Regelleistungen nach SGB II nicht verfassungsgemäß berechnet

Begonnen von Ottokar, 22. Januar 2011, 16:04:06

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Ottokar

Urteil vom 09.02.2010, 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09


Zusammenfassung

I.
Die Berechnung des Eckregelsatzes für Erwachsene ist verfassungswidrig, weil der Gesetzgeber bei der Auswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1998 und 2003 Abzüge vorgenommen hat, die bei der zugrunde gelegten Bevölkerungsgruppe: der Unteren 20% ohne Sozialhilfeempfänger, gar nicht vorkommen, oder nicht belegt werden konnten.
Konkret wurden die Kürzungen bei "Bekleidung und Schuhe" für Pelze und Maßkleidung, bei der "Haushaltenergie" für Strom (-15%), bei "Verkehr" wegen der Kosten für Kraftfahrzeuge, bei "Freizeit, Unterhaltung und Kultur" u.a. für Segelflugzeuge und beim "Bildungswesen" (-100% = kein Anspruch auf Bildung) bemängelt.

Die Festlegung der Regelsätze für Kinder ist verfassungswidrig, weil der Gesetzgeber gar keine Erhebungen zum Bedarf von Kindern vorgenommen, sondern den Regelsatz Erwachsener "freihändig" ohne Begründung um 40% gekürzt hat. Insbesondere fehlt es an einer differenzierten Untersuchung des individuellen Bedarfs von kleineren und größeren Kindern.

Der Schulbedarf nach § 24a SGB II wurde ebenfalls nicht ermittelt, sondern offensichtlich freihändig geschätzt und ist deshalb verfassungswidrig. Außerdem gehört dieser Bedarf zum Grundbedarf des Kindes, was einer Gewährung als Mehrbedarf widerspricht.

Die Orientierung des Regelsatzes am Rentenwert ist verfassungswidrig, da sich der Regelsatz am tatsächlichen Bedarf orientieren muss.

Im SGB II fehlen Festlegungen zur Übernahme individueller atypischer Mehrbedarfe, die ebenfalls der Bedarfsdeckungspflicht unterliegen, was auch verfassungswidrig ist.


II.
Das BVerfG hat dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 31.12.2010 eingeräumt, die verfassungswidrigen Punkte verfassungskonform neu zu regeln, wobei die Neuregelung einer weiteren Kontrolle des BVerfG unterliegt.
Individuelle atypische Mehrbedarfe sind zudem ab sofort von der Bundesregierung zu übernehmen.

Die verfassungswidrigen Normen bleiben bis zu einer Neuregelung, die der Gesetzgeber bis zum 31. Dezember 2010 zu treffen hat, weiterhin anwendbar. Zu einer rückwirkenden Entscheidung ist der Gesetzgeber lt. Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG nicht verpflichtet.


III.
Das BVerfG führt weiter aus, dass es nicht feststellen konnte, dass der Eckregelsatz von 345€ evident (augenscheinlich) zur Sicherstellung eines menschenwürdigen Existenzminimums Erwachsener nicht ausreichend sei. Es konnte ebenfalls nicht feststellen, dass der Regelsatz von 207€ evident (augenscheinlich) zur Sicherstellung eines menschenwürdigen Existenzminimums für Kinder nicht ausreichend sei, insbesondere um den Ernährungsbedarf von Kindern im Alter von 7 bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres zu decken.
Auch sieht es sie Absenkung des Regelsatzes bei Partnern als verfassungskonform an, da dort aufgrund des Zusammenlebens ein Minderbedarf vorliege.
Es bedarf deshalb keiner sofortigen Erhöhung des Regelsatzes. Die bis zum 31.12.2010 vorzunehmende Neuberechnung ist ausreichend.

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Hier gehts zur Pressemitteilung des BVerfG: http://www.bundesverfassungsgericht.de/ ... 9-096.html
Hier gehts zum Urteil des BVerfG: http://www.bundesverfassungsgericht.de/ ... 00109.html

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