SG Berlin: Betriebsverpflegung - Keine Hartz IV-Kürzung für Wurstverkäuferin

Begonnen von Meck, 27. Juni 2015, 04:43:40

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Meck

Das SG Berlin hat entschieden, dass nicht verzehrte Betriebsverpflegung nicht pauschal als Einkommen auf einen Hartz IV-Anspruch angerechnet werden darf. Die 1969 geborene Klägerin arbeitete im umstrittenen Zeitraum 2013 als Verkäuferin bei einem Berliner Betrieb für Fleisch- und Wurstwaren. Als sogenannte Aufstocker erhielten sie und ihr Kind vom Jobcenter Reinickendorf ergänzende Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende ("Hartz IV"). AZ: S 175 AS 15482/14 

-->> http://www.gegen-hartz.de/nachrichtenueberhartziv/keine-hartz-iv-kuerzung-fuer-wurstverkaeuferin-90016618.php

-->> https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=178670
LG Meck :bye:

Angela1968

Werden dann in Zukunft die Einkommensbescheinigugne auch gändert und der AG muss nicht mehr ankreuzen ob der AN unentgeltlich verpflegt wird? Denn nach diesem Urteil müsste diese Formulare ja geändert werden.

Angela

Gast29263

Das ist ein Urteil aus Berlin. Somit nicht bindend für andere Städte.

Orakel

Das ist ein weit verbreiteter Irrtum, der sich allerdings hartnäckig hält.

Urteile binden grundsätzlich nur die beteiligten Parteien. Alle anderen - auch Jobcenter und Gerichte - außerhalb des örtlichen Zuständigkeitsbereiches des entscheidenden Gerichts "dürfen" in ähnlich gelagerten Fällen identisch argumentieren.

Nachzulesen in jeder Gerichtsentscheidung, jedem Gesetzeskommentar ...

Und etwas ausführlicher, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen:

In Deutschland kann grundsätzlich jedes Gericht von den Entscheidungen anderer, auch höherer Gerichte abweichen (Grundsatz der Unmaßgeblichkeit anderer gerichtlicher Entscheidungen).

Gerichtliche Entscheidungen wirken grundsätzlich nur zwischen den am Rechtsstreit Beteiligten im konkreten gerichtlichen Verfahren. Sie binden das Gericht und die Streitparteien, soweit es sich um denselben Streitgegenstand handelt. Nicht erfasst werden Parallelfälle oder Dritte, die am konkreten gerichtlichen Verfahren nicht beteiligt waren. Auch höchstrichterliche Entscheidungen haben in späteren, ähnlich gelagerten Verfahren keine verbindliche Wirkung. Untergerichte und Behörden orientieren sich zwar in der Regel an höchstrichterlichen oder obergerichtlichen Entscheidungen, rechtlich verpflichtet sind sie hierzu aber nicht.

Rechtlich gebunden sind Richter nur an Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (§ 31 BVerfGG), an Verweisungsbeschlüsse nach § 17a Abs. 2 S. 3 GVG, sowie die betroffenen Instanzgerichte an die rechtliche Beurteilung des zurückverweisenden Gerichtes (vgl. § 563 Abs. 2 ZPO) und die anrufenden Senate an Entscheidungen des Gemeinsamen Senats bzw. der Großen Senate.

Gerichtliche Entscheidungen haben keine Allgemeinverbindlichkeit. Daher kann sie jeder Rechtsanwender in einem neuen Rechtsstreit infrage stellen oder ignorieren. Der Geltungsanspruch von gerichtlichen Entscheidungen über den Einzelfall hinaus beruht allein auf der Überzeugungskraft ihrer Gründe sowie der Autorität und den Kompetenzen des Gerichts.

Dies hat zur Folge, dass auch die Verwaltung rechtlich nicht verpflichtet ist, richterlichen Entscheidungen jenseits deren Rechtskraft in Parallelfällen zu folgen. Zwar darf die Verwaltung - aus Gründen der Rechtsanwendungsgleichheit - nicht in einzelnen Fällen willkürlich von ihrer sonstigen Rechtspraxis abweichen, wohl aber darf sie in Parallelfällen eine gerichtliche Entscheidung dann unbeachtet lassen, wenn sie eine solche Rechtspraxis noch nicht vorhanden ist und sie ausdrücklich eine solche auch nicht begründen will.

Dem muss sich wiederum der Adressat eines Verwaltungsaktes nicht zwingend unterordnen. Soweit ihm der Rechtsweg offensteht, kann er sich sehr wohl auf die Argumentation in Parallelfällen berufen. Letztlich wird die Überzeugungskraft seiner Argumente über den Ausgang des gerichtlichen Verfahrens entscheiden.

Gast29263

Zitat von: Orakel am 27. Juni 2015, 10:33:33
Das ist ein weit verbreiteter Irrtum, der sich allerdings hartnäckig hält.

Sorry, da du kein Zitat benutzt hast: Welche Aussage?

Orakel

Zitat von: Gast29263 am 27. Juni 2015, 11:26:59
Welche Aussage?

Deine Aussage in Antwort #2, weil sie in dieser Form zu einem falschen Schluss, eben dem Irrtum führt ...

Genau so argumentieren nämlich nicht selten MA in Jobcentern, weil sie sich mit dem Tenor der Gerichtsentscheidungen gar nicht auseinandersetzen (wollen).

Gast29263

Achso, ja. Ich wollte nicht irritieren. Meine Aussage war in dieser Form natürlich nicht ganz korrekt  :smile:

Meck

Unser Autor Bernd Matthies setzt sich zu Hartz-IV-Aufstockern in die Kantine. Er findet den Versuch des Jobcenters, Menschenleben auf jeden Cent auszumessen, unerträglich.

Über Hartz IV sind ganze Bibliotheken geschrieben worden – aber letztlich hängt alles doch davon ab, ob man mit leisem Schaudern von draußen draufschaut oder als Betroffener einer grotesken Bürokratie ausgesetzt ist, deren Befugnisse ständig gerichtlich definiert und kontrolliert werden müssen.


-->> http://www.tagesspiegel.de/berlin/hartz-iv-empfaenger-im-jobcenter-ich-will-keine-pommes-mit-mayo/11971296.html

Ergänzend der dazugehörige Artikel, nochmal allgemein zum Urteil -->> http://www.tagesspiegel.de/berlin/das-ist-dem-gericht-nicht-wurst-jobcenter-darf-hartz-iv-nicht-pauschal-kuerzen/11971294.html
LG Meck :bye:

Gast26037

Sozialgericht Berlin, Urteil vom 23. März 2015 S 175 AS 15482/14.: Pausenverpflegung, die ein Arbeitgeber bereitstellt, darf nicht pauschal zur Kürzung des Regelbedarfs von Leistungsberechtigten führen. Dies gilt erst recht, wenn sie – wie hier – aus gesundheitlichen Gründen gar nicht verzehrt wird.

http://www.berlin.de/gerichte/sozialgericht/presse/pressemitteilungen/2015/pressemitteilung.334720.php

Gast21319

Keine Hartz-IV-Kürzung für Wurstverkäuferin auf Diät

Fleisch, Wurst und Salate mit Mayonnaise - das stellt ein Arbeitgeber für die Pause zur Verfügung.
Eine Wurstverkäuferin auf Diät rührt das lieber nicht an. Dennoch wird der Hartz-IV-Aufstockerin diese Verpflegung angerechnet.
Das wollte sie nicht hinnehmen.

weiterlesen: Frankfurter Rundschau (Erstellt 30.09.2015)

Urteil SG Berlin: S 175 AS 15482/14

Quinky

Da hier von Verpflegung die Rede ist, hier die Regelung, WENN die Verpflegung tatsächlich in Anspruch genommen wird:

WENN der Arbeitsgeber Verpflegung zur Verfügung stellt und das als Einkommen auf der Lohnabrechnung auftaucht, darf MAXIMAL!! der Wert als Einkommen genommen werden, der laut Regelsatzverordnung diesem Aufstocker zusteht!
Beispiel:
Single, 22 Arbeitstage, 88€ als Mittagsverpflegung (4€/Tag) auf der Lohnabrechnung als Lohnvorteil.

Bei der Einkommensberechnung des ALGII darf jetzt NICHT!!! die 88€ als Einkommensvorteil genommen werden, sondern lediglich 1,89/Tag*) x 22 = 41,58 bei der Berechnung als Einkommen berücksichtigt werden. Ist die Person verheiratet oder unter 25 Jahren dementsprechend WENIGER!!

1,89€*)
Laut Regelsatzverordnung stehen 141,67€ für die Ernährung zur Verfügung, dividiert durch 30 Tage  ergibt 4,72€ täglich, Mittagessen wird mit 40% des Wertes berücksichtigt = 1,89 (bei verheiratet nur 1,70).

Es kann NUR der Vorteil genommen werden, der in der Regelsatzverordnung vorgesehen ist.

Also eine Curry-Wurst mit Pommes kann NICHT mit vollem Wert Vorteil sein, da allen ALGII-Empfängern keine Curry-Wurst mit Pommes zusteht (zumindest laut unserer Regierung, denn die hat festgelegt, das 1,89€ für ein komplettes Mittagessen ausreicht).

Gruß
Ernie

Angela1968

Ganz einfache Lösung: Der AG stellt die "Reste" zur Verfügung und kreuzt aber in er EKS vom JC an das r keine Verpflegugn zur Verfügung stellt. Schon kann nihts angerechnet werden.vIch weis das dies bei einigen Aufstockern von den AG so gehandhabt wid schon jahrelang.

Angela