Vorwurf Sozialleistungsbetrug – LG Hagen weist Beiordnung von Verteidiger zurück

Begonnen von UW, 10. Oktober 2015, 00:22:21

⏪ vorheriges - nächstes ⏩

0 Mitglieder und 2 Gäste betrachten dieses Thema.

UW

Als im Juni 2010 Strafanzeige gegen zwei Sachbearbeiter der Widerspruchstelle der ARGE Märkischer Kreis gestellt wurde, stellte der zuständige Staatsanwalt das Ermittlungsverfahren mit einer knappen Anmerkung ein:

,,Es ist nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaft, Bescheide der ARGE Märkischer Kreis auf Richtigkeit zu überprüfen. Dafür steht der Weg zu den Sozialgerichten offen, . . .
http://www.beispielklagen.de/Klage030/2010_10_12_Strafanzeige_eingestellt.pdf

Anders gestaltet sich die Sache, wenn gegen Leistungsberechtigte vorgegangen wird. Juristisch meist völlig unerfahren und ohne rechtlichen Beistand bleiben diese einer Übermacht ausgeliefert. Nicht selten sind Zivilrichter und Staatsanwälte kaum oder nur unzureichend im Sozialrecht geschult, und die Bescheide des Jobcenters müssen nicht einmal korrekt sein, um Betroffene wegen Sozialleistungsmissbrauch zu verurteilen.
Das ist keine Waffengleichheit, wie das Bundesverfassungsgericht zusichert.

In einer aktuellen PKH-Entscheidung hat jetzt das Landgericht Hagen den Rechtsanspruch auf einen Verteidiger mit der Begründung zurückgewiesen, die Sach- und Rechtslage wäre einfach.

Den Beweis des Gegenteils liefern die Richter gleich mit, indem sie in der Begründung selbst die sozialrechtliche Frage, ,,ob und in welcher Höhe die Angeklagte zur Rückzahlung erhaltener Sozialleistungen verpflichtet ist," irrtümlich als zivilrechtliche Angelegenheit deklarieren.

Die Rechtsverteidigung ist also so einfach, dass selbst Richter des Hagener Landgerichts den Fall der falschen Gerichtsbarkeit zuordnen . . . .

,,Auch die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage gebietet die Mitwirkung eines Verteidigers nicht. Die Sach- und Rechtslage ist durchaus einfach gelagert.
Entgegen der Ansicht der Verteidigung gestaltet sich auch die Beweisaufnahme übersichtlich, zu der lediglich der zuständige Sachbearbeiter des Jobcenters des
Märkischen Kreises, Herr Uwe N.          , als Zeuge geladen ist. Für das hier allein relevante Strafverfahren wegen Betruges kommt es — entgegen der Auffassung der
Verteidigung — auch nicht in ganz besonderer Weise auf die Höhe des entstandenen Schadens an, zu dem zwingend eine Einholung eines Sachverständigengutachtens geboten wäre. Insoweit mag für die — zivilrechtliche — Frage, ob und in welcher Höhe die Angeklagte zur Rückzahlung erhaltener Sozialleistungen verpflichtet ist, eine konkrete Schadenberechnung erforderlich sein, jedoch ist die konkrete Feststellung für das Strafverfahren nicht zwingend geboten. Insoweit ist auch zu sehen, dass sich die Angeklagte bislang dahingehend eingelassen hat, sie habe den zuständigen Sachbearbeiter des Jobcenters, den Zeugen N.            , zu jedem Zeitpunkt über ihre Arbeitsaufnahme in Kenntnis gesetzt."

http://www.beispielklagen.de/Urteile/2015_08_25_ablehnender_PKH_Beschluss_LG_Hagen_44_Qs_202_Js_496_14_118_15_Sozialleistungsbetrug.pdf


In der Vergangenheit zeigte sich bereits mehrmals, dass Verfahren gegen Jobcenter-Kunden nur aufgrund kompetenter Verteidigung gewonnen werden konnten. Dabei stellte sich mehrmals heraus, dass das Jobcenter nur Teilakten herausgegeben hatte, anhängige Klagen nicht bekannt gegeben wurde und auch sozialgerichtlich bereits geklärte Verfahren unterschlagen wurden.

18.09.2014 Jobcenter Märkischer Kreis blamiert sich in mutwillig provoziertem OWi-Verfahren
http://www.lokalkompass.de/iserlohn/vereine/jobcenter-maerkischer-kreis-blamiert-sich-in-mutwillig-provoziertem-owi-verfahren-d521475.html

18.05.2013 Jobcenter Märkischer Kreis unterstellt Kunden regelmäßig grobe Fahrlässigkeit
http://www.lokalkompass.de/iserlohn/politik/jobcenter-maerkischer-kreis-unterstellt-kunden-regelmaessig-grobe-fahrlaessigkeit-d297601.html

13.10.2010 ARGE MK unterliegt auch im 2. Ordnungswidrigkeiten-Verfahren
http://www.lokalkompass.de/iserlohn/ratgeber/arge-mk-unterliegt-auch-im-2-ordnungswidrigkeiten-verfahren-d19763.html

Gast28219

Worum geht es denn hier überhaupt? In der PKH-Ablehnung die Rede von einem anhängigen Strafverfahren, für das zweifellos ein Amts- oder Landgericht zuständig wäre. Nur, wenn hier ein Landgericht ein Strafverfahren führen sollte, dann müßte es für den Angeklagten einen Pflichtverteidiger stellen. Und zwar unabhängig davon, ob die Sachllage kompliziert ist oder nicht, denn es verkennt offenbar die Tatsache, daß vor deutschen Landgerichten Anwaltszwang herrscht.

Zitat
Für das hier allein relevante Strafverfahren wegen Betruges kommt es — entgegen der Auffassung der
Verteidigung — auch nicht in ganz besonderer Weise auf die Höhe des entstandenen Schadens an, zu dem zwingend eine Einholung eines Sachverständigengutachtens geboten wäre. Insoweit mag für die — zivilrechtliche — Frage, ob und in welcher Höhe die Angeklagte zur Rückzahlung erhaltener Sozialleistungen verpflichtet ist, eine konkrete Schadenberechnung erforderlich sein ...

Stellt sich die Frage, wo ein Verfahren zu führen wäre, in dem mehrere Rechtsgebiete berührt sind. Bestimmt nicht gleichzeitig vor mehreren Gerichten. Aber um das hier korrekt beurteilen zu können, fehlen einfach die nötigen Informationen.

Ottokar

Zitat von: UW am 10. Oktober 2015, 00:22:21In einer aktuellen PKH-Entscheidung hat jetzt das Landgericht Hagen den Rechtsanspruch auf einen Verteidiger mit der Begründung zurückgewiesen, die Sach- und Rechtslage wäre einfach.
In Strafsachen besteht kein Anspruch auf PKH. Die Ablehnung derselben basiert also auf anderen Gründen und wurde hier vom Autor wohl falsch verstanden oder interpretiert.
Meine Beiträge beinhalten oder ersetzen keine anwaltliche Beratung oder Tätigkeit.
Für eine verbindliche Rechtsberatung und -vertretung suchen Sie bitte einen Anwalt auf.