hat in der Vergangenheit bereits Hartz 4 erhalten).
Das sie ihm das Geld komplett streichen würden wäre natürlich gar nicht gut. Was müsste er denn machen damit er zumindest die 70% dauerhaft erhalten könnte, sollte ich ihn nicht dazu bringen können zu den Terminen zu erscheinen. Auf Arbeitsstellen bewerben und Nachweise einreichen?

Ottokar

#3
Zitat von: Phil_N am 19. September 2023, 13:14:22Sehr wahrscheinlich wird seine Zahlung von Jobcenter eingestellt werden, nachdem er 3 Mal in Folge nicht zu Terminen erschienen ist, weil dann angenommen wird, dass er sich nicht mehr im Zuständigkeitsbereich des JC aufhält.
Da die postalische Erreichbarkeit seit 01.01.2023 keine Anspruchsvoraussetzung mehr auf Bürgergeld ist, wäre ein solches Vorgehen rechtswidrig.

Solange der Bub "nur" nicht auf Meldeaufforderungen reagiert, kann ihm nichts weiter passieren, als das er sanktioniert wird und ab der 3. Meldepflichtverletzung nur noch 70% der Regelleistung bekommt - im Extremfall dauerhaft.
Allerdings hat das BSG (B 14 AS 19/14 R) klargestellt, dass mehr als 3 aufeinanderfolgende Meldeaufforderungen nicht zulässig sind, ebensowenig eine Leistungseinstellung wegen 3maliger Nichtmeldung.
Meine Beiträge beinhalten oder ersetzen keine anwaltliche Beratung oder Tätigkeit.
Für eine verbindliche Rechtsberatung und -vertretung suchen Sie bitte einen Anwalt auf.


Birgit63

Wenn man Bürgergeld bezieht hat man auch Pflichten. Die sollte man schon erfüllen. Er weiß doch noch gar nicht, ob er nicht einen anderen Bearbeiter hat. Wenn er schon so anfängt, dann sind Probleme vorprogrammiert.

Phil_N

Zitat von: Ottokar am 19. September 2023, 14:46:11Da die postalische Erreichbarkeit seit 01.01.2023 keine Anspruchsvoraussetzung mehr auf Bürgergeld ist, wäre ein solches Vorgehen rechtswidrig.

Seit dem 08.08.2023 ist eine neue ErrV in Kraft. Siehe hier: https://harald-thome.de/files/pdf/2023/ErrV%20Erreichbarkeitsverordnung%20ab%2008.08.2023.pdf

Richtig ist, dass die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person jetzt nur noch sicherzustellen hat, dass sie Mitteilungen und Aufforderungen des zuständigen Jobcenters werktäglich zur Kenntnis nehmen kann (was auch durch andere Personen geschehen kann, die z. B. die Post checken). Sie muss nicht mehr zwingend jeden Tag zuhause sein.

Das ändert aber rein gar nix daran, dass die meisten Jobcenter wie bisher so verfahren, dass nach 3-4 Einladungen in Folge, auf die ohne Angaben von Gründen gar nicht reagiert wird, eine Zahlungseinstellung erfolgt, bis die Person wieder im JC vorspricht. Da wird dann eben nicht auf die ErrV Bezug genommen bei der Begründung, sondern darauf, dass der eLB seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt.

Ich sage nicht, dass dieses Vorgehen gesetzeskonform ist, ist sage nur: In der Praxis wird meist so verfahren, wie ich geschrieben habe.
"In jedem Dorf gibt es eine Fackel, den Lehrer, und jemanden, der dieses Licht löscht, den Pfarrer." (Victor Hugo)

Harald53

Zitat von: Phil_N am 19. September 2023, 16:39:16Das ändert aber rein gar nix daran, dass die meisten Jobcenter wie bisher so verfahren, dass nach 3-4 Einladungen in Folge, auf die ohne Angaben von Gründen gar nicht reagiert wird, eine Zahlungseinstellung erfolgt, bis die Person wieder im JC vorspricht.
Das entspricht aber nicht dem Gesetz ...

Zitat von: Phil_N am 19. September 2023, 16:39:16Ich sage nicht, dass dieses Vorgehen gesetzeskonform ist, ist sage nur: In der Praxis wird meist so verfahren, wie ich geschrieben habe.
... was du ja hiermit auch klar bestätigst.

Völlig im ernst, dann muss geprüft werden ob in diesem Jobcenter Reichsbürger arbeiten.
(Reichsbürger sind Personen, die die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennen)

Wenn dort vorsätzlich die Gesetze nicht anerkannt und nicht eingehalten werden, scheint dort einiges im Argen zu liegen.

hotwert

Den Fall hatten wir ja erst vor ein paar Monaten. Siehe https://hartz.info/index.php/topic,131374.0.html

Der User hat auch nie reagiert und ist nicht im JC erschienen, Geld wurde eingestellt und ein Termin zum persönlichen erscheinen erteilt. Er hat dann eine Meldebscheinigung gem. §18 Absatz 1 Bundesmeldegesetz beim Einwohnermeldeamt geholt (kostet wohl 12€)
und den JC nachweislich in den Briefkasten geworfen.
Somit hat er nachgewiesen daß er noch im Zuständigkeitsbereich des JC ist, ohne persönlich dort gewesen zu sein.

Danach ist wieder Geld geflossen ohne daß er persönlich zu dem Termin im JC gegangen ist.

Hansejunge

Zitat von: grapefruit am 19. September 2023, 13:06:02Hallo,

Ich habe eine Frage in Bezug auf das Worst-Case-Szenario wenn man nicht auf Briefe reagiert, bzw nicht zu Terminen erscheint.
Mein Sohn hat mir erzählt das er Bürgergeld beantragt hat (er lebt alleine) und das er vor hat nicht zu Terminen zu erscheinen.
Nun mache ich mir natürlich Sorgen.
Was ich bisher finden konnte war das sein Geld bis zu 30% gekürzt werden kann. Aber was passiert danach? Wenn er weiterhin nicht mit dem Jobcenter kooperiert, würde er dann einfach 'nur' 70% des Geldes erhalten und das wärs? Oder würde da schlimmeres auf ihn zukommen, wie gelbe Briefe, Rückzahlung des erhaltenen Geldes, etc.?

Viele Grüße

Soweit ich es verstanden habe, nicht dass das meine Strategie ist, ist es immer hilfreich, auf Einladungen in irgendeiner Art zu reagieren. Nichts zu machen und sich tot zu stellen, bedeutet dann auch den "Tod" der Geldflüsse.

Ohne Gewähr habe ich es so verstanden, dass es beispielsweise reichen würde, per Nachweis die Einladung zum Gespräch schriftlich abzusagen, per Fax mit Sendebericht (simple-fax) oder Post mit Sendungsverfolgung. Per Fax mit nicht mal 10 Cent pro Seite und Bestätigung des Eingangs ist es wohl am günstigsten.

Und warum man zum Termin nicht erscheinen kann, darf sich dann jeder selbst ausdenken, Hauptsache das JC hat erkannt, dass man reagiert hat und "noch lebt."

Und für die Kritiker hier: NEIN, das ist nicht mein Vorgehen. Am meisten sagte bisher der SB ab, nicht ich. ;-)

cora

Ich würde mich Hansejunges "Vorschlag" anschließen.
Zitat von: Phil_N am 19. September 2023, 13:14:22Sehr wahrscheinlich wird seine Zahlung von Jobcenter eingestellt werden
Wird in der Rechtsfolgebelehrung denn darauf hingewiesen?

Milla

ZitatSomit hat er nachgewiesen daß er noch im Zuständigkeitsbereich des JC ist, ohne persönlich dort gewesen zu sein.

Das ist nicht der einzige Grund warum das JC die Zahlung einstellen kann. Es könnte doch sein das er gar nicht mehr bedürftig ist, sein Geld aus anderen Quellen bezieht, und das JC deshalb die Zahlungen einstellt.
Abschieben schafft Wohnraum:  Deutschland hat Eigenbedarf!

cora

Geht der Zahlungseinstellung kein Anhörungsschreiben voraus?

Harald53

Zitat von: cora am 20. September 2023, 13:35:21Geht der Zahlungseinstellung kein Anhörungsschreiben voraus?
Anhörungsschreiben würde bei einer Sanktion rausgehen.

Zitat von: Milla am 20. September 2023, 13:05:25Das ist nicht der einzige Grund warum das JC die Zahlung einstellen kann. Es könnte doch sein das er gar nicht mehr bedürftig ist, sein Geld aus anderen Quellen bezieht, und das JC deshalb die Zahlungen einstellt.
Hätte und könnte ist aber nicht gesetzeskonform. Leistungseinstellungen sind nur Gesetzeskonform wenn dem Jobcenter tatsachen vorliegen und nicht nur irgendwelche vermutungen.

Hary

Zitat von: hotwert am 20. September 2023, 08:41:20Somit hat er nachgewiesen daß er noch im Zuständigkeitsbereich des JC ist, ohne persönlich dort gewesen zu sein.

Die Leistungseinstellung kann aber weiterhin bestehen bleiben, da das Jobcenter den Leistungsanspruch überhaupt nicht prüfen kann, sofern der Bezieher überhaupt nicht mitwirkt. Eine Leistungseinstellung ist ja keine Sanktion, der Anspruch bleibt bestehen, wird nur bis zur Klärung nicht ausgezahlt.

Ottokar

#14
Ihr schmeißt hier Mitwirkungspflichten nach § 60 SGB I mit Meldeverstößen nach § 32 SGB II wild durcheinander.
Beides hat aber absolut nichts miteinander zu tun, es handelt sich um eigenständige Verwaltungsakte.

Ein Meldeverstoß liegt vor, wenn einer Meldeaufforderung nach § 59 SGB II mit Rechtsfolgenbelehrung über § 32 SGB II grundlos nicht nachgekommen wurde.
Bei Meldeverstößen kann lt. § 32 SGB II kann nur eine Sanktion i.H.v. 10% des Regelbedarfes erfolgen, wobei Sanktionen generell auf 30% des Regelbedarfes begrenzt sind und die Kosten für Unterkunft und Heizung nicht gemindert werden dürfen (§ 31a Abs. 4 SGB II).

Ein Verletzung der Mitwirkungspflichten nach § 60 SGB I liegt vor, wenn jemand zuvor schriftlich unter Fristsetzung und mit Rechtsfolgenbelehrung über §§ 66 und 67 SGB I zu einer konkret benannten zumutbaren und erforderlichen Mitwirkungshandlung aufgefordert wurde und diese Mitwirkung ohne wichtigen Grund unterlassen hat.
Bei Verletzung der Mitwirkungspflichten nach § 60 SGB I kann die Leistung gemäß § 66 SGB I versagt oder entzogen werden, wenn der Sachverhalt nicht anders aufgeklärt werden kann (ultima ratio). Nach § 67 SGB I wird die Leistung bei Nachholung der Mitwirkung nachträglich bewilligt (Ermessensvorschrift, Ermessen im SGB II und XII auf Null reduziert wegen Existenzsicherung).
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