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Hilfebereich => Fragen und Antworten zu anderen Sozialleistungen => Thema gestartet von: membo am 10. Januar 2022, 20:05:20

Titel: Neues Urteil des Verfassungsgerichts auch für Jugendämter zuständig?
Beitrag von: membo am 10. Januar 2022, 20:05:20
Hallo,
gestern erschien hier im Forum ein sehr interessanter Artikel über ein Urteil des Verfassungsgerichts.

Bundesverfassungsgericht: Hartz IV - Sanktionen größtenteils verfassungswidrig

Leider funktioniert der Link zur Diskussion nicht. Wenn man ihn anklickt, erhält man eine Fehlermeldung. Ich habe das gemeldet, aber die zuständigen Support-Leute haben möglicherweise ihren Mittagsschlaf noch nicht beendet.

Vielleicht kann mir hier jemand Antwort auf meine Fragen geben.

In dem Beitrag wird immer nur auf Entscheidungen des JC Bezug genommen.

Wie aber ist es bei Entscheidungen des Jugendamtes? Ich habe hier einen Fall mit dem Jugendamt, welches wegen mangelnder Zusammenarbeit den Vorschuss komplett strich.

Fallen solche Dinge auch in den Bereich des neuen Urteils des Bundesverfassungsgerichtes? Müsste eigentlich, da in dem Urteil viel vom SGB steht, was ja auch für das Jugendamt zuständig ist.

Gruß,
membro


Titel: Re: Neues Urteil des Verfassungsgerichts auch für Jugendämter zuständig?
Beitrag von: Flip am 10. Januar 2022, 20:18:56
Zitat von: membo am 10. Januar 2022, 20:05:20Ich habe das gemeldet, aber die zuständigen Support-Leute haben möglicherweise ihren Mittagsschlaf noch nicht beendet.

Interessante Theorie. Aber du gestehst anderen Menschen, die ihre Freizeit opfern trotzdem noch ein bisschen Freizeit zu, oder?

Zitat von: membo am 10. Januar 2022, 20:05:20Fallen solche Dinge auch in den Bereich des neuen Urteils des Bundesverfassungsgerichtes? Müsste eigentlich, da in dem Urteil viel vom SGB steht, was ja auch für das Jugendamt zuständig ist.

Garantiert nicht. Jugendämter haben ja nun so gar nichts mit Sanktionen aus dem SGB II zu tun.
Titel: Re: Neues Urteil des Verfassungsgerichts auch für Jugendämter zuständig?
Beitrag von: membo am 10. Januar 2022, 20:41:42
Das ist eine große Lücke. Ist denn etwas im Werden um der Willkür der Jugendämter etwas entgegen zu setzen, so wie jetzt bei den JC???

Gruß,
membro
Titel: Re: Neues Urteil des Verfassungsgerichts auch für Jugendämter zuständig?
Beitrag von: Flip am 10. Januar 2022, 21:14:01
Welche Willkür denn? Nicht alles, was einem pubertären Jugendlichen nicht gefällt, ist Willkür.
Titel: Re: Neues Urteil des Verfassungsgerichts auch für Jugendämter zuständig?
Beitrag von: membo am 10. Januar 2022, 21:21:01
Das mag ja auch sein.
In diesem Fall strich das Jugendamt komplett den Vorschuss, weil auf zwei Schreiben (nicht mit Zustellungsurkunde) nicht geantwortet wurde.
Es wäre gut und richtig, wenn das Verfassungsgericht solche Dinge auch berücksichtigt hätte.
Gruß,
membro
Titel: Re: Neues Urteil des Verfassungsgerichts auch für Jugendämter zuständig?
Beitrag von: Flip am 10. Januar 2022, 21:44:04
Fehlende Mitwirkung wird immer fehlende Mitwirkung bleiben. Die kann man nachholen und gut.
Titel: Re: Neues Urteil des Verfassungsgerichts auch für Jugendämter zuständig?
Beitrag von: membo am 10. Januar 2022, 21:58:35
Leider nicht. Das Jugendamt hat deswegen einen Bescheid mit Zustellungsurkunde versandt, indem die Vorauszahlungen verweigert wurden. Die Widerspruchsfrist betrug vier Wochen, in dem leider kein Widerspruch eingelegt wurde.

Gruß,
membro
Titel: Re: Neues Urteil des Verfassungsgerichts auch für Jugendämter zuständig?
Beitrag von: Flip am 10. Januar 2022, 22:00:39
Wenn man rechtsstaatliche Möglichkeiten nicht wahrnimmt, darf man dann aber auch nicht jammern. Was jetzt noch möglich ist, kann man anhand der rudimentären Angaben eh nicht sagen.
Titel: Re: Neues Urteil des Verfassungsgerichts auch für Jugendämter zuständig?
Beitrag von: membo am 10. Januar 2022, 22:05:30
Na gut, dann wäre auch das neue Urteil des Verfassungsgerichtes nicht erforderlich.
Dieser Fall passt doch haargenau in die Voraussetzungen für das Urteil des Verfassungsgerichtes, leider kam der Bescheid nicht vom JC sondern vom Jugendamt.
Das Jugendamt beruft sich auf zwei Schreiben, die nie angekommen sind und hat dann per Bescheid mit Zustellungsurkunde die Leistungen wegen Nichtbeantwortung dieser Schreiben eingestellt. Die Widerspruchsfrist wurde leider nicht genutzt.

Meine Frage in einem vorherigen Posting war ja auch, ob etwas im 'Werden' ist, ob sich das  Verfassungsgericht als nächstes Behörden wie Jugendämter zur Brust nimmt.
Gruß,
membro
Titel: Re: Neues Urteil des Verfassungsgerichts auch für Jugendämter zuständig?
Beitrag von: justine1992 am 10. Januar 2022, 22:32:16
Nur wenn jemand klagt. Du?
Titel: Re: Neues Urteil des Verfassungsgerichts auch für Jugendämter zuständig?
Beitrag von: Flip am 10. Januar 2022, 22:36:36
Zitat von: membo am 10. Januar 2022, 22:05:30Das Jugendamt beruft sich auf zwei Schreiben, die nie angekommen sind und hat dann per Bescheid mit Zustellungsurkunde die Leistungen wegen Nichtbeantwortung dieser Schreiben eingestellt. Die Widerspruchsfrist wurde leider nicht genutzt.

Das hat überhaupt nichts mit Sanktionen zu tun und kann genausogut auch heute noch beim Jobcenter passieren. Unterlassen Mitwirkung kann nunmal zur Versagung der Leistungen führen.
Titel: Re: Neues Urteil des Verfassungsgerichts auch für Jugendämter zuständig?
Beitrag von: membo am 10. Januar 2022, 22:44:15
Das liest sich im Urteil ganz anders. Dort kann so ein Versäumnis im Nachhinein geheilt werden.
Ich selber bin nicht der Betroffene. Ich versuche einer Bekannten zu helfen, die zugegebener Maßen sich recht ungeschickt angestellt hat.
Es wäre interessant, wenn mir jemand einen Hinweis geben könnte ob und wie man in dieser Sache wieder mit dem Jugendamt in die Gänge kommen könnte und den Vorgang wieder aufnehmen könnte.
Gruß,
membro

@Flip
Hast Du dir den Beitrag auch richtig durchgelesen?

Interessante Stelle:
Da lt. Begründung des BVerfG Sanktionen von mehr als 30% des Regelsatzes generell verfassungswidrig sind, gilt diese Grenze in teleologischer Auslegung auch für Sanktionen wegen Meldeversäumnissen - und natürlich für Sanktionen gegen unter 25jährige.

Wenn das Verfassungsgericht von einer generellen Verfassungswidrigkeit ausgeht, so wäre hier nur die Frage zu prüfen, ob die Kindergeldvorauszahlung auch darunter fällt. Ein Kind  ist ja eine eigenständige Rechtsperson und die Bezüge zum Lebensunterhalt dürften nicht gekürzt werden.
Und was ist, wenn das Sozialamt, das ja nicht das TC ist, so sanktioniert. Das Verfassungsgericht spricht von einer generellen Verfassungswidrigkeit und unter generell fallen alle.
Titel: Re: Neues Urteil des Verfassungsgerichts auch für Jugendämter zuständig?
Beitrag von: Flip am 10. Januar 2022, 23:45:55
Nochmal: eine Sanktion hat nichts mit Mitwirkung zu tun. Gar nichts.
Titel: Re: Neues Urteil des Verfassungsgerichts auch für Jugendämter zuständig?
Beitrag von: membo am 10. Januar 2022, 23:49:01
Lies Dir mal das Urteil durch:

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2019/bvg19-074.html

Gruß,
membro
Titel: Re: Neues Urteil des Verfassungsgerichts auch für Jugendämter zuständig?
Beitrag von: Flip am 11. Januar 2022, 00:15:30
Das muss ich nicht, das ist ja nun wirklich nicht mehr neu, es ist von 2019!! Es geht um Sanktionen gem. § 31 SGB II. Nicht um Mitwirkung nach §
60 ff. SGB I und schon gar nicht um Sozialleistungen nach anderen Sozialgesetzbüchern. Unterhaltsvorschuss ist auch nicht wie ALG2 das letzte Glied in einer Kette von Sozialleistungen. Es sichert kein Existenzminimum, sondern ist Ersatz für den Unterhalt des barunterhaltspflichtigen Elternteils. Selbst, wenn das andere Elternteil, bei dem das Kind lebt, Millionär wäre, bestünde ein Anspruch, wenn das andere Elternteil nicht zahlt und mitgewirkt wird.

Man kann also UVG bei Weitem nicht mit ALG2 vergleichen. Und eine Versagung schon gar nicht mit einer Sanktion.
Titel: Re: Neues Urteil des Verfassungsgerichts auch für Jugendämter zuständig?
Beitrag von: Yavanna am 11. Januar 2022, 08:12:50
Auch wenn die Schreiben, auf die sich der VA bezieht, wirklich nicht angekommen sind...
Spätestens gegen den Bescheid  per PZU hätte Widerspruch eingelegt werden können.
Titel: Re: Neues Urteil des Verfassungsgerichts auch für Jugendämter zuständig?
Beitrag von: Heinz-Otto am 11. Januar 2022, 09:26:08
Und vom JA den Nachweis der Zustellung fordern.
Es gilt zwar die Zustellfiktion. Die Behörden führen idR ein Postausgangsbuch.
Falsch datierte Schreiben sind leider keine Seltenheit. Da geht es dann um dadurch verkürzte Fristen.
Ämter müssen aber trotzdem den Zugang nachweisen, wenn die Zustellung ernsthaft anzweifelbar ist.
Es verschwindet immer mal wieder Post.
Sollten die Briefe wirklich nicht angekommen sein, sollte man gute Gründe angeben können.
Immerhin waren es gleicht 2 Briefe zum selben Sachverhalt die nicht ankamen. Das scheint sehr ungewöhnlich und weniger glaubhaft.

https://rechtsanwalt-und-sozialrecht.de/bekanntgabe-verwaltungsakt/
Urteil BSG des vom 26. Juli 2007, B 13 R 4/06 R, Rdnrn. 19 f
Zitat19] Auch wenn nach der Lebenserfahrung die weitaus größte Anzahl der abgesandten Briefe beim Empfänger ankommt, ist damit lediglich eine mehr oder minder hohe Wahrscheinlichkeit für den Zugang einer Briefsendung gegeben. Der Anscheinsbeweis ist aber nicht schon dann geführt, wenn zwei verschiedene Möglichkeiten eines Geschehensablaufs in Betracht zu ziehen sind, von denen die eine wahrscheinlicher ist als die andere (BGH vom 27.5.1957, BGHZ 24, 308, 312). Denn die volle Überzeugung des Gerichts vom Zugang lässt sich auf eine – wenn auch große – Wahrscheinlichkeit nicht gründen (BFH vom 14.3.1989, BFHE 156, 66, 71).

[20] Diese Regeln gelten unabhängig davon, ob das übersandte Schriftstück einen Verwaltungsakt enthält und somit die Bestimmung des § 37 Abs 2 SGB X (oder eine der Parallelvorschriften des § 41 Abs 2 Verwaltungsverfahrensgesetz bzw § 122 Abs 2 Abgabenordnung) unmittelbar anwendbar ist. Hiernach gilt die Fiktion, ein schriftlicher Verwaltungsakt sei am dritten Tage nach der Abgabe zur Post bekannt gegeben, nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang und seinen Zeitpunkt nachzuweisen. In diesem Sinne aber bestehen schon dann ,,Zweifel", wenn der Adressat den Zugang – schlicht – bestreitet (BFH vom 14.3.1989, BFHE 156, 66, 71) . Im Ergebnis nichts anderes gilt jedoch in anderen Rechtsbereichen; auch im Zivilrecht zB hat der Erklärende (bzw jener, der sich hierauf beruft) den Zugang einer Erklärung zu beweisen (so zB zur Mängelanzeige nach § 377 Handelsgesetzbuch: BGH vom 13.5.1987, BGHZ 101, 49, 55; dort auch dazu, dass eine Mängel"anzeige" empfangsbedürftig ist).
Titel: Re: Neues Urteil des Verfassungsgerichts auch für Jugendämter zuständig?
Beitrag von: Jan Mustermann am 04. Februar 2022, 11:29:12
Ich habe jetzt nicht alles gelesen, aber er sollte überprüfen ob die Rechtsmittelbelehrung hinsichtlich der Einlegung des Widerspruchs auf elektronischen Wege dort korrekt ist.
Titel: Re: Neues Urteil des Verfassungsgerichts auch für Jugendämter zuständig?
Beitrag von: Maunzi am 09. Februar 2022, 20:06:10
Zitat von: membo am 10. Januar 2022, 22:44:15
Interessante Stelle:
Da lt. Begründung des BVerfG Sanktionen von mehr als 30% des Regelsatzes generell verfassungswidrig sind, gilt diese Grenze in teleologischer Auslegung auch für Sanktionen wegen Meldeversäumnissen - und natürlich für Sanktionen gegen unter 25jährige.

Du liest da was ganz falsch, bzw markierst es schlicht falsch: Sanktionen* von mehr als 30% des Regelsatzes...

Die Leistungen vom Jugendamt sind sicherlich kein Regelsatz! Ich nehme an es handelt sich - wenn schon von Vorschuss die Rede ist - um Unterhaltsvorschuss?

*Sanktion und Leistungsentzug wegen fehlender Mitwirkung sind zwei verschiedene Paar Schuhe:

Wenn du beim JC zwei Termine versäumt hast und dann deine x% Sanktion hast über 3 Monate, dann kannst du dank dem Urteil die Mitwirkung nachholen und ab dem Zeitpunkt wird die Sanktion aufgehoben, jedoch nicht rückwirkend! Dementsprechend wäre es - auch wenn das Urteil (was es nicht ist) auf das Jugendamt anzuwenden wäre - ungefährt genauso zielführend wie nun einen neuen Antrag zu stellen und künftig auf alles zeitnah zu reagieren. Gibt so oder so nur für die Zukunft noch was, ausser es gab zB medizinisch belegbare Gründe für die ausbleibende Reaktion (Koma im Krankenhaus usw...).

Einzige Idee wäre: wenn die Person im Bezug von ALG2 oder so steckt, kann der nachweislich nicht bezahlte Part nicht angerechnet werden und müsste vom JC nachbezahlt werden. Wie es dahingehend mit dem "selber schuld"-Prinzip steht weiß ich jedoch nicht. Er/Sie hat sich ja indirekt gesehen selbst um die vorrangige Leistung gebracht und hilfebedürftiger gemacht. Versuchen kann man es aber.