Rechtsverschärfungen im SGB II ab 01.08.2016 - 9. Gesetz zur Änderung des SGB II

Begonnen von Ottokar, 08. November 2015, 15:46:57

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Ottokar

Mit dem "Neunten Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch", kurz 9. SGB II-ÄndG, sind wieder einmal umfangreiche Änderungen des SGB II geplant.

Der Bundestag hat das 9. SGB II-ÄndG am 23. Juni 2016 durchgewunken. Es wird größtenteils am 01.08.2016 in Kraft treten.
Um die Übersichtlichkeit zu wahren, habe ich dieses Thema hier geschlossen und ein neues eröffnen, welches ihr hier findet.


Der aktuelle Stand des Gesetzgebungsverfahrens kann hier nachgelesen werden.

Der "Fahrplan" zu den geplanten SGB II Änderungen sieht wie folgt aus:
Kabinett: 03.02.2016
Bundesrat, 1. Durchgang: 18.03.2016
Bundestag, 1. Lesung: 14.04.2016
Bundestag, 2. + 3. Lesung: 09.06.2016
Bundesrat, 2. Durchgang: 08.07.2016
Inkrafttreten: 01.08.2016

Überwiegender Hintergrund ist - wieder einmal - die (für BMAS und Jobcenter ungünstige) Rechtsprechung des BSG durch Gesetz zu negieren und den Druck auf Leistungsbezieher erheblich zu verschärfen (vgl. u.a. Änderungen in § 3 Abs. 2 und § 34 Abs. 1).
Nur in sehr geringem Umfang wird die Rechtsprechung des BSG durch Gesetz festgeschrieben (§ 22 Abs. 10 SGB II, § 6 Abs. 1 Nr. 3 ALG II-V).
Und es gibt - getreu dem Prinzip "Zuckerbrot und Peitsche" - auch ein paar durchaus nennenswerte Verbesserungen. So haben die meisten Azubis zukünftig einen ALG II Anspruch.

Nachfolgend eine Übersicht über die für ALG II-Empfänger relevanten Änderungen.
(Anpassungen an bereits praktiziertes Recht und diesbezügliche Klarstellungen habe ich ausgelassen. Sollten sich Fehler eingeschlichen haben, diese bitte per PM mitteilen.)


Änderungen im SGB II (Bearbeitungsstand: 06.04.2016; BT-Drs 18/8041)

§ 3 Abs. 2
Jeder Antragsteller soll sofort in eine Eingliederungmaßnahme gezwungen werden.
Bei fehlendem Berufsabschluss hat eine Ausbildung vorrang.

§ 3 Abs. 2a
Wird gestrichen.
(Der Vorrang der Vermittlung von Personen ab dem 58. Lebensjahr in eine Arbeit entfällt zugunsten von § 3 Abs. 2.)

§ 5 Abs. 4
Leistungen zur Eingliederung in Arbeit werden vom JC nicht mehr an Empfänger von
Arbeitslosengeld oder Teilarbeitslosengeld erbracht. Diese sind vom Arbeitsamt zu erbringen

§ 7 Abs. 3
Zuordnung von Kindern bei bisherigen sog. temporären Bedarfsgemeinschaften zu der Bedarfsgemeinschaft, in der sie sich überwiegend aufhalten.
Bei wechselseitiger hälftiger Betreuung/Aufenthalt erfolgt eine hälftige Zuordung (und Leistungsbewilligung).


§ 7 Abs. 5
Bei BAB entfällt der Anspruch auf ALG II nicht mehr.
Ausnahmen:
- Azubis, die mit voller Verpflegung beim Ausbildenden, in einem Wohnheim, Internat o.ä.  untergeracht sind (§ 61 Abs. 2 und 3, § 62 Abs. 3, § 123 Abs. 1 Nr. 2 und 3 sowie § 124 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 SGB III) haben weiterhin keinen Anspruch auf ALG II.
(Neue Rechtslage)

§ 7 Abs. 6
Bei Bafög entfällt der Anspruch auf ALG II nicht mehr, wenn Bafög nach § 12, § 13 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 oder nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 Bafög bezogen oder wegen Einkommen/Vermögen nicht bezogen wird (grundsätzlicher Anspruch).
(Neue Rechtslage)

§ 9 Abs. 2
Bei hälftiger Betreuung in temporären Bedarfsgemeinschaften werden Einkommen und Vermögen des Kindes jeweils hälftig bei jeder Bedarfsgemeinschaft berücksichtigt.
(Folgeänderung zu § 7 Abs. 3; Abweichung von der Rechtsprechung des BSG)


§ 11 Abs. 1 S. 1
Einnahmen in Geldeswert sind kein anrechenbares Einkommen mehr, sofern es sich nicht um absetzbare Aufwendungen nach § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 bis 5 handelt.
(Lt. Begründung wird teilweise etwas Anderes bezweckt, als mit dem Gesetzestext erreicht wird.)


§ 11 Abs. 3
Nachzahlungen von Erwerbseinkommen und Sozialleistungen werden als einmalige Einnahme angerechnet.
(Abweichung von der Rechtsprechung des BSG)

§ 11a Abs. 3
BAB und Bafög (jeweils mit Ausnahme des Kinderbetreuungszuschlages) wird komplett auf ALG II angerechnet, ebenso Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und der Aufstiegsfortbildung.
Davon werden pauschal 100 Euro abgezogen, sofern die tatsächlichen nachgewiesenen Aufwendungen nicht höher sind.
(Abweichung von der Rechtsprechung des BSG; neue Rechtslage)

§ 11a Abs. 7
Statt dem Mutterschaftsgeld wird das diesem zu Grunde liegende Erwerbseinkommen als fiktives Einkommen angerechnet.
Nach der Geburt wird das fiktive Einkommen um den mit dem Elterngeld aufgerechneten Teil des Mutterschaftsgeldes gemindert.
(Abweichung von der Rechtsprechung des BSG)

§ 11b Abs. 2
Die Absetzung des Grundfreibetrages wird ausdrücklich auf Erwerbseinkommen beschränkt.
Steuerfreie Einnahmen aus ehrenamtlichen Tätigkeiten führen bei Erwerbsfähigen zu einer Erhöhung des Grundfreibetrages um die steuerfreie Einnahme, max. jedoch auf 200 Euro.
Von dem nach § 11a Abs. 3 anzurechnenden BAB und Bafög werden 100 Euro, vom Taschengeld des BFD/JFD 200 Euro, abgesetzt, sofern nicht bereits von anderem Einkommen der Grundfreibetrag abgesetzt wurde.
(Abweichung von der Rechtsprechung des BSG)

§ 14 Abs. 2
Hier wird (überflüssigerweise) die schon in §§ 13 bis 15 SGB I geregelte Pflicht zur Aufklärung, Beratung und Auskunft eingeführt.
Der Focus liegt dabei auf Selbsthilfeobliegenheiten und Mitwirkungspflichten.
(Dies legt den Schluss nahe, dass mit der diesbezüglichen "Pflichtberatung" der Druck auf Leistungsempfänger erhöht werden soll.)

§ 15a
Wird aufgehoben, da diese Regelung aufgrund der Änderungen in § 3 Abs. 2 überflüssig wird.

§ 16g
Die Dauer der Förderung bei Wegfall der Hilfebedürftigkeit wird auf 6 Monate begrenzt.
Die Förderung wird zukünftig als Beihilfe erbracht (bislang als Darlehen).

§ 16h
"Förderung schwer zu erreichender junger Menschen" unter 25 Jahren.
Tatsächlich handelt es sich um eine 'Verfolgungsbetreuung', um diese - so die Begründung im Gesetzentwurf - jungen Menschen hinsichtlich ihrer Belastbarkeit, ihres Arbeits-und Sozialverhaltens, ihrer Eigeninitiative, sowie ihrer Lern- und (Weiter)Bildungsbereitschaft durch "kontinuierliche Unterstützung und Begleitung" auf den 'rechten Weg' zu führen. Dieser 'rechte Weg' besteht lt. Gesetzentwurf hauptsächlich darin, "eine schulische, ausbildungsbezogene oder berufliche Qualifikation abzuschließen oder anders ins Arbeitsleben einzumünden", sowie in der Einleitung "erforderlicher therapeutischer Behandlungen". Mit "anders" sind vorrangig Maßnahmen zur Eingliederung wie AGH's gemeint, so die Begründung im Gesetzentwurf.
Da diese 'Förderung' nicht auf ALG II Empfänger beschränkt ist und lt. Gesetz damit Dritte beauftragt werden können, wird hier ein neuer Marktzweig für Bildungsträger eröffnet.
(Über die Festlegung dieser 'Förderung' in einer EinV wird eine Mitwirkung erzwungen, da eine Verweigerung sanktioniert würde. Die damit bestehende Möglichkeit einer Zwangstherapierung verstößt gegen mehrere Gesetze, u.a. § 63 SGB I. )

§ 20
Bei hälftiger Betreuung in temporären BGs wird dem Kind der halbe monatliche Regelsatz zuerkannt.
(Folgeänderung zu § 7 Abs. 3 und § 9 Abs. 2; Abweichung von der Rechtsprechung des BSG)


§ 21 Abs. 4
Kein Mehrbedarf i.H.v. 35% mehr bei Berufsvorbereitung und beruflicher Ausbildung (§ 33 Abs. 3 Nr. 2 und 4 SGB IX).

§ 22 Abs. 3
Rückzahlungen bei den Betriebskosten werden nicht als Einkommen angerechnet, sofern sie auf Vorauszahlungen beruhen, die der Betroffene für nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Abrechnungszeitraum selbst gezahlt hat.

§ 22 Abs. 4
Für die Zusicherung der Übernahme der neuen Kosten der Unterkunft und Heizung ist der neue Leistungsträger zuständig. Dort muss der Betroffene die Zusicherung einholen.

§ 22 Abs. 6
Genossenschaftsanteile werden (auch) als Darlehen übernommen.

§ 22 Abs. 10
Die Beurteilung der Gesamtangemessenheit kann in Form einer Warmmiete erfolgen.

§ 23
Bei hälftiger Betreuung in temporären Bedarfsgemeinschaften wird dem Kind der halbe monatliche Regelsatz zuerkannt.
(Folgeänderung zu § 7 Abs. 3 und § 9 Abs. 2; Abweichung von der Rechtsprechung des BSG)


§ 24 Abs. 4
Beim vorzeitigen Verbrauch einer einmaligen Einnahme wird ALG II als Darlehen erbracht.
(Abweichung von der Rechtsprechung des BSG)

§ 27 Abs. 3 und 5
Werden gestrichen.
(D.h. kein Zuschuss zu den KdU für weiterhin vom ALG II ausgeschlossene Azubis und Studis, keine Übernahme von Mietschulden als Darlehen mehr.)

§ 27 Abs. 4
Mehrbedarfe nach § 21 Abs. 7 und Bedarfe für Bildung und Teilhabe für weiterhin vom ALG II ausgeschlossene Azubis und Studis werden nun als Darlehen erbracht (bislang als Beihilfe).

§ 34 Abs. 1
Ein Ersatzanspruch tritt künftig auch dann ein, wenn durch das sozialwidrige Verhalten die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde.
(Damit wird eine zusätzliche Sanktion eingeführt, denn neben der 3monatigen Kürzung des ALG II nach § 31 SGB II muss der Betroffene künftig auch das ALG II erstatten, welches er und die anderen Mitglieder seiner BG weniger erhalten hätten, wenn er z.B. einen angebotenen Job angenommen hätte.
Das bedeutet eine erhebliche Erhöhung des Drucks auf Arbeitslose, sowie eine massive Verschärfung des Sanktionrechts.)

§ 34b
Hiermit wird ein Erstattungsanspruch für vorrangige Sozialleistungen eingeführt, die der ALG II Bezieher parallel zum ALG II erhalten hat, sofern diese Sozialleistungen nicht bereits als Einkommen angerechnet wurden.
(Damit soll offenbar der Fall des § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X aufgefangen werden, in denen ein Erstattungsanspruch nicht mehr geltend gemacht werden kann, weil der vorrangige Leistungsträger die Leistung bereits an den Antragsteller ausgezahlt hat.)

§ 35
Wird aufgehoben, da die Erbenhaftung bereits in den §§ 34 ff geregelt ist.

§ 36 Abs. 2
Regelt die Zuständigkeit des örtlichen Trägers in Fällen temporärer Bedarfsgemeinschaften.
(Folgeänderung zu § 7 Abs. 3 und § 9 Abs. 2)


§ 38 Abs. 3
Regelt, dass in Fällen temporärer Bedarfsgemeinschaften bei einer hälftiger Betreuung beide Elternteil ALG II für das Kind beantragen können.
(Folgeänderung zu § 7 Abs. 3 und § 9 Abs. 2)


§ 40 Abs. 2
Verwaltungsakte, welche auf einer Rechtsnorm beruhen,
- die vom BVerfG für nichtig oder verfassungswidrig erklärt wurde, oder
- deren von der BA praktizierte Auslegung vom BSG verworfen wurde,
sind nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des BVerfG oder BSG zurück zu nehmen.
(Hier wird weiteres SGB II-Sonderrecht etabliert.)

§ 40 Abs. 4
wird aufgehoben
Die 56-Prozent-Klausel der Nichterstattung der Bedarfe für Unterkunft entfällt.

§ 40 Abs. 5
Leistungen an einem verstorbenen Leistungsempfänger, welche diesem im Sterbemonat gezahlt wurden, werden nicht zurückgefordert.

§ 41
Leistungen werden künftig für 12 Monate bewilligt.
Ausnahme: in Fällen vorläufiger Bewilligung oder bei unangemessenen KdU werden 6 Monate bewilligt.

§ 41a
Hier werden neu die Voraussetzungen und der Umfang einer vorläufigen Bewilligung geregelt.
Ein Anspruch auf eine vorläufige Bewilligung besteht danach nicht, wenn der Antragsteller die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, zu vertreten hat (Hiermit erfolgt eine Beweislastumkehr der gegenwärtigen Rechtslage).
Bei der vorläufigen Bewilligung kann ein Durchschnittseinkommen gebildet und es muss nur der Grundfreibetrag abgesetzt werden.
Der Bestandsschutz (45 Abs. 2 SGB X) wird für vorläufige Bewilligungen ausgeschlossen, auch wenn diese rechtswidrig i.S.d. § 45 SGB X waren.
Das JC ist nicht verpflichtet, eine abschließende Bewilligung vorzunehmen, wenn die vorläufige mit der endgültigen Leistung identisch ist. In diesem Fall muss der Betroffene eine abschließende Entscheidung beantragen. Sofern der Betroffene dies nicht innerhalb eines Jahres nach Ablauf des vorläufigen Bewilligungszeitraumes tut, verliert er einen ev. Nachzahlungsanspruch.
Die Beweislast für das Vorliegen der rechtlichen und sachlichen Voraussetzungen einer abschließenden Entscheidung wird dem Antragsteller auferlegt (Beweislastumkehr).
(Hier wird weiteres Sonderrecht etabliert. Zudem besteht die Gefahr, dass - fern jeder Kontrollmöglichkeit - zur Vermeidung abschließender Entscheidungen Ansprüche kleingerechnet werden. Dem kann man nur durch konsequente Beantragung abschließender Entscheidungen entgegen treten.)

§ 42 Abs. 2
Sofern keine Aufrechnung oder Sanktion erfolgt, kann ein ALG II Bezieher jeden 4. Monat einen Vorschuss i.H.v. 100 Euro auf das ALG II des Folgemonats erhalten. (Eine, insbesondere aufgrund § 24 Abs. 1, vollkommen sinnfreie Regelung.)

§ 42 Abs. 4
Die Unpfändbarkeit von ALG II wird festgelegt. Dieses kann danach nicht abgetreten, übertragen, verpfändet oder gepfändet werden.
(Positiv für alle von Pfändungen Betroffenen, da viele Banken nach wie vor erhebliche Verständnisprobleme mit der Umsetzung des Pfändungsschutzes bei P-Konten haben.
Extrem negativ hinsichtlich der Regelung des § 7 Abs. 3, denn damit wird auch die Herausgabe der anteiligen Regelleistung des Kindes an den umgangszeitlich geringer beteiligten Elternteil ausgeschlossen.)

§ 43
Erstattungsansprüche aus einer vorläufigen Bewilligung (§ 41a) werden i.H.v. 10% aufgerechnet.
Erstattungsansprüche aus vorrangigen Sozialleitungen (§ 34b) werden i.H.v. 30% aufgerechnet.

§ 50 Abs. 1 S. 2
Hiermit wird externen Gutachtern das Recht eingeräumt, und damit de facto die Pflicht, alle von ihnen im Rahmen einer ärztlichen oder psychologische Untersuchung oder Begutachtung (§ 44a) vom Patienten erhobenen Daten an das Jobcenter weiterzuleiten.
(Dies stellt einen eklatanten Bruch des im SGB X garantierten und geregelten Sozialdatenschutzes dar. Insbesondere wird damit das Recht des Patienten zum Widerspruch der Datenübermittlung gemäß § 76 Abs. 1 und 2 SGB X komplett ausgehebelt.
Jobcenter erhalten so unzulässig Zugriff auf die komplette Patientenakte des Gutachters!)

§ 52
Der automatisierte Datenabgleich wird auf Personen erweitert, die einer BG angehören, aber keinen Leistungsanspruch haben.
(Begründet wird diese weitere Aushöhlung des Datenschutzes im SGB II damit, dass dies für die Feststellung von Leistungsmissbrauch erforderlich sei.)

§ 56
Erwerbsfähige Leistungsberechtigte sollen in der Eingliederungsvereinbarung verpflichtet werden, eine Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer unverzüglich anzuzeigen und nachzuweisen. Ein Verstoß gegen diese Pflicht soll nicht sanktioniert werden.

§ 63
Ausweitung der Bußgeldvorschriften
Ein Verstoß gegen § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB I (Mitteilung leistungserheblicher Tatsachen sowie Zustimmung zur Erteilung entsprechender Auskünfte durch Dritte bei Antragstellung) wird zukünftig mit einem Bußgeld bis zu 5000 Euro geahndet.
(Diese Strafe ist höchst unbillig, da sie unabhängig davon erfolgt, ob tatsächlich ein Schaden entstanden ist. Auch das stellt eine weitere Etablierung von Sonderrecht im SGB II dar.)

§ 80
Übergangsregelung (Bestandsschutz) für bereits erfolgte vorläufige Bewilligungen und Aufrechnungen.
Danach gilt für diese die bisherige Rechtslage weiter.


Änderungen in der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung

§ 1 Abs. 1 Nr. 3
Neuer eigenständiger Freibetrag für Kapitalerträge i.H.v. 100 Euro pro Kalenderjahr.

§ 1 Abs. 1 Nr. 10
Wird aufgehoben.
(Folgeänderung zu § 7 Abs. 6 und § 11a Abs. 3 SGB II)

§ 2 Abs. 3 und Abs. 6 S. 2
Werden aufgehoben.
(Folgeänderung zu § 11 Abs. 1 S. 1 und § 41a SGB II)

§ 3 Abs. 5 und 6
Werden aufgehoben.
(Folgeänderung zu § 41 und § 41a SGB II)

§ 6 Abs. 1 Nr. 3
Die Absetzung der Werbekostenpauschale wird gestrichen.
Stattdessen wird die zusätzliche Absetzung von 1/12 der Jahresbeiträge zu gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtversicherungen (§ 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 3) festgeschrieben.

§ 9
Übergangsregelung (Bestandsschutz) für bereits erlassene Verwaltungsakte.
Danach gilt für diese die bisherige Rechtslage (Fassung der ALG II-V) weiter.





Änderung vom 30.01.2016: Inhaltliche Anpassung an den Gesetzentwurf vom 02.12.2015
Änderung vom 09.03.2016: Ergänzung von § 16h SGB II



Stand vom 09.03.2016
Wird laufend ergänzt, sofern sich neue Erkenntnisse ergeben.
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Unwissender

Nachfrage zu § 11 Abs. 1 S. 1:

Was heisst das genau? Gibts da eine bestimmte Summe, die nicht angerechnet werden darf? Wenn es nicht mehr als Einkommen angerechnet wird, gilt es dann als Vermögen?  :weisnich:
Dumm darf man sein, man muss sich nur zu helfen wissen!

Ottokar

Zitat von: Unwissender am 10. November 2015, 09:37:01Gibts da eine bestimmte Summe, die nicht angerechnet werden darf?
nein

Zitat von: Unwissender am 10. November 2015, 09:37:01enn es nicht mehr als Einkommen angerechnet wird, gilt es dann als Vermögen?
genau das
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Unwissender

Danke!

Heisst also, ich bekomme z.B. 500 €, habe aber meinen Freibetrag von 150,- €/LJ noch nicht ausgeschöpft, dann darf es nicht angerechnet werden? Auch nicht im Monat des Zuflusses? Habe ich das so richtig verstanden?
Dumm darf man sein, man muss sich nur zu helfen wissen!

Ottokar

 :hae:
Zitat von: Ottokar am 08. November 2015, 15:46:57§ 11 Abs. 1 S. 1
Einnahmen in Geldeswert sind kein anrechenbares Einkommen mehr, sofern es sich nicht um absetzbare Aufwendungen nach § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 bis 5 handelt.
Es geht um Einnahmen in Geldeswert!
Wenn dir der AG also z.B. Essensgutscheine als geldwerten Vorteil gewährt, wären die dann beim ALG II nicht mehr anrechenbar.
Ein Ticket für den ÖPNV, um zur Arbeit und wieder nach Hause zu fahren, wäre aber, aufgrund der Ausschlussklausel (sofern ...), weiterhin anrechenbar - obwohl so etwas lt. Gesetzesbegründung auch nicht mehr angerechnet werden soll.
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Quinky

Bedeutet das:

§ 11 Abs. 3
Nachzahlungen von Erwerbseinkommen und Sozialleistungen werden als einmalige Einnahme angerechnet.
(Abweichung von der Rechtsprechung des BSG)

wenn ein Jobcenter einen HartzIV-Empfänger um seinen Sozialleistungsanspruch (ALGII!!) betrogen hat, per Urteil zur Erstattung verurteilt wird, das das Jobcenter dieses als einmalige Einnahme anrechnet und somit das betrogene Geld wieder zurückbekommt?
Das wäre ein Freifahrtschein, das sämtliche Jobcenter sämtliche HartzIV-Empfänger in Milliardenhöhe betrügen dürfen, und die Betrugssumme erstattet bekommen.
Gruß
Ernie

Ottokar

Nachzahlungen von ALG II bleiben weiterhin anrechenfrei, das ist in § 11a Abs. 1 Nr. 1 SGB II geregelt.

Aber andere Sozialleistungen wie Wohngeld oder ALG I werden danach als einmalige Einnahme angerechnet.
Ebenso Nachzahlungen von Erwerbseinkommen, die lt. BSG (B 4 AS 32/14 R) bislang als laufende Einnahmen anzurechnen sind.
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Unwissender

Dumm darf man sein, man muss sich nur zu helfen wissen!

Gast28219

Zitat von: Ottokar am 10. November 2015, 13:57:40
Nachzahlungen von ALG II bleiben weiterhin anrechenfrei, das ist in § 11a Abs. 1 Nr. 1 SGB II geregelt.

Da scheint der CSU etwas Wesentliches entgangen zu sein ...

Gast28219

Die Fachstellungnahme von Harald Thomé:

http://tacheles-sozialhilfe.de/fa/redakteur/Aus_der_Gesetzgebung/Fachstellungnahme_9._SGB_II-AEndG_V_-_12.11.2015__End.pdf

Zitat
...
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss v. 23.07.2014 – 1 BvL 10/12 eine Reihe notwendiger Änderungen im Hartz IV – Gesetz angemahnt
(Energiekosten, Elektrogeräte, Regelbedarf, Brillen). Die Reformation des Sanktionsrechts ist überfällig, ein Vorlagebeschluss dazu liegt beim BVerfG, die hier überfälligen Regelungen scheitern am Widerstand der CSU.
Der Entwurf ist eine Art ,,Anti-Bundessozialgerichts-Gesetz". An vielen Stellen soll das Gesetz so geändert werden, dass Leistungsansprüche, die das BSG Leistungsberechtigten im Wege der Gesetzesauslegung zugesprochen hatte, wieder vernichtet werden; Leistungsansprüche, die die Arbeitsverwaltung und das SPD-geführte BMAS offenbar als ,,Störung" ihres Geschäftsbetriebs begreifen.
...

Zitat
Es soll Verschärfungen geben, die absolut nicht vertretbar sind und den besonderen Widerstand von Zivilgesellschaft und Politik erfordern,
diese möchten wir hervorheben:

Zuordnung von Kindern bei bisherigen sog. temporären Bedarfsgemeinschaften / Streichung des Lebensunterhalts der Kinder im
umgangswahrnehmenden Haushalt (Seite: 2-3)

Zulässigkeit einer Gesamtangemessenheitsgrenze für die Warmmiete (Seite 14-15)

Anrechnung von Nachzahlungen aus anderen Sozialleistungen als einmalige Einnahme im SGB II (Seite: 5)

Absetzbarkeit von gesetzlich vorgeschriebenen Versicherungen, nur wenn sie zum Zeitpunkt der Entscheidung nachgewiesen wurden (Seite: 8)

Streichung der Arbeitsmittelpauschale von 15,33 EUR (Seite: 8-9)

Ausweitung der Ersatzansprüche bei sozialwidrigem Verhalten / Ausweitung des ,,Sanktionsrechts" (Seite: 16–17)

Begrenzung der Rückwirkung eines Überprüfungsantrages bei ständiger Rechtsprechung / Einschränkung des § 44 SGB X (Seite: 18)

Nachweispflicht von Bedürftigkeit und Rückforderungsanspruch bei fehlendem Nachweis (Seite: 21-22)

Voraussetzungen für die vorläufige Gewährung / Ausschluss des Anspruchs auf Vorschuss (Seite: 21)

Bei vorläufiger Gewährung ganz oder teilweise Nichtberücksichtigung des Erwerbstätigenfreibetrages (Seite: 22)

Die Frage ist, wie man mit § 11 Abs. 3 S. 2 SGB II umgehen soll, der sich als direkte Aufforderung an andere Leistungsträger darstellt, rechtswidrig Leistungen zu versagen oder zumindest zu langfristig zu verschleppen. Die Regelung wird die Anzahl der Gerichtsverfahren gegen die Arbeitsämter perspektivisch durch den Dachstuhl gehen lassen.

Ottokar

Sofern der aufmerksame Leser Inhaltsgleichheiten zum obigen Beitrag von mir finden sollte, so liegt das daran, dass Herr Thomae darauf zurückgegriffen hat.
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Gast28219

Im Referentenentwurf ist zu § 34 SGB II folgendes zu lesen:

Zitat
27. § 34 wird wie folgt geändert:
a)
Absatz 1 wird wie folgt geändert:
aa)
In Satz 1 werden die Wörter ,,gezahlten Leistungen" durch die Wörter ,,erbrachten Geld- und Sachleistungen" ersetzt.
bb)
Nach Satz 1 werden folgende Sätze eingefügt:
,,Als Herbeiführung im Sinne des Satzes 1 gilt auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde. Sachleistungen sind in Geld oder durch Rückgabe des Gutscheins, soweit dieser nicht in Anspruch genommen wurde, zu ersetzen."
b)
In Absatz 3 Satz 1 werden die Wörter ,,in dem" durch die Wörter ,,für das" ersetzt.

Nun drängten ja die JobCenter recht häufig darauf, daß eine bestehende Hilfsbedürftigkeit verstetigt und sogar erhöht werde, indem sie hilfsbedürftige Selbständige und Leute, die einer geringfügigen Beschäftigung nachgehen, per EGV/VA oder Zuweisung in eine langfristige Vollzeitmaßnahme steckten und so zur Aufgabe der Tätigkeit zwangen bzw. die Kündigung durch den Arbeitgeber bewußt herbeiführten.

Nach der Logik der im Referentenentwurf vorgesehenen Änderung müßten die Leute, die sich das gefallen lassen würden, dann nicht nur die Leistungen zum Lebensunterhalt, sondern auch die Maßnahmekosten erstatten, da es sich insoweit um "erbrachte Sachleistungen" handelt. Zumindest würdet das solange gelten, bis höchstrichterlich festgestellt ist, ob das Erfüllen von in EGVen vereinbarten oder vom JC per Verwaltungsakten verfügten Verpflichtungen durch den LE einen "wichtigen Grund" für eine pflichtwidrige Handlung gem. § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB II gepl. F. darstellen kann.

Ottokar

Zitat von: Gast28219 am 13. November 2015, 16:53:52Nun drängten ja die JobCenter recht häufig darauf, daß eine bestehende Hilfsbedürftigkeit verstetigt und sogar erhöht werde, indem sie hilfsbedürftige Selbständige und Leute, die einer geringfügigen Beschäftigung nachgehen, per EGV/VA oder Zuweisung in eine langfristige Vollzeitmaßnahme steckten und so zur Aufgabe der Tätigkeit zwangen bzw. die Kündigung durch den Arbeitgeber bewußt herbeiführten.
Das ist schon nach aktuellem Recht unzulässig.

Zitat von: Gast28219 am 13. November 2015, 16:53:52Nach der Logik der im Referentenentwurf vorgesehenen Änderung müßten die Leute, die sich das gefallen lassen würden, dann nicht nur die Leistungen zum Lebensunterhalt, sondern auch die Maßnahmekosten erstatten, da es sich insoweit um "erbrachte Sachleistungen" handelt.
Nein, denn Maßnahmekosten sind keine Sachleistungen i.S.d. SGB II.
In § 34 SGB II geht es um Leistungen nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 SGB II, also Leistungen nach dem (rechtlich in sich abgeschlossenen) 2. Abschnitt des 3. Kapitels SGB II, die gemäß der entsprechenden Regelungen teilweise auch als Sachleistungen erbracht werden können.
Das ergibt sich aus dem Gliederungsprinzip des Gesetzes.
Maßnahmekosten sind Leistungen nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 SGB II, also Leistungen nach dem 1. Abschnitt des 3. Kapitels SGB II.
Dieser beinhaltet keine gesetzliche Regelung zur Rückforderung derartiger Kosten. Deshalb muss auch in einer EinV bezüglich derartiger Kosten eine Schadensersatzregelung getroffen werden (§ 15 Abs. 3 SGB II). Diesbezüglich sind auch keine Änderungen geplant.
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Gast38894

§ 3 Abs. 2
Jeder Antragsteller soll sofort in eine Eingliederungmaßnahme gezwungen werden.


Nach § 15 SGB II sind Arbeitsuchende sind Personen, die eine Beschäftigung als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer suchen.
Wer in Vollzeit selbständig erwerbstätig ist (Integrationslage I wie integriert) sucht keine Arbeit als Arbeitnehmer.

Wer als hauptberuflich Selbständiger gar keine Arbeit sucht, sondern nur Hilfe zu Lebensunterhalt bedarf siehe § 9 neue Fassung seit 2011 hat doch eigentlich keine Anspruch auf Eingliederungsleistungen, er ist ja schon eingegliedert

§ 5 
Leistungen zur Eingliederung in Arbeit werden vom JC nicht mehr an Empfänger von 
Arbeitslosengeld oder Teilarbeitslosengeld erbracht. Diese sind vom Arbeitsamt zu erbringen


Da diese von der Agentur für Arbeit zu erbringen sind, kann diese Leistungen zur Eingliederung in Arbeit einen hauptberuflich Selbständigen auch nicht in einer EingV aufgezwungen werden und in der Folge dann für eine nicht beantragte Leistung sanktioniert werden.
bzw.
Selbständige sollen mit dem jobcenter eine EinV abschließen, In Maßnahmen gezwungen werden und vom jobcenter sanktioniert werden obwohl sie keine Leistungen vom jobcenter erhalten ?

Selbst Entscheidungen über Leistungen nach § 16c sind lt.§ Sache der Agentur für Arbeit und nicht Sache des jobcenters, Tragfähigkeit hat das jobcenter überhaupt nicht zu interessieren, das machen sachkundige Dritte

Muss also bei Selbständigen dann das jobcenter bei der Agentur für Arbeit ungewollte Leistungen und Maßnahmen beantragen oder wie geht das ?

Orakel

Na dann wollen wir mal sortieren ...

Die gemeinsamen Einrichtungen nach § 44b und die zugelassenen kommunalen Träger nach § 6a führen die Bezeichnung Jobcenter. (§ 6d SGB II)

Zur einheitlichen Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende bilden die Träger im Gebiet jedes kommunalen Trägers nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 eine gemeinsame Einrichtung. Die gemeinsame Einrichtung nimmt die Aufgaben der Träger nach diesem Buch wahr; die Trägerschaft nach § 6 sowie nach den §§ 6a und 6b bleibt unberührt. (§ 44b Abs. 1 Satz 1, 2 SGB II)

Daher auch die Formulierung in § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB II: Die Agentur für Arbeit soll im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person die für ihre Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren (Eingliederungsvereinbarung).

Die Zulassungen der aufgrund der Kommunalträger-Zulassungsverordnung vom 24. September 2004 (BGBl. I S. 2349) anstelle der Bundesagentur als Träger der Leistungen nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 zugelassenen kommunalen Träger werden vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch Rechtsverordnung über den 31. Dezember 2010 hinaus unbefristet verlängert, wenn die zugelassenen kommunalen Träger gegenüber der zuständigen obersten Landesbehörde die Verpflichtungen nach Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 und 5 bis zum 30. September 2010 anerkennen. (§ 6a Abs. 1 SGB II)

"mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person": erwerbsfähig sind auch Selbständige, leistungsberechtigt ist, wer u.a. hilfebedürftig ist. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. (§ 9 Abs. 1 SGB II). Dabei ist es völlig irrelevant, ob das (unzureichende) Einkommen aus abhängiger Beschäftigung oder selbständiger Tätigkeit erzielt wird.

Zitat von: Gast38894 am 15. November 2015, 21:56:29
Selbst Entscheidungen über Leistungen nach § 16c sind lt.§ Sache der Agentur für Arbeit und nicht Sache des jobcenters, Tragfähigkeit hat das jobcenter überhaupt nicht zu interessieren, das machen sachkundige Dritte

Irren ist menschlich, sprach der Igel und kletterte von der Kleiderbürste!

"Zur Beurteilung der Tragfähigkeit der selbständigen Tätigkeit soll der Leistungsträger die Stellungnahme einer fachlichen Stelle verlangen (Absatz 3 Satz 2). Davon kann er insbesondere dann absehen, wenn er selbst über die notwendige Kompetenz und Marktkenntnis verfügt. Die Anforderung einer Stellungnahme ist auch dann entbehrlich, wenn der Misserfolg der geplanten Selbständigkeit offenkundig ist oder wenn der mit der Anforderung verbundene Aufwand unverhältnismäßig groß wäre, weil nur eine geringe Leistung begehrt wird. Fachkundige Stellen sind – wie die ähnlich gestaltete Regelung des § 93 Abs. 2 Satz 2 HS. 2 SGB III aufzählt – insbesondere die Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, berufsständische Kammern, Fachverbände und Kreditinstitute. Diese Aufzählung ist ausdrücklich beispielhaft und nicht abschließend. Im Schrifttum werden auch Wirtschaftsprüfer und Steuerberater als geeignete Aussteller angesehen. Grds. ist es Sache des Leistungsberechtigten selbst, sich eine ihm geeignet erscheinende fachkundige Stelle auszusuchen. Allerdings hat der Leistungsträger sorgfältig zu prüfen, wie gründlich, objektiv und kenntnisreich die Stellungnahme erstellt worden ist. In jedem Fall muss sie eine nachvollziehbare Würdigung des konkret dargelegten Unternehmenskonzepts enthalten und darf sich nicht auf die bloße Bestätigung der Tragfähigkeit beschränken. Verweist die Stellungnahme auf Unterlagen des Antragstellers, müssen diese ebenfalls vorgelegt werden. Denn der Leistungsträger muss letztlich eine eigene Prognose entwickeln und ist deshalb auch an den Inhalt der Stellungnahme nicht gebunden. Absatz 3 Satz 2 modifiziert zwar den Amtsermittlungsgrundsatz insoweit, dass es dem Leistungsberechtigten und nicht dem Leistungsträger obliegt, die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle einzuholen. Die beigebrachte Stellungnahme entbindet den Leistungsträger aber nicht der Aufgabe, ggf. weitere Ermittlungen anzustellen. Die Kosten der Stellungnahme hat der Leistungsberechtigte nach der gesetzlichen Regelung grds. selbst zu tragen, allerdings ist denkbar, dass der Leistungsträger im Rahmen der freien Förderung nach § 16f SGB II oder durch Rahmenverträge mit fachkundigen Stellen Erleichterungen schafft."

(Harks in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 16c, Rn. 27)

Zitat von: Gast38894 am 15. November 2015, 21:56:29
Muss also bei Selbständigen dann das jobcenter bei der Agentur für Arbeit ungewollte Leistungen und Maßnahmen beantragen oder wie geht das ?

Natürlich müssen hilfebedürftige Selbständige Leistungen nach SGB II selbst beim Jobcenter beantragen. Das nimmt ihnen niemand ab.

Zitat von: Gast38894 am 15. November 2015, 21:56:29
... obwohl sie keine Leistungen vom jobcenter erhalten ?

Natürlich erhalten hilfebdürftige Selbständige Leistungen vom Jobcenter und so lange sie Leistungen beziehen, unterliegen sie den gleichen Pflichten, wie abhängig Beschäftigte auch.