Statistisches Problem

Begonnen von avatar, 10. Mai 2024, 12:39:09

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Hallo zusammen.

Es geht um eine statistische Frage, die hier vielleicht jemand mit Kenntnissen in Statistik beantworten kann.

Zwei Tätergruppen in mehreren Gefängnissen werden statistisch analysiert.

Gruppe A besteht aus 10.000 Tätern, von denen 1.000 für ein ganz bestimmtes Delikt inhaftiert wurden.

Gruppe B besteht aus 2.000 Tätern, von denen 1.500 für das gleiche Delikt inhaftiert wurden.

Die Gruppen unterscheiden sich in einem signifikanten Merkmal. z.B. Studierte vs Nicht-Studierte oder Religiöse vs Nicht-Religiöse. Für meine Frage ist die konkrete Art des Merkmals irrelevant.

Der Anteil der Täter in Gruppe A, der das Delikt begangen hat, ist also 10 Prozent.

Der Anteil der Täter in Gruppe B ist 75 Prozent.

Meine Frage nun:

Kann man aus diesen statistischen Werten schließen, dass die Neigung zu dem Delikt bei Personen der Tätergruppe B 7,5 Mal höher ist als bel Personen der Tätergruppe A ?

"Bei Personen" heißt, ALLE Personen in der Gesellschaft (egal ob inhaftiert oder nicht), die den Merkmalen von Tätergruppe A und B entsprechen, z.B. Studierte vs Nicht-Studierte.

Anders formuliert: Ist die Wahrscheinlichkeit, dass Personen mit dem Merkmal B das Delikt begehen, 7,5 Mal höher als bei Personen mit dem Merkmal A ?

Dass es einen Unterschied betr. Neigung oder Wahrscheinlichkeit gibt, steht außer Zweifel. Ich bin mir aber nicht sicher, ob man aus den Werten so direkt den Faktor 7,5 ableiten kann.


Danke für eure Mühe.





peter_m

Nein, das kann man nicht.

Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand aus einer Gruppierung ein Delikt begeht, bezieht sich ja aus der Grundgesamtheit inkl. der Nicht-Straftäter.

Wenn die Grundgesamtheit der Gruppe B bspw 10x so groß ist wie die von Gruppe A, ist die Straffälligkeit in Gruppe B ja insgesamt anteilig viel geringer.
Von dieser größeren Gruppe B sind aber nur 2.000 im Gefängnis. Von der kleinen Gruppe A dagegen ein größerer Anteil.

Ähnlich verzehrt sind dann auch die Anteile bzgl. eines bestimmten Delikts.

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#2
Zitat von: peter_m am 10. Mai 2024, 13:43:34Nein, das kann man nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand aus einer Gruppierung ein Delikt begeht, bezieht sich ja aus der Grundgesamtheit inkl. der Nicht-Straftäter. Wenn die Grundgesamtheit der Gruppe B bspw 10x so groß ist wie die von Gruppe A, ist die Straffälligkeit in Gruppe B ja insgesamt anteilig viel geringer. Von dieser größeren Gruppe B sind aber nur 2.000 im Gefängnis. Von der kleinen Gruppe A dagegen ein größerer Anteil. Ähnlich verzehrt sind dann auch die Anteile bzgl. eines bestimmten Delikts.

Ich denke eher, dass die relativen Zahlen (z.B. 70 % der Täter von Gruppe A mit einem bestimmten Delikt) relevanter als die absoluten Zahlen (Größe der Gruppe A).

Es handelt sich doch um ein Sample, ähnlich dem Sample für die TV-Einschaltquoten (in Deutschland 5.000 Haushalte). Wenn z.B. 10 % dieser 5.000 einen Tatort anschauen, wird das auf alle deutschen Haushalte mit TV hochgerechnet und es heißt, soundso viele Millionen Haushalte haben den Tatort gesehen.

Somit ist die absolute Größe des Samples egal für die Berechnung des Verhaltens der Gesamtheit. Lediglich die Genauigkeit steigt mit der Größe.

Vergleicht man also zwei verschiedene Samples (z.B. Studierte vs Nicht-Studierte), dann ist die Größe der Samples nicht wichtig,. Entscheidend ist der ermittelte Prozentsatz für ein bestimmtes Verhalten (z.B. ein bestimmtes Delikt zu begehen).

Das kann auch funktionieren, wenn das eine Sample 10.000 Leute umfasst und das andere nur 1.000.

Für mich stellt sich eher die Frage, welche Aussagekraft die Prozentzahl wirklich hat.

Liegt der Prozentsatz z.B. bei Gruppe A bei 20 % und bei Gruppe B bei 50 %, dann weiß man nicht mit Sicherheit, ob sich die Prozente unterscheiden, weil das Delikt für die Gruppe mit dem größeren Prozentsatz verführerischer ist als alle anderen Delikte, ODER weil für diese Gruppe aus irgendeinem Grund das Begehen ANDERER Delikte weniger Reiz oder Vorteil bietet, d.h. diese Gruppe hat keine größere Neigung für das bestimmte Delikt, sondern eine geringere Neigung für alle ANDEREN Delikte.








peter_m

Mit Grundgesamtheit meine ich alle Angehörigen einer Gruppe, inkl. der Nicht-Straffälligen.
Was Du nicht machen darfst, ist aus dem Anteil an Straffälligen mit einem Delikt auf die Neigung der Bevölkerungsgruppe zu schließen. Wenn also der Anteil von Bankräubern an inhaftierten Studierten höher ist als an Inhaftierten Nicht-Studierten, kannst Du daraus nicht ableiten, dass Studierte im Allgemeinen zu Bankraub neigen.

Allerdings wäre das ja die einzige, interessante Anwendung Deiner Daten.

Ottokar

Zitat von: avatar am 10. Mai 2024, 12:39:09Kann man aus diesen statistischen Werten schließen, dass die Neigung zu dem Delikt bei Personen der Tätergruppe B 7,5 Mal höher ist als bel Personen der Tätergruppe A ?
Wie denn? Das was du da machst ist ein sog. Zirkelbezug.
Die Gesamtmenge ist vollkommen irrelevant, relevant ist hier nur die Menge, die für das gleiche Delikt inhaftiert wurde. Nur die kann man in Bezug setzen.
Wenn also 1.000 Täter für Delikt A einsitzen und 1.500 Täter für Delikt B, dann ist - wen man alle anderen Faktoren ignoriert oder gleich setzt - die Wahrscheinlichkeit ein Delikt zu begehen, für das Delikt B 50% höher als für A.
Allerdings ist dabei der Unsicherheitsfaktor sehr groß, denn es kann sein, dass Delikt A ungleich leichter zu begehen ist als B und somit die Wahrscheinlichkeit erwischt zu werden deutlich geringer ist. Deshalb kann man für die Wahrscheinlichkeit ein Delikt zu begehen nicht die Anzahl der Täter vergleichen, sondern nur die Anzahl der Delikte.
Wenn man beides in Relation setzt, Anzahl der Täter und Anzahl der Delikte, kann man dann noch die Frage beantworten, welches Delikt leichter zu begehen ist, weil dort weniger Täter gefasst werden.
Meine Beiträge beinhalten oder ersetzen keine anwaltliche Beratung oder Tätigkeit.
Für eine verbindliche Rechtsberatung und -vertretung suchen Sie bitte einen Anwalt auf.


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#5
Zitat von: Ottokar am 11. Mai 2024, 12:48:18Die Gesamtmenge ist vollkommen irrelevant, relevant ist hier nur die Menge, die für das gleiche Delikt inhaftiert wurde. Nur die kann man in Bezug setzen. Wenn also 1.000 Täter für Delikt A einsitzen und 1.500 Täter für Delikt B, dann ist - wen man alle anderen Faktoren ignoriert oder gleich setzt - die Wahrscheinlichkeit ein Delikt zu begehen, für das Delikt B 50% höher als für A

Das setzt aber voraus, dass die gesamtgesellschaftlichen Gruppen gleich groß sind, die im Gefängnis durch die Gruppe A und B repräsentiert werden.

Hat aber - gesamtgesellschaftlich - A nur 20 % der Größe von B, kann man die Zahlen der Delikte in keinen direkten Bezug setzen.

Vielmehr müsste man für den direkten Vergleich die Deliktezahl von A verfünffachen.

Diese Variable - die gesamtgesellschaftliche Größe der Gruppen mit Merkmalen A und B - sollte also berücksichtigt werden, das habe ich im ersten Post unterlassen zu erwähnen.

Beispiel:

Gruppe A gesamtgesellschaftlich = 5 Millionen / im Gefängnis = 5.000 / bestimmtes Delikt = 1000

Gruppe B gesamtgesellschaftlich = 2 Millionen / im Gefängnis = 2.000 / bestimmtes Delikt = 800

Nun sollten die Deliktezahlen in Bezug zu den gesamtgesellschaftlichen Zahlen gesetzt werden, dann zeigt sich klar, dass Gruppe B eine höhere Neigung zum bestimmten Delikt hat, obwohl die absolute Zahl der Delikte kleiner ist.


Zitat von: peter_m am 11. Mai 2024, 09:08:19Wenn also der Anteil von Bankräubern an inhaftierten Studierten höher ist als an Inhaftierten Nicht-Studierten, kannst Du daraus nicht ableiten, dass Studierte im Allgemeinen zu Bankraub neigen.

Warum denn nicht? Ich würde es nur anders formulieren: Die WAHRSCHEINLICHKEIT, dass Studierte einen Bankraub begehen, ist statistisch höher als bei Nicht-Studierten - natürlich unter der Prämisse, dass beide Gruppen proportional in gleichem Maße zu Gesetzesbrüchen neigen, was man gesondert recherchieren müsste.

(Von "Wahrscheinlichkeit" habe ich schon im ersten Post gesprochen, alternativ zu "Neigung")






Ottokar

Die Annahme einer gesamtgesellschaftlichen Gruppe potentieller Täter ist reine Utopie und statistisch Unsinn.
Wie willst du denn potentielle Täter ermitteln? Da kann man auch gleich zur Wahrsagerin gehen.
Wie schon geschrieben, kann man nur anhand der Delikte eine statistische Wahrscheinlichkeit berechnen, wozu man sinnvollerweise die Kriminalitätsstatistik benutzen kann.
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