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Re: Ratgeber Kürzung des ALG II bei Sanktionen

Begonnen von Ottokar, 06. März 2009, 15:11:25

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Ottokar

Kürzung des ALG II wegen "Pflichtverletzung" – die Rechtswidrigkeit des § 31 SGB II

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Staat aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG verpflichtet, dem mittellosen Bürger die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein erforderlichenfalls durch Sozialleistungen zu sichern (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1990 – Az.: 1 BvL 20/86 u.a. = BVerfGE 82, 60, 85).
Das Gebot dieses Sicherungsauftrags wird durch § 31 SGB II nicht mehr verfassungskonform umgesetzt, weil die Regelungen des § 31 SGB II die verfassungsmäßige Pflicht des Staates zu diesem Sicherungsauftrag außer Kraft setzt. Mit der vollständigen Kürzung des ALG II bei wiederholter Pflichtverletzung nach § 31 SGB II oder erstmaliger Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 5 SGB II, wird der bedürftige Bürger seiner Grundrechte auf Wohnung, Nahrung und ärztliche Versorgung und damit eines menschenwürdigen Daseins beraubt.
Durch eine Kürzung des Regelsatzes nach § 31 Abs. 1 bis 4 wird das soziokulturelle Existenzminimum unterschritten, was wie bereits ausgeführt, verfassungswidrig ist. Durch eine Sanktion in Höhe von 100% der Regelleistung nach § 31 wird der bedürftige i.d.R. dem Tod überlassen, da er weder Mittel für Nahrung noch Krankenversicherung hat.

Eine ersatzweise Gewährung von Sachleistungen lt. § 31 Abs. 3 SGB II kann dem nicht entgegenstehen, da diese ausdrücklich als Ermessensleistung klassifiziert ist, auf die der bedürftige Bürger keinen Rechtsanspruch hat bzw. nur dann hat, wenn bereits eine erhebliche Leistungsminderung nach § 31 SGB II erfolgt ist und er mit einem minderjährigen Kind eine Bedarfsgemeinschaft bildet. Erschwerend kommt hinzu, dass Zweck, Form und Umfang dieser Sachleistungen nicht näher bestimmt wurden und somit ebenfalls als Ermessensleistung des zuständigen Sachbearbeiters klassifiziert sind.
Auch bei erfolgender Ersatzleistung für die Kürzung der Regelleistung, bleibt die Kürzung der Kosten der Unterkunft ohne Ersatzleistung.

Bein einer Kürzung des ALG II, welche die Kosten der Unterkunft betrifft, dies ist im Wiederholungsfall des § 31 SGB II der Fall, wird dem Bedürftigen sein Recht auf Obdach vom Staat zwangsweise verweigert.
Laut § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB i.V.m. § 569 Abs. 3 Nr. 1 darf der Vermieter die Wohnung (fristlos) kündigen, wenn der Mieter mit 2 Monatsmieten in Verzug ist. Da eine Sanktion nach § 31 Abs. 6 SGB II immer drei Monate dauert, bedeutet dies zwangsläufig den Verlust der Wohnung und zwar bereits einen Monat nach Beginn einer solchen Sanktion, da die Miete üblicherweise immer zum Anfang eines Monats gezahlt werden muss.

Mit der gegenwärtigen Fassung des § 31 SGB II wird der Sachbearbeiter zum Herrscher über Leben und Tod des Bedürftigen.
Mit der gegenwärtigen Fassung des § 31 SGB II verstößt der Staat gegen Art. 1 Abs. 1 und 2 GG, Art. 2 Abs. 2 GG, Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 6 GG, Art. 13 Abs. 1 GG, Art. 20 Abs. 1 GG, Art. 25 GG.
Durch § 31 SGB II werden dem Bedürftigen de facto seine staatsbürgerlichen Rechte zwangsweise aberkannt.

Sanktionen für die Einforderung der Pflichten nach § 2 SGB II sind als Rechtfertigungsgrund einer Unterschreitung des Existenzminimums ungeeignet, da sie dem mittelosen Bürger keine Möglichkeit mehr bieten, seine Pflichten nach § 2 SGB II zu erfüllen. Ihm würden damit die finanziellen Mittel hierzu fehlen (Kosten für Bewerbungen, entsprechende Kleidung, Körperpflege, etc.) und er würde bei einem, bei Minderung des ALG2 um 100 % zwangsweise eintretendem Wohnungsverlust, gar nicht mehr vermittelbar sein. Alles das steht dem Grundzweck des SGB II, eine Vermittlung in Arbeit mit dem Ziel der Beendigung der Bedürftigkeit, entgegen.

Einsparungen sind als Rechtfertigungsgrund einer Unterschreitung des soziokulturellen Existenzminimums unzulässig: das Bundesverfassungsgericht hat für die nicht hinreichende Existenzsicherung im Steuerrecht ausgeführt, dass die Dringlichkeit einer Haushaltssanierung als Rechtfertigung nicht in Betracht komme (Beschluss vom 29. Mai 1990 – Az.: 1 BvL 20/86 u.a. = BVerfGE 82, 60, 89). Dies lässt sich analog auf das soziokulturelle Existenzminimum anwenden, dem noch eine weitaus größere Bedeutung bei der Existenzsicherung zukommt, als dem steuerlichen Existenzminimums.

Somit ist festzustellen, das:
- der § 31 SGB II deshalb in seiner aktuellen Fassung nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist
- eine Leistungskürzung, welche die Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II umfasst, unzulässig ist
- eine Leistungskürzung, welche die Kosten der Lebenshaltung nach § 20 SGB II umfasst, unzulässig ist, sofern nicht in ausreichendem Umfang sichergestellt wird, dass der Grundbedarf nach § 20 SGB II anderweitig durch Sachleistungen sichergestellt ist.
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Ottokar

In seinem Grundsatzurteil vom 09.02.2010, 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, hat das BVerfG zur im Grundgesetz verankerten Bedarfsdeckungspflicht des Staates unmissverständlich dargelegt und klargestellt hat, das den Staat die generelle und uneinschränkbare Pflicht trifft, die physische Existenz und ein Mindestmaß an Teilhabe an gesellschaftlichem, kulturellem und politischem Leben zu sichern. Die Leistung des SGB II nach §§ 20 und 22 SGB II stellt dabei das absolute Minimum dar, das in jedem Fall gewährt werden muss. Dieses Grundrecht ist lt. BVerfG dem Grunde nach unverfügbar und muss vom Grundsicherungsträger eingelöst werden.
Damit sind die Festlegungen in § 31 SGB II, die eine ersatzlose Reduzierung und Streichung von Regelleistung und Unterkunftskosten vorsehen, eindeutig verfassungswidrig und dürfen in dieser Form nicht angewendet werden. Es bedarf zwingend einer verfassungskonformen Auslegung des § 31 SGB II.
Diese kann nur so aussehen, dass ersatzweise im Wert der gekürzten Bargeldleistung Gutscheine, falls erforderlich zweckgebunden, gewährt werden.
So u.a. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 24.02.2010, L 7 AS 1446/09 B ER und vom 21.04.2010, L 13 AS 100/10 B ER.
Auch das BSG tendiert in seiner Rechtsprechung seit dem o.g. Urteil des BVerfG eindeutig in diese Richtung.
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