Ratgeber Angemessenheit der Kosten der Unterkunft

Begonnen von Ottokar, 15. November 2008, 12:57:36

⏪ vorheriges - nächstes ⏩

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Ottokar

Vorwort
Aufgrund der seit 2011 in § 22a SGB II enthaltenen Satzungsermächtigung können die jeweiligen Landesregierungen die Kommunen per Landesgesetz ermächtigen ("kann") oder verpflichten ("muss"), Satzungen zu verabschieden, in denen die Kommunen die Angemessenheitskriterien für die Kosten der Unterkunft und Heizung festlegen. Diese Satzungen unterliegen aufgrund § 55a SGG der Normenkontrolle durch das jeweilige Landessozialgericht.
Grundlage sind dabei die bereits vom BSG entwickelten Kriterien, welche sich auch in den §§ 22a und b SGB II wiederfinden.
Aktuell gibt es ein solches Landesgesetz für Hessen, Berlin und Schleswig-Holstein (näheres siehe hier).


Angemessenheit der Kosten der Unterkunft

Kaltmiete
Wie der Leistungsträger die Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung zu ermitteln und zu beurteilen hat, hat das BSG in seiner Rechtsprechung seit 2006 ausführlich klargestellt (vgl. BSG Urteil vom 07.11.2006, Az. B 7b AS 10/06 R und B 7b AS 18/06 R, vom 18.06.2008, B 14/7b AS 44/06 R).
Danach muss der Leistungsträger bei der Ermittlung der Angemessenheit von der sog. Produkttheorie ausgehen, die schon im Sozialhilferecht angewendet wurde.
In der Praxis heißt das, es muss die nach Personenzahl der Bedarfsgemeinschaft zulässige Wohnungsgröße, die sich nach den jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften des soziale Wohnungsbaues richtet, mit der für die am Wohnort üblichen durchschnittlichen Quadratmeterkaltmiete für Wohnungen im unteren (nicht untersten) Standart multipliziert werden.
Maßgeblich ist dabei immer der Wohnort des Hilfebedürftigen. In größeren Städten dürfen dazu kleinere Einheiten gebildet werden. Der Leistungsträger darf aber keinen Durchschnitt aus ländlichen und städtischen Gebieten bildet. Es können nur Gebiete mit gleicher Mietenstruktur zusammengefasst werden.
Gibt es keinen Mietspiegel, können übergangsweise die Höchstbeträge des § 8 WoGG plus einen die Pauschalierung ausgleichender Zuschlag von 10 % zugrunde gelegt werden.
(Im WoGG 2009 wurde der § 8 WoGG nun § 12 WoGG. Die Tabelle nach § 12 Abs. 1 WoGG beinhaltet lt. § 11 WoGG die Kaltmiete + Nebenkosten. Die dort genannten Höchstbeträge bilden lt. BSG aber, aufgrund der darin vorgenommenen Pauschalierung der Nebenkosten, nur einen Richtwert, wenn alle anderen Erkenntnismöglichkeiten erschöpft sind, da eine Pauschalierung der Neben- und Heizkosten unzulässig ist. Anm.d.Verf.)

Neben- und Heizkosten
Da der Hilfebedürftige keinerlei Einfluss auf die Höhe der vom Vermieter umgelegten verbrauchsunabhängigen Nebenkosten und der vom Energieversorger festgelegten Brennstoffkosten hat und diese somit nicht senken kann, sondern einzig die Höhe seines Verbrauches beeinflussen kann, sind Heiz- und Nebenkosten in tatsächlicher Höhe als angemessen zu übernehmen, sofern dem Hilfebedürftigen nicht konkret zu hoher Verbrauch durch unwirtschaftliches Verhalten nachgewiesen werden kann (vgl. BSG Beschluss vom 16.05.2007, Az. B 7b AS 40/06 R).
Eine nur anteilige Übernahme nach angemessener Wohnungsgröße ist ebenfalls unzulässig, da dies eine rechtswidrige Pauschalierung darstellt. Der Hilfebedürftige kann aber im Regelfall seine tatsächlichen Heizkosten nur bis zur Obergrenze aus dem Produkt des Wertes für extrem hohe Heizkosten lt. Heizkostenspiegel mit der angemessenen Wohnfläche (in Quadratmetern) geltend machen (vgl. auch BSG Urteil vom 02.07.2009, B 14 AS 36/08 R). Zur Bestimmung eines Grenzwertes für den Regelfall einer mit Öl, Erdgas oder Fernwärme beheizten Wohnung können die im "Kommunalen Heizspiegel" bzw. - soweit diese für das Gebiet des jeweiligen Trägers fehlen - die im "Bundesweiten Heizspiegel" genannten Höchtsbeträge herangezogen werden => http://www.mieterbund.de

Bruttokaltmiete
Die Beurteilung der Angemessenheit kann in Form einer Bruttokaltmiete vorgenommen werden (BSG vom 19.10.2010, B 14 AS 50/10 R).
Dazu soll ein Durchschnittswert aller nach der Betriebskostenverordnung zugrundeliegenden Kostenarten (ohne Heizkosten) unter Berücksichtigung der regionalen Besonderheiten gebildet und mit der angemessenen Kaltmiete pro qm addiert werden. Nur wenn keine regionalen Übersichten vorliegen, kann auf den Betriebskostenspiegel des Deutschen Mieterbundes zurückgegriffen werden.

Warmwasser
Maßstab zur Beurteilung der Angemessenheit der Heizkosten (ohne Kosten für die Warmwasserbereitung) ist der örtliche, wenn keiner vorhanden der bundesweite Heizzpiegel des DMB.
- Rechtslage bis einschl. 31.12.2010:
Lt. Bundessozialgericht ist die Berechnung dieser Kosten nach § 9 Heizkostenverordnung (HKV) im SGB II grundsätzlich unzulässig. Stattdessen ist die im Regelsatz enthaltene Pauschale für die Warmwasserbereitung von den Gesamtheizkosten abzuziehen, wenn die Kosten für Warmwasser in den Heizkosten enthalten sind.
- Rechtslage seit 01.01.2011:
Im Regelsatz sind keine Kosten für die Warmwasserbereitung mehr enthalten. Ein Abzug wie bisher ist damit nicht mehr zulässig.
Die Warmwasserkosten werden entweder als Unterkunftskosten mit übernommen, wenn sie in den Heizkosten enthalten sind, indem die Gesamtheizkosten inkl. Kosten der Warmwasserbereitung übernommen werden müssen, oder als Mehrbedarf, wenn eine separate Warmwasserbereitung (z.B. mit Strom) erfolgt.

Unterkunftskosten selbst genutzter Eigenheime/Eigentumswohnungen
Lt. BSG-Rechtsprechung richtet sich hier die Angemessenheit der Kosten nach denen einer vergleichbaren angemessenen Mietwohnung (siehe "Zusammenfassung").
Sofern das Eigenheim noch abbezahlt wird, wird dabei statt der Kaltmiete die Zinsen übernommen, nicht jedoch die Tilgung. Nur in besonderen Härtefällen, wenn das Eigenheim fast abbezahlt ist, kann auch die Tilgung übernommen werden.

Zusammenfassung
Diese Kosten ist also hinsichtlich ihrer Angemessenheit nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lt. BSG für sich zu betrachten:
- Produkt aus angemessener Kaltmiete und angemessenen Nebenkosten
- Heizkosten.

Sofern kein qualifizierter örtlicher Betriebskostenspiegel vorliegt, sind die Daten des jeweils aktuellem bundesweiten Betriebskostenspiegel des DMB ohne die Kosten für Heizung und Warmwasser zugrunde zu legen. Diese stellen die Obergrenze dar, bis zu der die Kosten ohne Prüfung der individuellen Angemessenheit anzuerkennen sind.

Sofern kein qualifizierter örtlicher Heizspiegel vorliegt, sind die Daten des jeweils aktuellem bundesweiten Heizspiegel des DMB zugrunde zu legen, differenziert nach Gebäudefläche und Brennstoffart. Diese stellen die Obergrenze dar, bis zu der die Kosten ohne Prüfung der individuellen Angemessenheit anzuerkennen sind.

Dazu kommen bis einschl. Heizspiegel 2013 noch die angemessenen Kosten für Warmwasser, die aufgrund der Gesetzesänderung seit 01.01.2011 von den Jobcentern ebenfalls zu zahlen und die i.d.R. mit in den abgerechneten Gesamtheizkosten enthalten sind. Diese betragen lt. dem bundesweiten Betriebskostenspiegel 2011 (Daten 2010) des DMB pro Monat 0,25€/qm.
(Hinweis: Die Kosten für Warmwasser sind erst ab 2014 in den Kosten des Heizspiegels des DMB enthalten. Für Zeiträume davor sind die Kosten für Warmwasser im bundesweiten Betriebskostenspiegel des DMB ausgewiesen und müssen den Heizkosten hinzugerechnet werden.)

Betriebskostennachzahlung
Bei einer Betriebskostennachzahlung muss das JC prüfen, ob die Unterkunftskosten auch dann, wenn man die Nachzahlung gleichmäßig auf den abgerechneten Zeitraum verteilt und den schon anerkannten/gezahlten monatlichen Unterkunftskosten hinzurechnet, angemessen ist.
Wenn ja, muss das JC auch die Nachzahlung in voller Höhe tragen, bzw. anteilig bis zur Angemessenenheitsgrenze (vorbehaltlich einer Mitteilung über zu hohe Unterkunftskosten).
Bei einer üblichen Abrechnung über 12 Monate ist somit die Differenz zwischen den max. angemessenen Unterkunftskosten im Abrechnungszeitraum und den tatsächlichen monatlichen Unterkunftskosten, die das JC anerkannt/geleistet hatte, der Betrag, den das JC als angemessene Betriebskostennachzahlung tragen muss.




Mitteilung über zu hohe Unterkunftskosten/Aufforderung zur Kostensenkung
Maßgeblich ist, dass der Hilfebedürftige im Bedarfszeitraum tatsächlich eine Kostensenkung durchführen kann, ansonsten ist die derzeitige Wohnung als angemessen zu betrachten und deren Kosten solange zu zahlen, bis eine Möglichkeit zur Kostensenkung tatsächlich besteht. Eine Kürzung der KdU Aufgrund einer Forderung zur Kostensenkung, die in der Praxis nicht realisierbar ist, ist damit klar rechtswidrig.
Das heißt konkret, unangemessene Kosten der Unterkunft müssen vom Leistungsträger in tatsächlicher Höhe übernommen werden, wenn:
1. eine Möglichkeit zur Senkung nicht besteht, weil angemessener Wohnraum im Bedarfszeitraum nachweislich nicht vorhanden ist,
2. die Angemessenheitskriterien rechtswidrig sind,
3. Maßnahmen zur Senkung unzumutbar sind, z.B. bei absehbar nur kurzem Leistungsbezug,
4. bei nur geringfügiger Überschreitung der Miethöchstgrenze ein Umzug unwirtschaftlich wäre; hierzu muss die Behörde eine Wirtschaftlichkeitsberechnung (Kosten jetzt <> Kosten danach) vornehmen.
Da die Beweislast hier den Hilfebedürftigen trifft, sollte dieser unbedingt seine Bemühungen dokumentieren, also von Anfang an jeden Schritt bei der Suche schriftlich festhalten:
- bei welchen Vermietern/Wohnungsverwaltungen man sich um eine Wohnung bemüht hat,
- wann man sich auf welches Inserat hin bei wem mit welchem Ergebnis gemeldet hat (Anzeigen aufheben),
- warum eine Wohnung nicht an ihn vermietet wurde,
- die genauen Daten der Wohnungen (Größe, Kaltmiete, Neben- und Heizkosten).

Als Nachweismöglichkeit bietet sich das "Formblatt zur Wohnungssuche" an.

=> Urteile und Beschlüsse des BSG zu den Unterkunftskosten


Tipps:

Kaltmiete oder Bruttokaltmiete?
In B 7b AS 10/06 R vom 07.11.2006 (RdNr. 29) ging das BSG noch davon aus, dass die reine Kaltmiete relevant ist.
In B 14 AS 50/10 R vom 19.10.2010 geht das BSG nunmehr davon aus, das die Produkttheorie auch die sog. kalten Betriebskosten umfasst.
Dazu soll ein Durchschnittswert aller nach der Betriebskostenverordnung zugrundeliegenden Kostenarten (ohne Heizkosten) unter Berücksichtigung der regionalen Besonderheiten gebildet und mit der angemessenen Kaltmiete pro qm addiert werden. Nur wenn keine regionalen Übersichten vorliegen, kann auf den Betriebskostenspiegel des Deutschen Mieterbundes zurückgegriffen werden.
Die Summe aus dem Durchschnittswert der kalten Betriebskosten und der angemessenen Kaltmiete bildet dann das Angemessenheitskriterium nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zur Beurteilung der Angemessenheit der Unterkunftskosten.

Betriebskostennachzahlung nach Leistungsbezug, wenn man während des abgerechneten Zeitraumes ALG II bezogen hatte
Lt. BSG muss auch eine Betriebskostennachforderung für Zeiträume ohne Leistungsbezug vom JC übernommen werden, wenn diese nach Eintritt der Hilfebedürftigkeit fällig wird (B 14 AS 121/10 R, bekräftigend in B 14 AS 40/14 R) - vorausgesetzt es handelt sich um die selbe Wohnung.
Somit muss - der allgemeinen Rechtsauffassung des BSG folgend - als Nachteil hingenommen werden, dass eine Betriebskostennachforderung für Zeiträume mit Leistungsbezug nicht vom JC übernommen wird, wenn im Monat der Fälligkeit kein Leistungsanspruch (mehr) besteht.
Zu prüfen ist dabei allerdings, ob im Fälligkeitsmonat der - den Bedarf einmalig erhöhenden - Betriebskostennachforderung Anspruch auf ALG II besteht, was einen eigenständigen Leistungsanspruch begründen würde, der de facto auch die Übernahme der Betriebskostennachforderung umfasst.

Abtretung der Kautionsforderung an das JC
Zunächst mal kommt eine wirksame Abtretungserklärung nur dann zustande, wenn sie von beiden Vertragspartnern unterschrieben wird (§ 362 BGB, § 398 BGB), da es sich hierbei um einen schuldrechtlichen Vertrag handelt. Die bei den JC übliche "Abtretungserklärung" ist jedoch i.d.R. nur vom Hilfempfänger unterzeichnet und damit kein Vertrag i.S.d. BGB, sondern lediglich eine einseitige Willenserklärung des Unterzeichnenden an den Vermieter, wie dieser mit der Kaution verfahren soll, die der Unterzeichnende jederzeit widerrufen kann - auch wenn darin, rechtlich unrichtig, etwas von "unwiderruflich" steht. Es liegt in der grundlegenden rechtlichen Natur, dass eine einseitige Willenserklärung jederzeit für die Zukunft widerrufen werden kann.
Grundsätzlich ist eine Abtretung der Kautionsforderung des Hilfeempfängers gegenüber dem Vermieter an das JC möglich (§ 398 ff BGB i.V.m. § 53 SGB I), sofern eine derartige Abtretung nicht zwischen Mieter und Vermieter (im Mietvertrag) ausgeschlossen wurde. Dazu bedarf es aber eines rechtskräftigen Vertrages zwischen Hilfeempfänger und JC (der Vermieter bleibt hier grundsätzlich außen vor), in welchem der Hilfeempfänger seinen Anspruch auf die Mietkaution, den er gegen seinen Vermieter hat, an das JC abtritt.
Es gibt zwei mögliche Grundlagen für eine solche Abtretung:

- "stille Zession" (sog. Sicherungsabtretung): der Schuldner (Vermieter) wird nicht über die Abtretung informiert.
In diesem Fall geht die Kautionsforderung zwar auf das JC (Sicherungszedent) über, aber auch der Mieter kann weiterhin vom Vermieter die Kaution fordern (in letzterem Fall würde der Vermieter wegen Unkenntnis der Zession die Kaution mit befreiender Wirkung an den Mieter auszahlen).
Durch die stille Zession ist das Kautionsdarlehen somit nicht "getilgt", sondern das JC nur gegen Zahlungsausfall abgesichert. Das Schuldverhältnis zwischen JC und Hilfeempfänger besteht fort, das JC kann von diesem weiterhin die Tilgung des Kautionsdarlehens verlangen.
Im Abtretungsvertrag muss hierbei aber geregelt sein, dass die Abtretung der Forderung nur sicherungshalber erfolgt und das JC diese nach Tilgung des Kautionsdarlehens an den Hilfeempfänger zurück überträgt (auf die Rückübertragung besteht dann ein Anspruch: § 812 BGB). Außerdem muss dann geregelt sein, dass die Abtretung nur in Höhe der Restschuld erfolgt (das JC muss dem Vermieter diese dann nachweisen, da dieser dann nur i.H. dersleben schuldet). Ansonsten ist die Sicherungsabtretung formell unwirksam.
Hinweis: Sobald der bisherige Gläubiger (Hilfeempfänger) dem Schuldner (Vermieter) die Abtretung an das JC schr. anzeigt, wird aus einer "stillen" eine "offene" Zession (§ 410 Abs. 2 BGB).

- "offene Zession", der Schuldner (Vermieter) wird über die Abtretung informiert.
Damit geht die Kautionsforderung an das JC über und das Schuldverhältnis zwischen Hilfeempfänger und JC, aufgrund dem die Abtretung erfolgte (Kautionsdarlehen), ist erloschen (§ 362 ff BGB), da der Schuldner (Vermieter) nun verpflichtet ist, direkt an den Zessionar (JC) zu zahlen (§ 410 Abs. 2 BGB). D.h. das JC kann vom Hilfeempfänger keine Darlehenstilgung mehr verlangen.
Hinweis: Es kann, wie bei der stillen Zession, vereinbart werden, dass die Abtretung der Forderung nur sicherungshalber (ggf. i.H.d. Restschuld) erfolgt und das JC diese nach Tilgung des Kautionsdarlehens an den Hilfeempfänger zurück überträgt.
Meine Beiträge beinhalten oder ersetzen keine anwaltliche Beratung oder Tätigkeit.
Für eine verbindliche Rechtsberatung und -vertretung suchen Sie bitte einen Anwalt auf.