Sozialgericht Gotha hält Hartz IV Sanktionen für verfassungswidrig

Begonnen von Diskus, 27. Mai 2015, 15:25:32

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Gast18959

Zitat von: Gast26037 am 08. Juni 2015, 22:49:55Ja, wenn danach von unseren Gesetzgebern gearbeitet würde.

Sehe ich ja ganz genau so, wollte dir nur verklickern, dass das Grundgesetz genau nach Wortlaut zu interpretieren ist.
Übrigens dürfen auch im Artikel 11, auch wenn es konkretisiert ist, mehrere Gesetze einschränkend wirken.
Sie müssen nur gemeingültig sein.

Hier im Fred geht es ja nicht um SGB II in gänze sondern nur um die Sanktionsparagraphen.
Und da ist´s eben strittig ob Sanktionen einen Eingriff in ein Schutz-bzw. Abwehrgrundrecht darstellen oder ob es sich dabei um ein vom BVerfG erfundenes "Leistungsgrundrecht" handelt, dass gestaltet werden darf.
So zB. Berlit.

Ich vertrete dabei die Meinung, dass es eine solche Unterscheidung nicht gibt und das ein Grundrecht immer ein Grundrecht bleibt.
Eine Verknüpfung von Obliegenheiten an ein Grundrecht,  egal wie man es umbenennt,  halte ich für nicht zulässig.

:bye:

Gast13437

Aus dem Link von Schweinehirtin;  S. 6, Punkt 19 sowie 21 und S.7, Punkt 24:

Zitat19. Der Ausschuss fordert den Vertragsstaat nachdrücklich auf, dafür zu sorgen, dass seine Arbeitslosenunterstützungssysteme das Recht des Einzelnen, frei eine Beschäftigung seiner Wahl anzunehmen, sowie das Recht auf gerechtes Entgelt achten

21. Der Ausschuss .... ist jedoch nach wie vor besorgt darüber, dass dieses Verfahren den Leistungsempfängern keinen angemessenen Lebensstandard gewährleistet.
Weiterhin ist der Ausschuss besorgt darüber, dass infolge der sehr geringen Höhe der Regelleistungen für Kinder annähernd 2,5 Millionen Kinder in dem Vertragsstaat unterhalb der Armutsgrenze bleiben. Ferner ist der Ausschuss besorgt darüber, dass der steuerpflichtige Anteil der Renten 2005 auf 80 Prozent angehoben wurde (Art. 9,10)

24. Der Ausschuss vermerkt mit Besorgnis, dass den Angaben des Vertragsstaates zufolge 13 Prozent der Bevölkerung des Vertragsstaates unterhalb der Armutsgrenze leben und 1,3 Millionen Menschen zwar wirtschaftlich aktiv sind, aber Ergänzungsleistungen in Anspruch nehmen müssen, da ihr Verdienst für den Lebensunterhalt nicht ausreicht.
Der Ausschuss ist ferner besorgt darüber, dass ein solcher Stand der Armut in Anbetracht des umfassenden sozialen Sicherungssystems in dem Vertragsstaat möglicherweise auf eine unzureichende Leistungshöhe oder beschränkten Leistungszugang hindeutet (Art. 11, 9)

Mein Fazit: Die Sanktionen sind offensichtlich (insbesondere im Zusammenhang mit der steigenden Armut) verfassungswidrig. Wo - vom Regelsatz vorgegeben - nur ein Leben unterhalb der Armutsgrenze möglich ist, kann kein Spielraum mehr für Sanktionen sein. Dass trotzdem und millionenfach sanktioniert wird, ist mE der Beleg für staatlichen Zwang, der auf Lohnabhängige ausgeübt wird.

Sanktionen sind eine Bedrohung und Gefährdung der schändlich-minimierten Minimal-Existenz, welches sich auf ALLE Lohnabhängige auswirkt, sie diszipliniert und unter die rigiden, einseitigen Bedingungen zugunsten der Profiteure von Lohnarbeit unterwerfen soll.
Die sogenannte "Arbeitsmarkt-Ferne" wurde und wird den vom Arbeitsmarkt Aussortierten angedichtet, damit die Profiteure und ihre Polit-Kumpanen den so diskriminierten Teil der Lohnabhängigen um so hemmungsloser als Billiglohn-Konkurrenz missbrauchen.
Der Aspekt, dass rücksichtslos auch Kinder bei Sanktionen in Mitleidenschaft gezogen werden, die sowieso schon am heftigsten von der Kürzung auf das Niveau eines Hungerregelsatzes betroffen sind, das ist aus meiner Sicht der verwerflichste Punkt.

Gast35753

Zitat von: Gast36005 am 08. Juni 2015, 16:22:16
... Doch Hauptsache: am 1. ist Geld da. Dann vom 1.- 31. verweigern, das die Schwarte kracht.

Irgendwie habe ich den Eindruck, dass neben Dir ein paar herausragende Politiker sitzen (schönen Gruß an Sarrazin), die Dir das ins Ohr flüstern. Wie kommst DU darauf, dass hier einer irgendwas verweigert? Und vorallem was sollte er verweigern? Das BVerfG hat sogar in einem der verlinkten Urteile ausdrücklich geschrieben, dass selbst dann, wenn ein Betroffener den Leistungsanspruch verweigert, ihm die Leistung trotzdem zustehen muss!
Aber mit dem Lesen hast Du es bis hier her immer noch nicht so  :zwinker:

Gast28527

Sorry, hier noch ein Beispiel zum GG Artikel 3:

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt.


Dennoch hat es 30 Jahre gedauert, bis eine ,,Ehefrau" eine freie Berufswahl und anderes mehr, ausüben durfte:

Das Bürgerliche Gesetzbuch schrieb es vor: Wollte eine Frau arbeiten, musste das ihr Ehemann erlauben. Erst 1977 wurde das Gesetz geändert. Bis 1. Juli 1958 hatte der Mann, wenn es ihm beliebte, den Anstellungsvertrag der Frau nach eigenem Ermessen und ohne deren Zustimmung fristlos kündigen können.

Bis 1958 hatte der Ehemann auch das alleinige Bestimmungsrecht über Frau und Kinder inne. Auch wenn er seiner Frau erlaubte zu arbeiten, verwaltete er ihren Lohn. Das änderte sich erst schrittweise. Ohne Zustimmung des Mannes durften Frauen kein eigenes Bankkonto eröffnen, noch bis 1962. Erst nach 1969 wurde eine verheiratete Frau als geschäftsfähig angesehen.

http://www.focus.de/wissen/mensch/geschichte/tid-21578/zum-weltfrauentag-meilensteine-der-frauenemanzipation-in-deutschland-die-erste-frau-die-ohne-erlaubnis-ihres-ehemannes-arbeiten-darf_aid_605621.html

Im nachhinein könnte man jetzt zwar sagen, hat sich mittlerweile erledigt, aber leider 30 Jahre zu spät, bis dieses Grundrecht sich für die Frau durchgesetzt hatte. Es war ein verbrieftes Grundrecht auf dem Papier, aber realitätsfern nicht mit der Wirklichkeit konform.  :flag: :flag:

PS: Wer weiß, vielleicht muss es ja auch wieder 30 Jahre dauern, bis die Gewährleistung der Unversehrtheit des Lebens sicher gestellt ist, indem man in der Grundsicherung die Sanktionspraxis aufhebt.

Gast35753

Zitat von: Gast28527 am 09. Juni 2015, 11:35:16
... Im nachhinein könnte man jetzt zwar sagen, hat sich mittlerweile erledigt, aber leider 30 Jahre zu spät, bis dieses Grundrecht sich für die Frau durchgesetzt hatte. Es war ein verbrieftes Grundrecht auf dem Papier, aber realitätsfern nicht mit der Wirklichkeit konform.  ...

Das ist ein schönes Beispiel dafür, dass gut Ding auch Weile braucht. Wenn es eben nicht auch Schaden in der Zeit der Weile anrichtet, würde der Zeitraum untergeordnete Rolle spielen. Wenn ich den Thread verfolge, gewinne ich den Eindruck, dass im Grunde zwei "Fraktionen" ihre Meinung äußern. Die eine schlicht pro Grundgesetz und die andere schlicht dagegen. Man kann sich durchaus Gedanken machen, warum einige dafür sind und warum andere dagegen sind. Bei den 30 Jahren aus Deinem Beispiel ging es sicherlich dem männlichen Wesen um den Machterhalt  :mocking:
Die Frau Kanzlerin und die Frau Bundesarbeitsministerin, auch die Frau Kriegsministerin, belegen heute eindrucksvoll, alles ist möglich und trotzdem streiten sie immer noch hier und da um Quoten.
In den USA war bis zum Ende des Bürgerkrieges Sklaverei geltendes Recht, auch in der Verfassung der USA als Recht festgeschrieben. Auch als der Lincoln als Präsident am 1. Januar 1863 die Emanzipations-Proklamation mit der Zustimmung des dortigen Parlament umgesetzt hatte, die Sklaverei aus dem Land im Grunde verbannte, brauchte es noch viele Jahre, bis sich breite Akzeptanz in der Bevölkerung im Sinne der Verfassungsänderung einstellte.
Und noch heute gibt es in der Behandlung des Landes mit rund 93 Millionen Arbeitslosen ( http://finanzmarktwelt.de/die-tatsaechliche-arbeitslosenquote-den-usa-8443/ ) ein Missverhältnis, welches immer wieder zu "Aufruhr" führt.
Wir haben das Demokratieverständnis, im Grunde auch die Machtverteilung, unter anderen Begrifflichkeiten nach 1945 aus den USA übernommen. Schöne Worte sind im Grundgesetz aufgeschrieben und wie in jeder trägen gesellschaftlichen Entwicklung braucht auch hier wohl oder übel gut Ding ein wenig Weile ...
Wollen wir hoffen, dass dieser Thread bei allen unterschiedlichen Denkweisen nicht Ausgangspunkt eines Bürgerkrieges gegen die moderne Sklaverei (Niedriglohn, HARTZ IV) wird und nicht jedes Mittel der politischen Auseinandersetzung von "über dem Teich" hier her schwappt ...

Gast28527

Zitat von: Gast35753 am 09. Juni 2015, 11:59:29Wir haben das Demokratieverständnis, im Grunde auch die Machtverteilung, unter anderen Begrifflichkeiten nach 1945 aus den USA übernommen. Schöne Worte sind im Grundgesetz aufgeschrieben und wie in jeder trägen gesellschaftlichen Entwicklung braucht auch hier wohl oder übel gut Ding ein wenig Weile ...
Wahre Worte!  :sehrgut:

Zitat von: Gast35753 am 09. Juni 2015, 11:59:29Wollen wir hoffen, dass dieser Thread bei allen unterschiedlichen Denkweisen nicht Ausgangspunkt eines Bürgerkrieges gegen die moderne Sklaverei (Niedriglohn, HARTZ IV) wird und nicht jedes Mittel der politischen Auseinandersetzung von "über dem Teich" hier her schwappt ...
Ach das bezweifle ich doch sehr. Die Marktschreier haben sich doch schon hier ausgeklinkt. Wohl aus ein wenig Angst aus diesem Grund:

Artikel 19
(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

Da gäbe es einiges dazu zu schreiben, will mich aber nicht der ,,Inquisition" entgegen stellen. Aber wie du schon trefflich schriebst: Gut Ding will Weile haben.  :clever:

MichaK

Hallo,

so ist es- "sozialstaatsgebot" kann viel oder wenig heißen und "Eigentum soll zugleich dem Wohle... dienen" kann auch viel und wenig heißen. Da ist "Gestaltungsspielraum".

Gast36005

Zitat von: Gast35753 am 09. Juni 2015, 11:31:26
Irgendwie habe ich den Eindruck, dass neben Dir ein paar herausragende Politiker sitzen (schönen Gruß an Sarrazin), die Dir das ins Ohr flüstern. Wie kommst DU darauf, dass hier einer irgendwas verweigert?
Dein Eindruck in ***Gehörgang. Ich lese hier seeehr viel. Du hast es offenbar nicht so damit?
Zitat von: Gast35753 am 09. Juni 2015, 11:31:26Und vorallem was sollte er verweigern?
Wieder so ein Verständnisproblem bei dir? Was gibts denn wohl zu verweigern, damit überhaupt Sanktionen drohen oder folgen??
Zitat von: Gast35753 am 09. Juni 2015, 11:31:26Das BVerfG hat sogar in einem der verlinkten Urteile ausdrücklich geschrieben, dass selbst dann, wenn ein Betroffener den Leistungsanspruch verweigert, ihm die Leistung trotzdem zustehen muss!
Was?  :schock: wenn er den Leistungsanspruch verweigert??---Hä? Dann muss er trotzdem ungekürzte Kohle kriegen? Das hätte das BVerfG geschrieben? Im Ernst? :weisnich:
DAS habe ich bisher noch nirgends gelesen. Bitte mal AZ und RN---dieser phänomenal bedeutenden Aussage. Danke.
Zitat von: Gast35753 am 09. Juni 2015, 11:31:26Wenn ich den Thread verfolge, gewinne ich den Eindruck, dass im Grunde zwei "Fraktionen" ihre Meinung äußern. Die eine schlicht pro Grundgesetz und die andere schlicht dagegen.
Schon wieder so einer deiner seltsamen Eindrücke. ICH bin ganz deutlich NICHT GEGEN das Grundgesetz.
Mein Eindruck ist eher: Eine Fraktion hier liest das GG so und die andere so.
Schietegal: Denn das BVerfG hat letztlich zu lesen und möglichst *richtig* zu entscheiden.


Gast28527

Zitat von: Gast36005 am 09. Juni 2015, 12:35:18Mein Eindruck ist eher: Eine Fraktion hier liest das GG so und die andere so.
Dem stimme ich dir auch gerne zu!  :ok:

Zitat von: Gast36005 am 09. Juni 2015, 12:35:18Schietegal: Denn das BVerfG hat letztlich zu lesen und möglichst *richtig* zu entscheiden.
Diese Aussage ist schlichtweg falsch. Letztlich ist und bleibt der Entscheider das ,,Souverän". Das BVerfG entscheidet nur im Namen des ,,Souveräns". Bitte nicht vergessen.  :cool:

Gast36005

@Rolo
Wenn das BVerfG (wann auch immer) entscheidet: Alg2-Kürzungen sind verfassungswidrig.
Dann ist es NUR das BVerfG, was SO entscheidet.
Und eben nicht die eine Forums-*fraktion* oder die andere hier. Wir Forianer entscheiden DAS nicht.  :no:

...im Namen des Volkes? Na sicher doch! Was denn sonst? Manches ist doch selbsterklärend;-))  :flag:
Was im Namen des Volkes (als Souverän) entschieden wird, muss dann vom Gesetzgeber umgesetzt werden.
Es sei denn---hier können die Halb-/Hobby-und Volljuristen gern weiterführen, was noch möglich wäre.

Gast28527

 :offtopic: Will es mal ein wenig sarkastisch ausdrücken: Wenn das ,,Souverän" will, das Äpfel und Birnen ins GG verankert werden müssen, werden sich auch die ,,Würdenträger" und Robenträger –die heilige Inquisition- sich dem fügen müssen.  :flag:

Gast36005

Jo!

Frage: Der/das Souverän---ist aber nicht das Forum hier, oder?

Orakel

Genau!

Ich bin auch dafür, Sanktionen endlich im Grundgesetz zu verankern!

Petition starten!

Gast28527

Zitat von: Gast36005 am 09. Juni 2015, 13:27:57Frage: Der/das Souverän---ist aber nicht das Forum hier, oder?
Nö! Hat auch keine/r gesagt. Du hast das hier zur Disposition gestellt.  :blum:

Zitat von: Orakel am 09. Juni 2015, 13:30:22Ich bin auch dafür, Sanktionen endlich im Grundgesetz zu verankern!
Meiner einer nicht.  :blum:

MichaK

Zitat von: Orakel am 09. Juni 2015, 13:30:22
Genau!

Ich bin auch dafür, Sanktionen endlich im Grundgesetz zu verankern!

Petition starten!

Hallo,

Umkehrschluss?  :grins: