BVerfG: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen die Versagung vorläufiger KDU

Begonnen von Gast35195, 22. August 2017, 12:06:28

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Gast35195

Vorläufige Kosten der Unterkunft auch ohne Räumungsklage

ZitatPressemitteilung Nr. 72/2017 vom 22. August 2017

Beschluss vom 01. August 2017
1 BvR 1910/12

Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben in einstweiligen Rechtsschutzverfahren anhand der Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob tatsächlich die notwendige Eilbedürftigkeit für eine vorläufige Leistungsgewährung vorliegt. Sie können die Eilbedürftigkeit von vorläufigen Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung deshalb nicht nur pauschal darauf beziehen, ob schon eine Räumungsklage erhoben worden ist. Dies hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss entschieden und einer Verfassungsbeschwerde teilweise stattgegeben.

Quelle: https://svit.pw/xSGla



Titel angepasst. LG Meck


AxelK

Ihr seit ja top aktuell hier.  :grins: :sehrgut:

Ich bin mal sehr gespannt, wie schnell die Gerichte das jetzt in ihre Entscheidungen mit einfliessen lassen oder wie kreativ sie bei der Entwicklung neuer Gründe für die Ablehnung von Eilrechtsschutz bezüglich der KdU sind. Der erste Eilantrag mit Hinweis auf diese Entscheidung wurde jedenfalls bereits am 22.08.2017 beim Sozialgericht Düsseldorf eingereicht.  :grins:

Gruß,

Robin Hood

Gast42062

 Relevante Nachteile können nicht nur in einer Wohnungs- beziehungsweise Obdachlosigkeit liegen (im Ergebnis ebenso: Bayerisches LSG, Beschluss vom 19. März 2013 - L 16 AS 61/13 B ER -, juris, Rn. 30; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 28. Januar 2015 - L 11 AS 261/14 B -, juris, Rn. 12 ff., und vom 27. Juli 2015 - L 13 AS 205/15 B ER -, juris, Rn. 12 f.; Sächsisches LSG, Beschluss vom 29. August 2016 - L 8 AS 675/16 B ER -, juris, Rn. 17 f.; anders demgegenüber: Hessisches LSG, Beschluss vom 28. März 2014 - L 7 AS 802/13 B ER -, juris, Rn. 2; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. Dezember 2015 - L 2 AS 1622/15 B ER -, juris, Rn. 8; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. März 2016 - L 29 AS 404/16 B ER -, juris, Rn. 22; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 5. Oktober 2016 - L 3 AS 3210/16 ER-B -, juris, Rn. 11). § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II gibt vielmehr die Übernahme der ,,angemessenen" Kosten vor und dient im Zusammenwirken mit anderen Leistungen dazu, über die Verhinderung der bloßen Obdachlosigkeit hinaus das Existenzminimum sicherzustellen (vgl. BVerfGE 125, 175 <228>). Dazu gehört es, den gewählten Wohnraum in einem bestehenden sozialen Umfeld nach Möglichkeit zu erhalten (vgl. in diesem Zusammenhang BSG, Urteil vom 7. November 2006 - R 7b AS 18/06 R -, juris, Rn. 21). Daher

Richtig

Gast26342

ZitatDas Bundesverfassungsgericht, die Kosten der Unterkunft und Heizung für Hartz IV-Empfänger und wegweisende Aspekte einer neuen Entscheidung
https://aktuelle-sozialpolitik.blogspot.de/2017/08/bverfg-kdu-hartz4-entscheidung.html

ZitatBehördenwillkür gebremst
Bundesverfassungsgericht: Erwerbslose dürfen nicht wegen eines puren Verdachts der Gefahr der Obdachlosigkeit ausgesetzt werden
https://www.jungewelt.de/artikel/316911.behördenwillkür-gebremst.html

oldhoefi

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Versagung vorläufiger Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung

Das Bundesverfassungsgericht hat letzte Woche eine grundlegend wichtige Entscheidung getroffen.

Bisher haben die Sozialgerichte, allen voran das LSG NRW in Eilverfahren, einen Anordnungsgrund zur Übernahme von geschuldeten Unterkunftskosten abgelehnt, wenn nicht vom Vermieter eine Räumungsklage eingelegt wurde.

Das BVerfG hat klargestellt, dass ein Anordnungsgrund besteht, wenn "relevante Nachteile" drohen, dies sind "nicht nur eine Wohnungs- oder Obdachlosigkeit", sondern "auch möglichst in der gewählten Wohnung zu bleiben". Daher muss bei der Prüfung des Anordnungsgrundes berücksichtigt werden, "welche negativen Folgen finanzieller, sozialer, gesundheitlicher oder sonstiger Art ein Verlust gerade der konkreten Wohnung für den Beschwerdeführer gehabt hätte".

Unter "negativen Folgen" sind beispielsweise zu verstehen: Kosten, die durch fristlose oder ordentliche Kündigung, Anwaltseinschaltung entstehen, aber auch keine saubere Mietschuldenfreiheitsbescheinigung oder Mahngebühren, Ab- und Anschaltkosten für Energie...

Die BVerfG Entscheidung wird auch an anderen Punkten Auswirkungen auf die sozialrechtliche Praxis der Miet- und Energieschuldenübernahme nach § 22 Abs. 7 SGB II / § 36 SGB XII haben. So wurde bisher von den Leistungsträgern z. T. gesagt, ein Darlehen werde nur übernommen wenn die Räumungsklage schon eingelegt oder der Strom schon abgestellt wurde, dies wird auch nicht mehr haltbar sein.

Auch lässt die jetzige BVerfG Entscheidung erahnen, dass das BVerfG bei Vorlageverfahren wegen Sanktionen eine klare Position zu den Sanktionen in die Unterkunftskosten einnimmt.

Ich bin einfach mal begeistert, Wohnen ist Menschenrecht, das wurde durch die Entscheidung ein Stück weit konkretisiert und die - aus meiner Sicht - nicht vertretbare Rechtsprechung der NRW Sozialgerichte, aber auch anderer, endlich in Schranken gewiesen.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 01.08.2017 – 1 BvR 1910/12

Volltext im Original --> http://harald-thome.de/fa/redakteur/Harald_2017/BVerfG_zu_Anordnungsgrund_1_BvR_1910_12.pdf

(Zitat und Quelle: Harald Thomé – Newsletter vom 28.08.2017)

Unwissender

Wenn jetzt noch Sanktionen (die auf nahezu null Euro gehen) verboten wären, die die Zahlung der KdU betreffen wäre das ideal!
Dumm darf man sein, man muss sich nur zu helfen wissen!