Sozialgericht Gotha hält Hartz IV Sanktionen für verfassungswidrig

Begonnen von Diskus, 27. Mai 2015, 15:25:32

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Alexa55

wenn es nicht hierher gehört bitte verschieben oder löschen!

In der hiesigen Tageszeitung und dann hier: http://www.pressreader.com/ habe ich gelesen, dass die Rückzahlung eines Darlehens für Mietkaution nicht aus dem Regelsatz abgestottert werden muss weil ansonsten das Existenzminimum des Bedürftigen nicht mehr gewährleistet ist.

Heist das nicht im Umkehrschluss, dass der Regelsatz das absolute Existenzminimum darstellt und daran nicht herumgeknabbert werden darf.

Lg Alex


MichaK

Zitat von: Alexa55 am 18. Juli 2016, 16:48:51Heist das nicht im Umkehrschluss, dass der Regelsatz das absolute Existenzminimum darstellt und daran nicht herumgeknabbert werden darf.


Hallo Alex,

die Herrschenden machen da noch einen Unterschied zwischen soziokulturellem Minimum und dem sogenannten physischen Minimum. Daher soll es auch bei Kürzung um mehr als 30 Prozent Sachleistungen, Gutscheine .... geben.

Gast18959

Zitat von: MichaK am 18. Juli 2016, 16:58:51die Herrschenden machen da noch einen Unterschied zwischen soziokulturellem Minimum und dem sogenannten physischen Minimum.

Diese Begründung für Sanktionen (nur die Sicherung der physische Existenz ist geboten) ist rechtswidrig.
Festgestellt durch das BVerfG 1 BvL 10/12 am 23. Juli 2014 :
RN. 118
Zitat(1) Zum internen Ausgleich kann nicht pauschal darauf verwiesen werden, dass Bedürftige Leistungen zur Deckung soziokultureller Bedarfe als Ausgleichsmasse für andere Bedarfspositionen einsetzen könnten (so die Stellungnahme der Bundesregierung, mit Verweis auf BSG, Urteil vom 12. Juli 2012 - B 14 AS 153/11 R -, juris, Rn. 60), denn der soziokulturelle Bedarf gehört zum grundrechtlich gesicherten, menschenwürdigen Existenzminimum. Auch die in der Pauschale für den Regelbedarf enthaltenen Leistungen für soziokulturelle Bedarfe sind keine frei verfügbare Ausgleichsmasse, da diese Bedarfe ebenfalls existenzsichernd zu decken sind (vgl. BVerfGE 125, 175 <223 f.>; 132, 134 <161, Rn. 64 f.>; oben C I 1 a).
http://www.bverfg.de/entscheidungen/ls20140723_1bvl001012.html

Neuerdings wird von den "sozialen Richtern" behauptet:
L 16 AS 383/11
Dem Grundgesetz wäre kein Normbefehl auf Gewährung von voraussetzungslosen steuerfinanzierten Staatsleistungen zu entnehmen (BVerfG, Beschluss vom 07.07.2010, 1 BvR 2556/09, ...).

Ist selbstverständlich eine ebenso falsche Auslegung eines BVerfG-Urteils, wie es rechtswidrig ist.
Wenn die Menschenwürde unantastbar ist, kann sie nicht an vorausgesetzte Pflichterfüllungen geknüpft werden.
Bei der Menschenwürde sieht das Grundgesetz auch keine einfachgesetzlichen Einschränkungen vor.
Der Normbefehl lautet eindeutig - "unantastbar"- und eben nicht - "vorausgesetzt das ....".

Quinky

Das soziokulturelle Existenzminimum beträgt 404€ plus Mietkosten = ca. 790€
Das ABSOLUTE Existenzminimum beträgt 1.079,77€!!

Das absolute Existenzminimum ist also höher als das soziokulturelle E.., somit kann das soziok. E. nicht gekürzt werden.
Darum kümmert sich unsere Regierung einen Schei... und erlaubt das NICHT kürzbare, weil absolute E. zu kürzen = Menschen zu ermorden, da ein üBERLEBEN NICHT mehr möglich ist.
Kürzungen bei HartzIV ist Massernmord. JEDER HartzIV-Bezieher, der länger auf HartzIV angwiesen ist, muß statistisch gesehen PER GESETZ 10 Jahre früher sterben (von mehreren integeren Instituten ermittelt worden). Diesen frühen Tod hat unsere Regierung festgelegt.

Das absolute Existenzminum beträgt 1.079,77 = das unpfändbare Einkommen.
Das unpfändbare Einkommen IST!!! das Existenzminimum! Wäre es das nicht, würde der Gesetzgeber Schuldner gegenüber Gläubigern schützen. Das ist aber rechtlich NICHT möglich. Nur was NICHT zur Existenz gehört,kann gepfändet werden!

Gruß
Ernie

Orakel

Wen willst du denn mit diesem absoluten Schwachsinn hinter dem Ofen hervorlocken? Von Staatsanwälten einmal abgesehen ...

AlterGaul

Das ist wohl zwei Postings vor mir, mal wieder ein Richter am BVerfG verloren gegangen. Vielleicht sollten wir den Richtern mal einen Link von dem Forum/diesem Thema schicken, damit sie noch weitere Kenntnisse sammeln können, für die Ausübung ihres Jobs oder ihre Fehler, die sie machen laut einiger hier, dann direkt und unverzüglich ohne schuldhaftes zögern korrigieren können.
"The tree of liberty must be refreshed from time to time with the blood of patriots and tyrants."
Thomas Jefferson

MichaK

#651
Zitat von: Gast18959 am 18. Juli 2016, 18:47:32Ist selbstverständlich eine ebenso falsche Auslegung eines BVerfG-Urteils,

Die falsche Auslegung sehe ich auch so, zumindest ist das Zitat im sachlichen Zusammenhang gar nicht zutreffend erfolgt.
Allerdings ist deine Begründung
ZitatAuch die in der Pauschale für den Regelbedarf enthaltenen Leistungen für soziokulturelle Bedarfe sind keine frei verfügbare Ausgleichsmasse, da diese Bedarfe ebenfalls existenzsichernd zu decken sind
ebenso im sachlichen Zusammenhang nicht erfolgt.

Einmal ging es um die Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers zur Anrechnung von Einkommen und einmal um den internen Ausgleich innerhalb des Regelbedarfes (bspw. Stromkosten, bspw. Waschmaschine, Kühlschrank etc..)
In beiden Fällen geht es nicht darum, was der Befehl "unantastbar" in Bezug auf eine Mindestleistung darstellt. Das weist du doch selbst :grins:
So einfach ist es leider nicht.
Ich hab bisher diesbezüglich vom BVerfG nur eine einzige Feststellung gelesen, nämlich dass der Regelbetrag nicht evident unzureichend sei. Und ich schreibe gleich dazu, dass ich die Begründung des BVerfG für diese Feststellung für auffallend unzureichend halte. Insofern finde ich Quinkys Einlassungen nicht so belustigend, eher nachdenkenswert. Im Prinzip ist die Herleitung eines existenzsichernden Minimums aus den Ausgaben der untersten Einkommensbezieher nicht zielführend in Hinsicht auf die Gewährleistung der Menschenwürde. Das kann mir Keiner erzählen, egal wer.

Orakel

Zitat von: AlterGaul am 18. Juli 2016, 19:46:46
... mal wieder ein Richter am BVerfG verloren gegangen.

Bundesverfassungsrichter kann doch jeder! Es kommen lediglich immer wieder die falschen Personen ins Amt ...

Gast18959

Zitat von: MichaK am 18. Juli 2016, 19:48:42So einfach ist es leider nicht.

Nicht verwechseln

Einmal geht es um die vermeintliche "Gestaltungsmöglichkeit" des Gesetzgebers lediglich die physische Existenz gewährleisten zu müssen (ZB. Nahrung, schlafen, Kleidung). So jedenfalls die weitverbreitete sozialrichterliche Meinung.
Die soziokulturellen Bedarfe (ZB. Telefon, Bewirtung, Bildung) wären somit entbehrlich, stehen folglich zum Ausgleich nicht zur Verfügung.
Zwar geht das BVerfG im Beschluss nicht auf die Sanktionsfrage ein, allerdings bezieht es sich auf evtl. ungedeckte Bedarfe, die nicht durch die Verwertung des soziokulturellen Anteils auszugleichen, sondern durch verfassungskonforme Auslegung zu decken sind.
Deshalb betont es den eigenständigen Rechtsanspruch auf die soziokulturelle Teilhabe.

Nichts Anderes kann bei Sanktionen gelten, denn denklogisch werden dabei ungedeckte Bedarfe "produziert".
Bei 30%iger Sanktion entfällt also entweder die soziokulturelle Teilhabe oder zum Teil der Grundbedarf.
Wenn nach BVerfG, der Teilhabebedarf dem Betroffenen also in jedem Fall zur eigenständigen Verwendung zur Verfügung zu stellen ist, bleibt nur der sanktionierte Grundbedarf übrig.
Es müsste also bereits ab 10% Sanktion Zugriff auf die bewährten Schuldverschreibungen vom JC geben.

Mal abgesehen von der Tatsache, dass sich ein herauslösen von Einzelposten aus einer Pauschale von selbst verbietet weil eine Pauschale nur insgesamt Wirkung entfalten kann.
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Zum zweiten geht es um die "Gewährung von voraussetzungslosen steuerfinanzierten Staatsleistungen" und dass das GG keinen entsprechenden Normbefehl hätte.
Nur darauf bezieht sich meine Aussage, Normbefehl : "unantastbar".
Richtigerweise von dir erkannt, berufen sich die Sozialgerichte dabei auf ein BVerfG-Urteil, dass sich auf die Anrechnung von Einkommen aufs Minimum bezieht und genau nicht von zu erfüllenden Erwerbsobliegenheiten als Voraussetzung spricht.

MichaK

#654
Zitat von: Gast18959 am 18. Juli 2016, 22:26:13

Nicht verwechseln.....Zwar geht das BVerfG im Beschluss nicht auf die Sanktionsfrage ein, allerdings bezieht es sich auf evtl. ungedeckte Bedarfe, die nicht durch die Verwertung des soziokulturellen Anteils auszugleichen, sondern durch verfassungskonforme Auslegung zu decken sind.
Deshalb betont es den eigenständigen Rechtsanspruch auf die soziokulturelle Teilhabe.....

I c h verwechsle da nix. Es ist richtig, dass der eigenständige Anspruch auf Teilhabe herausgestellt wurde, aber das sagt leider nix darüber, ob dieser Anspruch bedingungslos zu erfüllen ist.

Der Gesetzgeber bzw. die Regierung und die Gerichte stützen sich bezüglich der Sanktionen immer noch auf ein antikes Urteil des BVerwG vom 23.2. 1979 AZ 5B 114/78. Sozialbindung der Grundrechte etc..

wobei das nur die juristische Übersetzung des ökonomischen Prinzips der Kapitalordnung darstellt. Verfügungsgewalt über fremde Arbeit ist Bedingung. Klassenjustiz eben. Da kann Menschenwürde beliebig interpretiert werden. Das BVerfG wird da gewiss nicht im Wege stehen .

Hexe

Zitat von: MichaK am 19. Juli 2016, 14:12:26Es ist richtig, dass der eigenständige Anspruch auf Teilhabe herausgestellt wurde, aber das sagt leider nix darüber, ob dieser Anspruch bedingungslos zu erfüllen ist.

Es ist doch nicht Bedingungslos, wenn die Hilfebedürftigkeit nachgewiesen werden muss.
LG Hexe
Ich erteile keine Rechtsberatung sondern gebe nur meine eigene Erfahrung weiter

Orakel

Na so was aber auch, Hilfebedürftigkeit nachweisen. Das gibt es nur in Deutschland!

MichaK

Zitat von: Orakel am 19. Juli 2016, 16:20:22
Das gibt es nur in Deutschland!

schon etwas unangebracht, deine Ironie, m.E.

Was aber eben die Problematik auch schön beschreibt.

aber @ Hexe, hilfebedürftig heißt eben lt. Gesetz auch mehr als finanziell hilfebedürftig. Und da landen wir wieder bei den Sanktionen.

Orakel

Wie kommst du darauf, dass meine Bemerkung ironisch gemeint war?

Gast18959

Zitat von: MichaK am 19. Juli 2016, 14:12:26Es ist richtig, dass der eigenständige Anspruch auf Teilhabe herausgestellt wurde, aber das sagt leider nix darüber, ob dieser Anspruch bedingungslos zu erfüllen ist.

Offenbar liest du das etwas anders als ich :

Zitat von: Gast18959 am 18. Juli 2016, 18:47:32Auch die in der Pauschale für den Regelbedarf enthaltenen Leistungen für soziokulturelle Bedarfe sind keine frei verfügbare Ausgleichsmasse, da diese Bedarfe ebenfalls existenzsichernd zu decken sind (vgl. BVerfGE 125, 175 <223 f.>; 132, 134 <161, Rn. 64 f.>; oben C I 1 a).

:scratch:

Einschränkungen kann ich im Beschluss nicht erkennen.
Die Aussage ist abschliessend, keine weitergehende Konkretisierung wie zB. im Bafög-Urteil.

Klar, das BVerfG wollte sich bisher nicht zu den Sanktionen äussern.
Deshalb bleibt eben nur der Vergleich mit Aussagen des BVerfG´s zu ähnlichen Sachverhalten.