Rechtsverschärfungen im SGB II ab 01.08.2016 - 9. Gesetz zur Änderung des SGB II

Begonnen von Ottokar, 08. November 2015, 15:46:57

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Orakel

Der Hinweis bezog sich auf die Änderungen des § 5 Abs. 3 SGB II:

a) Dem Absatz 3 werden die folgenden Sätze angefügt:

,,Wird eine Leistung aufgrund eines Antrages nach Satz 1 von einem anderen Träger nach § 66 des Ersten Buches bestandskräftig entzogen oder versagt, sind die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch ganz oder teilweise so lange zu entziehen oder zu versagen, bis die leistungsberechtigte Person ihrer Verpflichtung nach den §§ 60 bis 64 des Ersten Buches gegenüber dem anderen Träger nachgekommen ist. Eine Entziehung oder Versagung nach Satz 3 ist nur möglich, wenn die leistungsberechtigte Person vom zuständigen Leistungsträger nach diesem Buch zuvor schriftlich auf diese Folgen hingewiesen wurde. Wird die Mitwirkung gegenüber dem anderen Träger nachgeholt, ist die Versagung oder Entziehung rückwirkend aufzuheben. Die Sätze 3 bis 5 gelten nicht für die vorzeitige Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters."

Die Änderung hat keine Auswirkungen auf §12a SGB II, hier bleibt es bei der bisherigen Regelung.

Gast18959

@Orakel

Ergibt sich eine Rechtsfolge, wenn ja - welche ?

Wenn Betroffene ihre Plichten aus § 12a SGB II verletzen - ausser - dass nun die Behörde gemäss § 5 SGB II tätig wird.

Zitat von: Orakel am 09. Juli 2016, 10:55:14Die Sätze 3 bis 5 gelten nicht für die vorzeitige Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters."

Aus meiner Sicht, wird der Behörde mit dieser Regelung die Anwendung des einzigen Druckmittels (Leistungseinstellung bis zur Pflichterfüllung) untersagt.

Übersehe ich dabei ein wichtiges Detail ?

Orakel

Zitat von: Gast18959 am 09. Juli 2016, 14:26:43
Wenn Betroffene ihre Plichten aus § 12a SGB II verletzen - ausser - dass nun die Behörde gemäss § 5 SGB II tätig wird.

An der bisherigen Regelung hat sich nichts geändert. Einzige Rechtsfolge war und bleibt das Recht des Leistungsträgers aus § 5 SGB II, seinerseits den Rentenantrag zu stellen. Der Leistungsträger bleibt in der Leistungspflicht, bis der Rententräger tatsächlich leistet.

Mitwirkungspflichten nach § 60 ff. SGB I entstehen für Leistungsberechtigte gegenüber dem Rententräger (mit allen sich daraus ergebenden Rechtsfolgen aus § 66 SGB I), nicht gegenüber dem Jobcenter.

Gast18959

Danke @Orakel

Interessant


Zitat von: Orakel am 09. Juli 2016, 14:41:44Mitwirkungspflichten nach § 60 ff. SGB I entstehen für Leistungsberechtigte gegenüber dem Rententräger (mit allen sich daraus ergebenden Rechtsfolgen aus § 66 SGB I), nicht gegenüber dem Jobcenter.

Ein zeitweises Verweigern der Mitwirkung gegenüber dem Rententräger erhöht also tatsächlich die monatliche Rente ohne gegenwärtige Nachteile.
Dies wird nun, anders als ursprünglich geplant, durch die Neureglung ausdrücklich festgeschrieben.
Gab es möglicherweise ein verfassungsrechtliches Problem ?

Orakel

Zitat von: Gast18959 am 09. Juli 2016, 16:00:40
Dies wird nun, anders als ursprünglich geplant, durch die Neureglung ausdrücklich festgeschrieben.

In Bezug auf die sog. Zwangsverrentung gibt es keine Neuregelung!

Zitat von: Gast18959 am 09. Juli 2016, 16:00:40
Gab es möglicherweise ein verfassungsrechtliches Problem ?

Es war tatsächlich anders "geplant", allerdings spielten weniger verfassungsrechtliche Probleme eine Rolle, sondern vielmehr die Tatsache, dass der "Plan" letztlich in der Koalition keine Mehrheit fand. Ich schließe auch nicht aus, dass hier ein "Kuhhandel" stattgefunden hat ...

Gast18959

Zitat von: Orakel am 09. Juli 2016, 16:11:26In Bezug auf die sog. Zwangsverrentung gibt es keine Neuregelung!

Kleines Mistverständnis   :mocking:
Mit Neuregelung meinte ich den neu eingefügten Wortlaut :

Zitat von: Orakel am 09. Juli 2016, 10:55:14Die Sätze 3 bis 5 gelten nicht für die vorzeitige Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters."

Danke für den Erklärbär liebes Orakel

Ottokar

Zitat von: Gast18959 am 09. Juli 2016, 16:00:40Ein zeitweises Verweigern der Mitwirkung gegenüber dem Rententräger erhöht also tatsächlich die monatliche Rente ohne gegenwärtige Nachteile.
Mal abgesehen davon, dass das eher im Centbereich liegen dürfte, sehe ich nicht, was bei Beantragung einer Altersrente für Mitwirkungen erforderlich sind. Die RV berechnet anhand der ihr vorliegenden Daten.
Wenn die falsch oder unvollständig sind, hat der Rentner halt Pech gehabt, schließlich hat er ja von der RV in der Vergangenheit alle paar Jahre einen Bescheid über seinen Versicherungsverlauf erhalten mit der Aufforderung, diesen zu prüfen und gegebenenfalls zu ergänzen bzw. zu korrigieren.
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Gast39864

Auch wenn der Versicherungsverlauf an sich vorliegt, werden im Rentenantrag noch eine Menge Fragen gestellt. Vermutlich kann bzw. darf der Antrag ohne Beantwortung dieser Fragen nicht abschließend bearbeitet werden. http://www.deutsche-rentenversicherung.de/cae/servlet/contentblob/217418/publicationFile/45954/R0100.pdf

Allerdings wüßte ich nicht, was das Hinauszögern nützen könnte. Ist der Antrag gestellt, ist er gestellt, egal, wie lange die Bearbeitung dauert. Wieso sollten die Abschläge gemindert werden?

Orakel

Zitat von: Ottokar am 09. Juli 2016, 18:08:35
... was bei Beantragung einer Altersrente für Mitwirkungen erforderlich sind.

Für den Rentenantrag sind eine ganze Reihe von Angaben erforderlich, die nichts mit dem Versicherungsverlauf zu tun haben und die weder dem Rententräger, noch dem Jobcenter vorliegen und allein von den Versicherten gemacht werden können. Darüber hinaus müssen eine ganze Reihe von Nachweisen erbracht werden, die ebenfalls nichts mit dem Versicherungsverlauf zu tun haben, z.B. Geburtsurkunden, Eheschließungsurkunden, Sterbeurkunden, Scheidungsurteile, Unterhaltstitel, Einkommensnachweise ...

Zitat von: Gast39864 am 09. Juli 2016, 20:35:14
Allerdings wüßte ich nicht, was das Hinauszögern nützen könnte.

Jeder Monat, um den der Rentenbeginn hinausgezögert werden kann, bringt 0,3 %, lebenslang. Die Höhe der Abschläge richtet sich nach dem Rentenbeginn, nicht nach dem Zeitpunkt, in dem der Antrag gestellt wurde.

Für Versicherte, die ohnehin auf Grundsicherung nach SGB XII angewiesen sein werden, macht das Hinauszögern des Rentenbeginns sicher keinen Sinn. Es gibt aber durchaus auch Versicherte bei denen liegen 0,3 der Rente deutlich über dem Cent-Bereich. Abgesehen davon, gibt es nicht nur für Leistungsberechtigte nach SGB II keine Bagatellgrenzen. Das sollte auch für Versicherte gelten ...

Gast39864

Zitat von: Orakel am 09. Juli 2016, 21:31:00Die Höhe der Abschläge richtet sich nach dem Rentenbeginn, nicht nach dem Zeitpunkt, in dem der Antrag gestellt wurde.
Ja. aber in den Rentenantrag wird der gewünschte Rentenbeginn eingetragen (Seite 2 des Antrags, oben). Das wird im Fall des Falles sicher auch das JC tun. Warum sollte der Rentenbeginn nachträglich geändert werden können, falls nicht der ganze Antrag gekippt werden kann?

Elfe 02

In Deiner Rentenauskunft steht doch drin, welche Rentenarten Du beantragen kannst.


Ottokar

Zitat von: Gast39864 am 09. Juli 2016, 20:35:14
Auch wenn der Versicherungsverlauf an sich vorliegt, werden im Rentenantrag noch eine Menge Fragen gestellt.
Die RV hat das Verfahren schon länger geändert.
Alle Fragen die im Antrag zum Versicherungsverlauf drin stehen, müssen nur beantwortet werden, wenn die Daten der RV noch nicht vorliegen - so auch die Hinweise im Rentenantrag.
Das Fehlen von Daten vermeidet die RV aktiv durch den alle paar Jahre ergehenden Bescheid über den Versicherungsverlauf, mit dem der Versicherte gleichzeitig aufgefordert wird, den Verlauf der letzten 6 Jahre zu prüfen und fehlende oder falsche Daten der RV zu melden, und mit dem die RV auch alle Versicherungsverlaufsdaten, die länger als 6 Jahre zurückliegen, als verbindlich festlegt.
Alle im Antrag erfragten Angaben sind also entweder schon der RV bekannt, von der RV bereits als verbindlich festgelegt, oder (hinsichtlich der letzten 10 Jahre) dem JC bekannt (z.B. Angaben zur KK, Erwerbstätigkeit, Einkommen), oder können vom JC über die §§ 57 und 58 SGB II sowie §§ 67a ff SGB X von Dritten eingeholt werden.
Faktisch kann das JC damit den Rentenantrag ohne jegliche Mitwirkung des ALG II Beziehers selbst stellen.
Meine Beiträge beinhalten oder ersetzen keine anwaltliche Beratung oder Tätigkeit.
Für eine verbindliche Rechtsberatung und -vertretung suchen Sie bitte einen Anwalt auf.


Gast18959

Zitat von: Ottokar am 10. Juli 2016, 10:40:43Faktisch kann das JC damit den Rentenantrag ohne jegliche Mitwirkung des ALG II Beziehers selbst stellen.

Was aber ist, bei Widerspruch und Antrag aufschiebende Wirkung vorm SG ?

Begründung zB. - Benachteiligung wegen abgesenkter Vermögensfreibeträge in der Sozialhilfe  (Gleichbehandlungsgrundsatz)

Ottokar

Nichts.
Das BSG hat die Pflicht zur vorgezogenen Altersrente des SGB II bestätigt (B 14 AS 1/15 R).
Ausnahmen regelt die Unbilligkeitsverordnung.
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Gast18959

Zitat von: Ottokar am 10. Juli 2016, 12:56:56Nichts.
Das BSG hat die Pflicht zur vorgezogenen Altersrente des SGB II bestätigt (B 14 AS 1/15 R).

Na das ist ja wieder mal ein lustiges Urteil

Ein Gesetz verstösst also dann nicht gegen den Gleichheitssatz,
wenn durch dieses Gesetz eine Untergruppe gebildet wird,
die sich dann nicht mehr mit der ursprünglichen Gruppe vergleichen darf,
weil der Teil der bisherigen Vergleichsgruppe, der nicht von diesem Gesetz betroffen ist,
nicht von diesem Gesetz betroffen ist.

Dieser Logik kann ich nichts entgegensetzen, ausser ehrfürchtiges Erstaunen.