Rechtsverschärfungen im SGB II ab 01.08.2016 - 9. Gesetz zur Änderung des SGB II

Begonnen von Ottokar, 08. November 2015, 15:46:57

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Gast26342

Zitat2. Fahrplan zum Rechtsverschärfungsgesetz
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Hier nun der konkrete Fahrplan zu den geplanten SGB II – Änderungen:
Kabinett   03.02.2016
Bundesrat, 1. Durchgang 18.03.2016
Bundestag, 1. Lesung  14.04.2016
Bundestag, 2. + 3. Lesung 09.06.2016
Bundesrat, 2. Durchgang 08.07.2016
Inkrafttreten 01.08.2016
Weitere Infos:
http://tacheles-sozialhilfe.de/startseite/tickerarchiv/d/n/1953/

oldhoefi

Das Rechtsvereinfachungsgesetz soll auf den Weg gebracht werden

Die Regierungspropaganda beginnt zu laufen, das 9. SGB II ÄndG wird nun ,,Entbürokratisierung" des Hartz IV Gesetztes genannt, mal gucken ob es noch den Arbeitstitel ,,SGB II Entbürokratisierungsgesetz" erhält. Tatsächlich ist es aber in weiten Teilen ein das SGB II Recht Verschärfungsgesetz. In einer Vielzahl von Stellen soll BSG Rechtsprechung ausgehebelt werden, vom Bundesverfassungsgericht geforderte Änderungen werden nicht umgesetzt, in einer Reihe von Punkten soll durch spezielle Regelungen das allgemeine Sozialrecht für SGB II'er als nicht anzuwendendes Recht erklärt werden.

Daher der Hinweis, es handelt sich nicht um ein Entbürokratisierungsgesetz, sondern um ein Gesetz, mit dem das Sonder- und Entrechtungsrecht von SGB II'lern weiter verfeinert und ausgebaut werden soll.

Daher empfehlen wir nochmal einen Blick auf die Tacheles Fachstellungnahme, in der wir das weitgehend ausgearbeitet haben.
--> http://tacheles-sozialhilfe.de/fa/redakteur/Aus_der_Gesetzgebung/Fachstellungnahme_9._SGB_II-AEndG_V_-_12.11.2015__End.pdf

Diese als Ausschussdrucksache mit 19 Seiten.
--> http://tacheles-sozialhilfe.de/fa/redakteur/Aus_der_Gesetzgebung/Fachstellungnahme_18_11_484.pdf

SZ zu den geplanten SGB II Änderungen.
--> http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/buerokratie-wie-nahles-die-jobcenter-buerokratie-zerschlagen-will-1.2833387

Fahrplan zum Rechtsverschärfungsgesetz

Der konkrete Fahrplan zu den geplanten SGB II Änderungen.

Kabinett 03.02.2016
Bundesrat, 1. Durchgang 18.03.2016
Bundestag, 1. Lesung 14.04.2016
Bundestag, 2. + 3. Lesung 09.06.2016
Bundesrat, 2. Durchgang 08.07.2016
Inkrafttreten 01.08.2016

Konkret soll somit das SGB II Verschärfungsgesetz zum 01.08.2016 in Kraft treten.

Die geplanten Änderungen

Gegenüber dem vorherigen  Referentenentwurf vom 12.10.2015 gibt es in der nun bekannt geworden Version vom 02.12.2015 ein paar Änderungen. Offensichtlich ist schon mal, dass die geplanten Regelungen zur temporären Bedarfsgemeinschaft wieder draußen sind. Hier hat der bisherige Protest wohl schon Erfolg gezeigt! Diese darzustellen, ist mir in der Kürze der Zeit nicht möglich.

Ob allerdings die Version vom 02.12.2015 die ist, die nächste Woche dem Kabinett vorgelegt wird, ist uns nicht bekannt. Kann sich also noch ändern.

Referentenentwurf vom 02.12.2015.
--> http://tacheles-sozialhilfe.de/fa/redakteur/Aktuelles/Entwurf_9_SGBIIAEndG_Stand_2.12.15.pdf

Vergleich alter Referentenentwurf und neuer, so werden die gewollten Änderungen am deutlichsten.
--> http://tacheles-sozialhilfe.de/fa/redakteur/Aktuelles/9_SGB_II_Vergleich_GE_RefE.pdf

Abschließende Bemerkung

Die kritische Debatte um die geplanten Änderungen hat schon was genutzt, das reicht aber nicht. Die Debatte muss weitergehen und der Druck erhöht werden. Dazu möchte ich auffordern.

Ich möchte aber auch auffordern, an dem bundesweiten Aktionstag am 10. März unter dem Motto ,,Ansprüche verteidigen – Sanktionen abschaffen!" sich zu beteiligen.
--> http://tacheles-sozialhilfe.de/startseite/aktuelles/d/n/1949/

(Quelle und Zitate: Harald Thomé - Newsletter vom 29.01.2016)

Gast37908

§ 22 Abs. 3
Rückzahlungen bei den Betriebskosten werden nicht als Einkommen angerechnet, sofern sie auf Vorauszahlungen beruhen, die der Betroffene für nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Abrechnungszeitraum selbst gezahlt hat.

wurde auch Zeit das dieser Unsinnige § der eigen erbrachten Vorauszahlung der Betriebskosten nicht mehr als Einkommen angerechnet wird.

Gast18959

Zitat§ 34 Abs. 1
Ein Ersatzanspruch tritt künftig auch dann ein, wenn durch das sozialwidrige Verhalten die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde.
(Damit wird eine zusätzliche Sanktion eingeführt, denn neben der 3monatigen Kürzung des ALG II nach § 31 SGB II muss der Betroffene künftig auch das ALG II erstatten, welches er und die anderen Mitglieder seiner BG weniger erhalten hätten, wenn er z.B. einen angebotenen Job angenommen hätte.
Das bedeutet eine erhebliche Erhöhung des Drucks auf Arbeitslose, sowie eine massive Verschärfung des Sanktionrechts.)

Eine Gewährung des Anspruchs auf´s soziokulturelle Existenzminimum auf "Darlehensbasis" (Erstattungspflicht), wegen einer "vermutlichen Einstellung durch einen Arbeitgeber", dürfte verfassungswidrig sein.
Dazu existieren bereits einschlägige Aussagen des BVerfG :

BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05
Zitat"(1) Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende dienen der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens. Diese Sicherstellung ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, die aus dem Gebot zum Schutze der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt (vgl. BVerfGE 82, 60 <80>). Diese Pflicht besteht unabhängig von den Gründen der Hilfebedürftigkeit (vgl. BVerfGE 35, 202 <235> ). Hieraus folgt, dass bei der Prüfung der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums, soweit es um die Beurteilung der Hilfebedürftigkeit der Antragsteller geht, nur auf die gegenwärtige Lage abgestellt werden darf. Umstände der Vergangenheit dürfen nur insoweit herangezogen werden, als sie eindeutige Erkenntnisse über die gegenwärtige Lage des Anspruchstellers ermöglichen. Dies gilt sowohl für die Feststellung der Hilfebedürftigkeit selbst als auch für die Überprüfung einer Obliegenheitsverletzung nach §§ 60, 66 SGB I, wenn über den Anspruch anhand eines dieser Kriterien entschieden werden soll. Aus diesen Gründen dürfen existenzsichernde Leistungen nicht auf Grund bloßer Mutmaßungen verweigert werden, insbesondere wenn sich diese auf vergangene Umstände stützen. "
https://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk20050512_1bvr056905.html

BVerfG · Urteil vom 9. Februar 2010 · Az. 1 BvL 1/09
Zitatc) Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums muss durch einen gesetzlichen Anspruch gesichert sein. Dies verlangt bereits unmittelbar der Schutzgehalt des Art. 1 Abs. 1 GG. Ein Hilfebedürftiger darf nicht auf freiwillige Leistungen des Staates oder Dritter verwiesen werden, deren Erbringung nicht durch ein subjektives Recht des Hilfebedürftigen gewährleistet ist. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums muss durch ein Parlamentsgesetz erfolgen, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthält. Dies findet auch in weiteren verfassungsrechtlichen Grundsätzen seine Stütze. Schon aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergibt sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen (vgl. BVerfGE 108, 282 <311> m.w.N.). Dies gilt in besonderem Maße, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwürde und der menschlichen Existenz geht (vgl. BVerfGE 33, 303 <337>; 40, 237 <249>). Zudem kann sich der von Verfassungs wegen bestehende Gestaltungsspielraum des Parlaments nur im Rahmen eines Gesetzes entfalten und konkretisieren (vgl. BVerfGE 59, 231 <263>). Schließlich ist die Begründung von Geldleistungsansprüchen auch mit erheblichen finanziellen Auswirkungen für die öffentlichen Haushalte verbunden. Derartige Entscheidungen sind aber dem Gesetzgeber vorbehalten. Dafür reicht das Haushaltsgesetz nicht aus, weil der Bürger aus ihm keine unmittelbaren Ansprüche herleiten kann (vgl. BVerfGE 38, 121 <126>).

Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt (vgl. BVerfGE 87, 153 <172>; 91, 93 <112>; 99, 246 <261>; 120, 125 <155 und 166>). Wenn der Gesetzgeber seiner verfassungsmäßigen Pflicht zur Bestimmung des Existenzminimums nicht hinreichend nachkommt, ist das einfache Recht im Umfang seiner defizitären Gestaltung verfassungswidrig.
http://openjur.de/u/174738.html

Aus meiner "eingeschränkten nichtjuristischen" Sicht gilt dies für die alte - erst recht für die angestrebte neue Regelung
des § 34  Abs 1

Gast37622

Man soll auch weniger dazu verdienen dürfen. Wo soll denn da der Anreiz sein, was weniger gut bezahltes oder eine Teilzeitstelle anzunehmen? Oder ich habe es nicht richtig verstanden, kann auch sein.

Ottokar

Zitat von: Gast18959 am 31. Januar 2016, 15:06:54Eine Gewährung des Anspruchs auf´s soziokulturelle Existenzminimum auf "Darlehensbasis" (Erstattungspflicht), wegen einer "vermutlichen Einstellung durch einen Arbeitgeber", dürfte verfassungswidrig sein.
Woraus liest du das?
Ich sehe keine Änderung des SGB II, welche die Anrechnung von fiktivem Einkommen zulässt.
Meine Beiträge beinhalten oder ersetzen keine anwaltliche Beratung oder Tätigkeit.
Für eine verbindliche Rechtsberatung und -vertretung suchen Sie bitte einen Anwalt auf.


Markus01

Könnte jemand mal kurz zusammenfassen, was wichtig ist? Das wäre sehr nett. Mir fehlt da der Überlick bei den ganzen Gesetzestexten und diesem "Juristendeutsch".

Ottokar

Je nach persönlicher Situation kann alles wichtig sein.
Die Zusammenfassung findest du auf Seite 1 im 1. Beitrag unter "Änderungen im SGB II (Bearbeitungsstand: 02.12.2015)".
Meine Beiträge beinhalten oder ersetzen keine anwaltliche Beratung oder Tätigkeit.
Für eine verbindliche Rechtsberatung und -vertretung suchen Sie bitte einen Anwalt auf.


binational

Vielleicht bin ich ja zu doof, aber wird bei Bafög nun wenigstens 100€ freigestellt? Einmal ists gestrichen, einmal stehts noch da und wer definiert die "höheren Aufwendungen"? Gehören dazu auch Monatskarte, Lernmaterialien und Studiengebühren? Und die werden nicht berücksichtigt? :scratch:

LG

Gast18959

Zitat von: Ottokar am 01. Februar 2016, 11:37:08Eine Gewährung des Anspruchs auf´s soziokulturelle Existenzminimum auf "Darlehensbasis" (Erstattungspflicht), wegen einer "vermutlichen Einstellung durch einen Arbeitgeber", dürfte verfassungswidrig sein.

Woraus liest du das?
Ich sehe keine Änderung des SGB II, welche die Anrechnung von fiktivem Einkommen zulässt.

@Ottokar
Daraus :

Zitat von: Gast18959 am 31. Januar 2016, 15:06:54
zitat Otto
§ 34 Abs. 1 .......
"muss der Betroffene künftig auch das ALG II erstatten, welches er und die anderen Mitglieder seiner BG weniger erhalten hätten, wenn er z.B. einen angebotenen Job angenommen hätte."

Eine Änderung bezgl. fiktivem Einkommen sehe ich auch nicht, nur eine Verschärfung der aus meiner bescheidenen Sicht verfassungswidrigen Norm.
Bisher trifft diese Regelung (§ 34 SGB II) ja überwiegend die Aufstocker (SGB III + SGB II), die durch Aufgabe des Arbeitsplatzes mit einer Sperrzeit belegt wurden, eher selten die "reinen" Hartzer.
Zukünftig wird sich dies radikal ändern wenn die Neufassung des 34igers so durchgewunken wird.

Mit verfassungswidrig meine ich:
Das Existenzminimum muss ja trotz "Erstattungsanspruch" bei Bedarf fortlaufend zur Verfügung gestellt werden.
Es werden also beim Betroffenen Schulden angehäuft solange er im Bezug bleibt wenn er zuvor, eine Arbeit nicht angenommen, gekündigt oder Anlass zur Kündigung gegeben hat.
Eine Verrechnung mit der laufenden Leistung auf Dauer werden die Sozialgerichte verneinen müssen.
Deshalb also - "Darlehensweise" - und - fiktiv - weil dem Betroffenen Einkommen angerechnet wird welches ihm ohne "Fehlverhalten" zur Verfügung gestanden hätte.
Dies widerspricht allerdings den vom BVerfG formulierten Grundsätzen :
- gesetzlicher Rechtsanspruch auf die Leistung
- nach Bedarf
- Grund des Bedarfs nicht beachtlich
- soziokulturelle Teilhabe ist keine Ausgleichsmasse

Gast38213

In der Summe find eich wird alles viel schlimmer.
Vor allem finde ich es ziemlich doof, dass das JobCenter einen Datensatz hat wo meine Erkrankung drinsteht. (AIDS)
Selbst das Finanzamt oder die Krankenkasse hat sowas nicht.

Ottokar

Zitat von: binational am 01. Februar 2016, 16:29:07wird bei Bafög nun wenigstens 100€ freigestellt?
Bafög wird wie Erwerbseinkommen angerechnet.Die Betonung liegt dabei auf "wie", denn sobald tatsächlich noch Erwerbseinkommen hinzukommt, wird der Freibetrag dann ausschließlich davon gewährt.
Absetzbar sind dann in dem Zusammenhang vom Bafög nur noch die tatsächlichen Aufwendungen der Ausbildung.

Zitat von: binational am 01. Februar 2016, 16:29:07wer definiert die "höheren Aufwendungen"?
Das ist schon definiert. Das sind die tatsächlichen Aufwendungen der Ausbildung, u.a. Monatskarte, Lernmaterialien und Studiengebühren.

Zitat von: Gast18959 am 01. Februar 2016, 19:15:27Deshalb also - "Darlehensweise" - und - fiktiv - weil dem Betroffenen Einkommen angerechnet wird welches ihm ohne "Fehlverhalten" zur Verfügung gestanden hätte.
Der Erstattungsanspruch nach § 34 SGB II ist ein Schadensersatzanspruch (analog zu § 249 Abs. 1 BGB, § 823 BGB, § 826 BGB), keine Einkommensanrechnung.
Das dem JC hier, entgegen § 51 Abs. 1 SGB I, eine Aufrechnung zugestanden wird, ist weiteres bedenkliches SGB II-Sonderrecht.
Meine Beiträge beinhalten oder ersetzen keine anwaltliche Beratung oder Tätigkeit.
Für eine verbindliche Rechtsberatung und -vertretung suchen Sie bitte einen Anwalt auf.


binational

Danke ottokar, hat sich halt anders angehört. Aber gut, dann hoffe ich auf das Beste...  :zwinker:

Gast18959

Zitat von: Ottokar am 02. Februar 2016, 10:01:43Der Erstattungsanspruch nach § 34 SGB II ist ein Schadensersatzanspruch (analog zu § 249 Abs. 1 BGB, § 823 BGB, § 826 BGB), keine Einkommensanrechnung.

ok, @Ottokar,
war von mir missverständlich ausgedrückt.
Allerdings, wird ja das "fiktive Einkommen",  zur Schadensermittlung herangezogen.
Deshalb mein hinkender Vergleich :"wird dem Betroffenen Einkommen angerechnet welches zur Verfügung gestanden hätte".


Meck

Anlässlich des morgen im Bundeskabinett abzustimmenden 9. SGB-II-Änderungsgesetz aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales erklärt Katja Kipping, Vorsitzende der Partei DIE LINKE und sozialpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE: ,,Das Hartz-IV-Änderungsgesetz läuft – neben einigen Verbesserungen – auf eine Verschärfung des Hartz-IV-Unrechts hinaus. Angeblich sollen Rechtsvereinfachungen bei Hartz IV auf den Weg gebracht werden.

-->> http://www.gegen-hartz.de/nachrichtenueberhartziv/hartz-iv-aenderungsgesetz-droht-mit-unrecht.php
Finde das grosse Glück in den kleinen Dingen des Lebens und empfinde dadurch wahre Zufriedenheit. LG Meck :bye: