Jobcenter fordern Rücknahme von Widersprüchen

Begonnen von selbiger, 16. Oktober 2023, 07:12:41

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selbiger

Gegen Bescheide der Jobcenter oder Sozialämter können Leistungsberechtigte Widerspruch einlegen. Auswertungen der Bremer Rechtsanwaltskanzlei "rightmart" ergaben, dass rund ein Drittel der überprüften Bürgergeldbescheide fehlerhaft waren.

https://www.gegen-hartz.de/news/buergergeld-wenn-das-jobcenter-zur-ruecknahme-von-widerspruchen
Sich zu Tode arbeiten,ist die einzige gesellschaftliche anerkannte Form des Selbstmordes.

Die Menschen glauben viel leichter eine Lüge,die sie schon hundertmal gehört haben,als eine Wahrheit,die ihnen völlig neu ist.

Rotti

ZitatJobcenter laden Widerspruchsführer in die Behörde ein

Dass viele Widersprüche erfolgreich sind, hat sich auch bei der Bundesagentur für Arbeit längst herumgesprochen. Für die Jobcenter bedeutet die Bearbeitung der Widersprüche einen zusätzlichen zeitlichen und personellen Aufwand. Daran hat auch die so genannte Bürgergeldreform bisher nichts geändert.

ist doch auch gut so, wenn man sich dann einigt, das erspart einen viel ärger und Stress-
»Die Äußerung zu meiner Behinderung führt stets zu einer
Nichteinstellung.«

Ottokar

#2
Neu ist diese Masche nicht, schon bevor es Hartz IV gab, wurde bundesweit in Arbeitsämtern so verfahren.
Leistungsbezieher wurden - häufig sogar per Verwaltungsakt, obwohl das SGB III keinen solchen Meldegrund  kennt - eingeladen, um über den Widerspruch zu reden. In dem Gespräch - im welchem der Betroffene oft von zwei Behördenmitarbeitern "bearbeitet" wurde - wurde dann, oft mit Drohungen wie der (rechtswidrigen) Einstellung der Leistung für die Dauer des Widerspruchsverfahrens, die Rücknahme des Widerspruches gefordert.
Diese Masche war und ist offenbar so erfolgreich, dass sie auch von den Jobcentern gE übernommen wurde.
Und da sie bundesweit praktiziert wird, liegt die Vermutung nahe, dass es sich um eine übergeordnete interne Dienstanweisung der BA handelt.

Zwar steht nichts davon im Gesetz, dass die Behörde darauf hinwirken soll, dass der Widerspruchsführer den Widerspruch zurücknimmt, allerdings regelt § 24 SGB X, dass vor Erlass eines Verwaltungsaktes der oder die Beteiligten anzuhören sind. Diese "Anhörung" kann man durchaus wörtlich nehmen, allerdings ist schon aus Beweisgründen dringend davon abzuraten. Zudem besteht bei der Anhörung weder eine Mitwirkungs- noch eine Meldepflicht.
Leider wird auf diesen - durchaus wichtigen - Umstand im Artikel nicht hingewiesen, weshalb ich das hiermit tue.

Im Übrigen spricht nichts dagegen, dass man - Zug um Zug - den Widerspruch zurücknimmt, NACHDEM das Jobcenter einen Änderungsbescheid erlassen hat, welcher den Widerspruchsgrund beseitigt.
Zudem hat das Jobcenter die Möglichkeit zu tricksen, indem es statt einem Abhilfe- einen Änderungsbescheid erlässt, welcher den Widerspruchsgrund beseitigt, und anschließend mit einem Widerpruchsbescheid den Widerspruch als unzulässig zurückweist, weil ja der Widerspruchsgrund nicht mehr besteht. Das sieht in der Statistik noch besser aus, als wenn der Widerspruch nur zurückgenommen wird.
Grundlos, also ohne dass das Jobcenter den Widerspruchsgrund zuvor beseitigt, sollte man den Widerspruch jedoch NIE zurücknehmen.




Zitat von: Rotti am 16. Oktober 2023, 10:34:36ist doch auch gut so, wenn man sich dann einigt, das erspart einen viel ärger und Stress-
Danke für dein "coming out".
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selbiger

Zitat von: Rotti am 16. Oktober 2023, 10:34:36ist doch auch gut so, wenn man sich dann einigt, das erspart einen viel ärger und Stress-


ist es nicht..es gibt klarre vorgaben an denen sich die agenturen zu halten haben..
Sich zu Tode arbeiten,ist die einzige gesellschaftliche anerkannte Form des Selbstmordes.

Die Menschen glauben viel leichter eine Lüge,die sie schon hundertmal gehört haben,als eine Wahrheit,die ihnen völlig neu ist.

Rotti

Zitat von: selbiger am 16. Oktober 2023, 10:52:24
Zitat von: Rotti am 16. Oktober 2023, 10:34:36ist doch auch gut so, wenn man sich dann einigt, das erspart einen viel ärger und Stress-


ist es nicht..es gibt klarre vorgaben an denen sich die agenturen zu halten haben..
anhören kann einer sich das, was sie zu sagen haben, deswegen muss keiner seinen Widerspruch auch zurückziehen.
»Die Äußerung zu meiner Behinderung führt stets zu einer
Nichteinstellung.«

Ottokar

Zitat von: Rotti am 16. Oktober 2023, 10:34:36ist doch auch gut so, wenn man sich dann einigt, das erspart einen viel ärger und Stress-
Du schreibst ja wohl eindeutig, dass eine wie auch immer geartete "Einigung" - zu der zwingend auch die Rücknahme des Widerspruches gehört - gut ist und viel ärger und Stress erspart.
Das
Zitat von: Rotti am 16. Oktober 2023, 10:55:10anhören kann einer sich das, was sie zu sagen haben, deswegen muss keiner seinen Widerspruch auch zurückziehen.
ist etwas ganz Anderes.
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selbiger

Zitat von: Rotti am 16. Oktober 2023, 10:55:10anhören kann einer sich das, was sie zu sagen haben, deswegen muss keiner seinen Widerspruch auch zurückziehen.

ja die jenigen sind selber schuld wenn diese den zurückziehen..aber spätestens dann wissen die das mans mit denen eventuell machen kann..einem der gegen hält lassen die eher in ruhe ..und kompensieren das bei all denjenigen die klein beigeben und ja und amen sagen..
Sich zu Tode arbeiten,ist die einzige gesellschaftliche anerkannte Form des Selbstmordes.

Die Menschen glauben viel leichter eine Lüge,die sie schon hundertmal gehört haben,als eine Wahrheit,die ihnen völlig neu ist.

Rotti

Zitat von: selbiger am 16. Oktober 2023, 11:00:53ja die jenigen sind selber schuld wenn diese den zurückziehen..aber spätestens dann wissen die das mans mit denen eventuell machen kann..einem der gegen hält lassen die eher in ruhe ..und kompensieren das bei all denjenigen die klein beigeben und ja und amen sagen.
ständig Widersprechen ist auch nicht gut, da hat auch keiner Ruhe vor dem JC.
»Die Äußerung zu meiner Behinderung führt stets zu einer
Nichteinstellung.«

selbiger

Zitat von: Rotti am 16. Oktober 2023, 11:12:24ständig Widersprechen ist auch nicht gut, da hat auch keiner Ruhe vor dem JC.

das ist was drann..nur wer sich wehrt kann was ereichen..wer aufgibt hat schon verloren..
Sich zu Tode arbeiten,ist die einzige gesellschaftliche anerkannte Form des Selbstmordes.

Die Menschen glauben viel leichter eine Lüge,die sie schon hundertmal gehört haben,als eine Wahrheit,die ihnen völlig neu ist.

Ottokar

Zitat von: Rotti am 16. Oktober 2023, 11:12:24ständig Widersprechen ist auch nicht gut, da hat auch keiner Ruhe vor dem JC.
Nur um das vorab klarzustellen: hier geht es um Widersprüche gegen rechtswidrige Bescheide.
Du bist also der Meinung und rätst dazu, man soll lieber still halten und gegen rechtswidrige Bescheide keinen Widerspruch einlegen.
Sehr interessant.
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Fettnäpfchen

Zitat von: Rotti am 16. Oktober 2023, 11:12:24ständig Widersprechen ist auch nicht gut, da hat auch keiner Ruhe vor dem JC.
Aus Eigenerfahrung kann ich nur sagen dass das Gegenteil der Fall ist. :

Ganz speziell meine vorletzte mit Hybris gesegnete SB wo ich bei jedem VA widersprechen und dann das SG einschalten musste
wurde es sogar dem Richter zuviel (ca ein Dutzend Widersprüche und ca 9 Klagen)
und er sprach eine Rüge aus und ab da wurde es sehr ruhig, die SB habe ich seit damals auch nicht mehr
und von der neuen weiß ich nur über eine EinV bescheid die ich allerdings nicht unterschrieben habe weil sie
a per Post kam und
b von ihr nicht unterschrieben war.
Das war vor ca 2-3 Jahren. Seit dem nichts mehr. 


MfG FN
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Wer das Ziel kennt, kann entscheiden. Wer entscheidet, findet Ruhe. Wer Ruhe findet, ist sicher. Wer sicher ist, kann überlegen. Wer überlegt, kann verbessern. (Konfuzius)
Mach es: Sei stärker als deine stärkste Ausrede.

mystik-1

Zitat von: Ottokar am 16. Oktober 2023, 10:47:21Zudem hat das Jobcenter die Möglichkeit zu tricksen, indem es statt einem Abhilfe- einen Änderungsbescheid erlässt, welcher den Widerspruchsgrund beseitigt, und anschließend mit einem Widerpruchsbescheid den Widerspruch als unzulässig zurückweist, weil ja der Widerspruchsgrund nicht mehr besteht. Das sieht in der Statistik noch besser aus, als wenn der Widerspruch nur zurückgenommen wird.

Der Ausgangsbeitrag ist zwar schon etwas älter, aber mir passiert in letzter Zeit wieder vermehrt genau das. Es werden Änderungsbescheide erlassen, aber erst aufgrund von Widersprüchen, und dann wird man gebeten den Widerspruch zurückzunehmen, weil man eh verlieren würde.
Angefangen wird der Brief gerne mit:"Ich möchte Ihnen den Sachverhalt erklären", das empfinde ich von oben herab, als hätte ich keine Ahnung.

Aber selbst wenn man einen Änderungsbescheid erhält, dann müsste doch über die Kosten entschieden werden?
Zumindest hatte ich vor einigen Jahren die Erfahrung gemacht, dass wegen dieser Trickserei im Widerspruchsverfahren gleich die Kosten abgelehnt werden. Im Folgeverfahren bekommt man dann die Kosten doch erstattet.


Ottokar

§ 85 Abs. 1 SGG regelt, Zitat: "Wird der Widerspruch für begründet erachtet, so ist ihm abzuhelfen."
D.h. wenn nach erfolgtem Widerspruch eine vollständige Abhilfe der darin aufgeführten Widerspruchsgründe erfolgt, z.B. mittels Änderungsbescheid, ist das Widerspruchsverfahren damit beendet. Ob sich das JC in einem solchen Abhilfebescheid auf den Widerspruch bezieht oder nicht, ist für den Erfolgseintritt des § 85 Abs. 1 SGG rechtlich nicht relevant.
Mit der erfolgten Abhilfe im Widerspruchsverfahren entsteht lt. § 63 SGB X ein einklagbarer  Anspruch auf die Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens.

Klar kann das JC behaupten, der Änderungsbescheid wäre auch ohne den Widerspruch erlassen worden, weshalb der Änderungsbescheid kein Abhilfebescheid i.S.d. § 85 Abs. 1 SGG ist. Dafür ist es dann aber in einer Kostenklage vollumfänglich beweispflichtig.

Wenn ein Jobcenter nach erfolgter Abhilfe einen dazu auffordert, den Widerspruch zurückzunehmen, ist das verfahrensrechtlich falsch, da das Widerspruchsverfahren ja mit der Abhilfe bereits beendet ist. Eine Rücknahme des Widerspruches ist dann gar nicht mehr möglich.
Weist das Jobcenter nach erfolgter Abhilfe den Widerspruch als unbegründet zurück, ist dieser Widerspruchsbescheid rechtswidrig.
Offenbar steht hinter beidem nicht nur die Absicht, die Widerspruchsstatistik zu manipulieren, sondern auch die Absicht, dem Widerspruchsführer die nach § 63 SGB X zustehende Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens zu verweigern.
Denn genau das passiert ja im Weiteren auch.

Das o.g. gilt natürlich nur, wenn allen Widerspruchsgründen abgeholfen wurde.
Erfolgte nur eine teilweise Abhilfe, dann hat sich damit auch nur der Teil des Widerspruches erledigt, dem das JC abgeholfen hat. Die restlichen Widerspruchsgründe muss das JC mittels Widerspruchsbescheid zurückweisen (§ 85 Abs. 2 SGG).
In diesem Fall würde die Rücknahme des Widerspruchs bedeuten, dass man auf die Entscheidung über diejenigen Widerspruchsgründe verzichtet, denen das JC nicht abgeholfen hat. Das kann man machen, muss man aber nicht.
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Rotti

Zitat von: mystik-1 am 08. April 2025, 18:13:48Der Ausgangsbeitrag ist zwar schon etwas älter, aber mir passiert in letzter Zeit wieder vermehrt genau das. Es werden Änderungsbescheide erlassen, aber erst aufgrund von Widersprüchen, und dann wird man gebeten den Widerspruch zurückzunehmen, weil man eh verlieren würde.
Also bei mir war es immer so wenn ich einen Widerspruch auf einen Bescheid schreibe kommt sofort ein Änderungsbescheid und eine Richtigstellung und danach Fragen sie ob ich den Widerspruch zurück nehme macht ja gar keinen Sinn einen Änderungsbescheid zu erlassen ohne den Widerspruch zu bearbeiten.

Zitat von: Ottokar am 16. Oktober 2023, 11:20:46Nur um das vorab klarzustellen: hier geht es um Widersprüche gegen rechtswidrige Bescheide. Du bist also der Meinung und rätst dazu, man soll lieber still halten und gegen rechtswidrige Bescheide keinen Widerspruch einlegen. Sehr interessant.
nun ich habe meine Meinung geändert in der Zeit.
»Die Äußerung zu meiner Behinderung führt stets zu einer
Nichteinstellung.«