Sozialgericht Gotha hält Hartz IV Sanktionen für verfassungswidrig

Begonnen von Diskus, 27. Mai 2015, 15:25:32

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oldhoefi

VDK Stellungnahme an das BVerfG zum Vorlageverfahren wegen Sanktionen

Nun hat auch der VDK seine Stellungnahme im Vorlageverfahren wegen Sanktionen an das BVerfG fertig.

VDK Stellungnahme vom 13.03.2017 --> http://tinyurl.com/k334467

(Zitat und Quelle. Harald Thomé – Newsletter vom 28.03.2017)

Hexe

Harald Thomé
16 Std. ·

Ich habe mich mal hingesetzt im Kurzformat die Stellungnahmen im Vorlageverfahren wegen Sanktionen im SGB II beim BVerfG zusammengefasst:

Der DGB sieht keine Möglichkeit die Sanktionen zu rechtfertigen, weder verfassungsrechtlich, noch sozialpolitisch.

Der SoVD geht davon aus, dass sich das derzeitige Sanktionssystem als verfassungswidrig erweist.

Der VdK stellt fest, dass durch Sanktionen ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben möglich ist und es zu einer Gefährdung der physischen Existenz kommen kann. Daher sei das einfache Recht im Umfang seiner defizitären Gestaltung verfassungswidrig.

Das BSG hat im Falle von Leistungsminderungen hohe Anforderungen gestellt und darauf verwiesen, dass das BVerfG eine Verfassungsbeschwerde nicht angenommen habe.

Der BDA hält Sanktionen mit dem Grundgesetz vereinbar und sieht keinen Verstoß gegen das Recht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums. ,,Besonders bei Jugendlichen sei eine positive Wirkung der Sanktionen besonders stark". Zudem bestehen bei jungen Arbeitslosen ausreichend Sicherungsmechanismen, die stets sicherstellen, das ausreichend Mittel zur Verfügung stehen, um den Betroffenen eines menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten.

Der DPWV sieht in der Gesamtwürdigung Sanktionen als unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte der Betroffenen.

Der Deutsche Sozialgerichtstag hält eine differenzierte Betrachtung für geboten und hält an früherer uneingeschränkter Verfassungsmäßigkeit der Sanktionsregeln nicht fest. Das Grundrecht auf Unversehrtheit erfordert nicht den Verzicht auf Sanktionen, Leistungskürzungen die in das physische Existenzminimum um mehr als 30 % eingreifen, sind jedoch in der bestehenden Ausgestaltung verfassungswidrig.

Die Erlacher Höhe zeigt an einem Fall welches menschliche Leid, aber auch welche volkswirtschaftlichen Folgen die ,,elende" Sanktionspraxis auslöst und würde es daher begrüßen, wenn das BVerfG die jetzige Regelung für verfassungswidrig erklärt.

Die Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht im Deutschen Anwaltsverein hat keine Position zu den Sanktionen.
Weist aber darauf hin, dass Personen mit multiplen Vermittlungshemmnissen, Personen mit Migrationshintergrund und aus bildungsfernen Schichten, sowie psychisch Erkrankte besonders häufig sanktioniert werden. Ebenso unter-25Jährige, bei denen nach anwaltlicher Praxis eher kontraproduktiv sei und sich bei dem Personenkreis vielmehr die Haltung einstelle, dass ,,jetzt sowieso alles egal ist".

Der Deutsche Verein teilt nicht die Auffassung, dass Sanktionen ,,generell verfassungswidrig" sind. Das Existenzminimum müsse aber unangetastet bleiben und die Regelungen müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Eine Minderung um 30 % wertet der DV nicht als Eingriff in die Grundrechte. Eine Zulässigkeit der Minderung um 60 % ist fraglich, für eine verfassungskonforme Auslegung ist es erforderlich, dass dann ergänzende Sachleistungen gewährt werden. Die starre Dauer der Minderung von drei Monaten sei zudem problematisch.
Der DV hat eine sehr umfangreiche Stellungnahme, einschließlich Reformvorschlägen vorgelegt und dabei gefordert das die Minderung 30 % des Regelbedarfes nicht überschreiten darf, nicht in die KdU und Heizung gehen darf, die Sanktionsregeln flexibler ausgestaltet werden sollen, Widersprüche und Klagen gegen Minderungen aufschiebende Wirkung haben sollen, Sachleistungen von Amts wegen zu erbringen sind und die 1-Euro-Jobs aus der Liste der Sanktionstatbestände gestrichen werden sollen.

Der Deutsche Städtetag gibt keine explizite Position ab, er beschreibt aber, dass die Wirkung von Sanktionen überwiegend als positiv beschrieben wird, denn die Grundsicherung für Arbeitssuchende stelle kein bedingungsloses Grundeinkommen da. Zu den 100 % igen Sanktionen wird das Entstehen von Mietschulden befürchtet, die wiederum zum Vermittlungshemmnis werden und bis zur Wohnungslosigkeit führen können. Bei 100 % - Sanktionen kann häufig vermutet werden, dass Einkommen und Vermögen aus unbekannten Quellen vorhanden ist.

Der Deutsche Landkreistag stellt fest, dass das Grundgesetz nicht die Gewährung voraussetzungsloser Sozialleistungen erfordert. Nach Überzeugung des Landkreistag erfüllen Sanktionen eine wichtige sozialpolitische Funktion. Der LKT hält die Sanktionsregeln mit dem Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar. Im Übrigen kommen Sanktionen in der Praxis der Jobcenter eher selten vor.

Der Freistaat Thüringen stellt fest, dass Sanktionen zu teilweise erheblichen Leistungseinschränkungen führen, diese werden nicht vollständig durch Sachleistungen ausgeglichen. Daher ist die Frage, ob das vom GG garantierte menschenwürdige Existenzminimum zur Verfügung steht, grundsätzlich berechtigt. Die Landesregierung begrüst daher, dass sich das BVerfG mit dem Thema beschäftigt. Der Freistaat weißt darauf hin, dass ein Antrag des Landes auf Entschärfung im Rahmen des 9. SGB II-ÄndG keine Mehrheit gefunden hat.

Die Diakonie Deutschland stellt fest, dass das Sanktionsregime weder geeignet, noch erforderlich, noch angemessen ist. Es stellt einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf Gewährleistung des Existenzminimums dar.
Die Hessische Staatskanzlei hat keine Erkenntnisse zu den angefragten Aspekten und stellt fest, dass eine darüber hinausgehende Stellungnahme des Landesregierung nicht beabsichtigt ist.

Die Bundesagentur für Arbeit, Zentrale sieht in den Sanktionen ein wichtiges Lenkungsinstrument. Durch die Möglichkeit den Leistungsberechtigten für einen vorrübergehenden Zeitraum die Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes zu kürzen, ist es den JC MA's möglich, eine Verweigerung der Zusammenarbeit zu ahnden und den Leistungsberechtigten dadurch zur besseren Zusammenarbeit zu motivieren.
Von 2007 – 2015 wurden jährlich durchschnittlich 887.104 Sanktionen festgestellt. Im Jahr 2016 gab es über 50.805 Widersprüche, davon 17.794 vollumfängliche und 873 teilweise Stattgaben. In 29.432 Fällen wurden die Widersprüche zurückgewiesen. Die Aufhebungsquote lag bei 37 %.
Gesamtschau der Zahlen ergeben, dass die Verhängung von Sanktionsentscheidungen überwiegend den gesetzlichen Anforderungen genügen. Die Mitarbeiter der Dienststellen vor Ort arbeiten im Bereich der Sanktionen zuverlässig.
Statistische Daten zur Erbringung von Sachleistungen werden ,,leider" nicht erhoben.

Für die Bundesregierung nimmt die Anwaltskanzlei Redeker/Sellner/Dahs aus Berlin Stellung. Es bestehen gegen die Zulässigkeit der Vorlage durchgreifende Bedenken, denn das SG Gotha hätte eine im Internet speziell für den Zweck von Richtervorlagen Musterbegründung einer ,,Bürgerinitiative Grundeinkommen" nahezu wörtlich übernommen. Die Normenkontrollklage stelle keine eigenverantwortliche Überzeugsbildung dar. Dazu hat die Kanzlei Grundrechtsbriefe von Ralf Boes zitiert. Dann wird im Einzelnen dargelegt, warum nach Ansicht der Bundesregierung das Sanktionsrecht verfassungsrechtlich vertretbar ist.

Der Erwerbslosen Verein Tacheles hält Sanktionen für einen Verstoß gegen das Völkerrecht, UN-Sozialpakt, Europäische Sozialcharta, Behindertenkonvention und gegen deutsches Verfassungsrecht und ist überzeugt, dass die Auswirkungen der Sanktionen den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden und bereits geschädigt haben.

Abschließend: Die Zusammenfassung erfolgt nach besten Wissen und Gewissen, wenn sich eine Partei falsch wiedergegeben fühlt, sind wir gerne bereit eine geänderte Kurzzusammenfassung einzuspielen. Gerne veröffentlichen wir auch die vollständigen Dokumente, dann bitte zusenden.

Quelle FB Harald Thome
Ich erteile keine Rechtsberatung sondern gebe nur meine eigene Erfahrung weiter

Gast43255

Zitat von: Hexe am 19. Juni 2017, 12:57:54
Der VdK stellt fest, dass durch Sanktionen ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben möglich ist und es zu einer Gefährdung der physischen Existenz kommen kann.
Da fehlt nach meinem Dafürhalten ein "nicht" bzw. "nicht mehr" vor dem Wort "möglich".

Hexe

Ich erteile keine Rechtsberatung sondern gebe nur meine eigene Erfahrung weiter

Meck

Bundesregierung und Arbeitsagentur verteidigen Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher: Existenzminimum sei nicht das Minimum.

Acht Millionen Niedriglöhner, eine halbe Million Obdachlose, sechseinhalb Millionen Menschen im Hartz-IV-System, zunehmende Verschuldung: Wie schnell die sozialen Verwerfungen in Deutschland voranschreiten, zeigen aktuelle Statistiken und Berichte. Doch statt die Höhe der Grundsicherung unter die Lupe zu nehmen, verteidigen Bundesregierung und Bundesagentur für Arbeit (BA) die harte Sanktionspraxis der Jobcenter in Stellungnahmen an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG).


-->> https://www.jungewelt.de/artikel/313240.strafender-asozialstaat.html
Finde das grosse Glück in den kleinen Dingen des Lebens und empfinde dadurch wahre Zufriedenheit. LG Meck :bye:

Hexe

Da sollte man mal den Deutschen Sozialgerichtstag zu lesen. In den Link von mir oben.
LG Hexe
Ich erteile keine Rechtsberatung sondern gebe nur meine eigene Erfahrung weiter

Gast26342

Zitat von: Meck am 30. Juni 2017, 21:06:50Bundesregierung und Arbeitsagentur verteidigen Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher: Existenzminimum sei nicht das Minimum.
Und wo ist die Berechnung für das niedrigere Existenzminimum?

MichaK

sehr befremdlich: Das BMAS lässt eine Anwaltskanzlei eine Stellungnahme für das BVerfG abgeben?

Gast26342

Du glaubst doch nicht, dass Nahles sowas selber könnte?  :lachen:

MichaK

Zitat von: Gast26342 am 14. Juli 2017, 15:08:38
Du glaubst doch nicht, dass Nahles sowas selber könnte?  :lachen:

nö, aber genügend Juristen haben die doch im BMAS und um solche plumpen Begründungen muss man doch kein Jurist sein. Das bring ich auch noch  :grins:

AlterGaul

Das ist nicht wirklich ungewöhnlich, dass Prozesse von Behörden (je nach Instanz, Wichtigkeit und Sachwert) an Anwaltskanzleien abgegeben werden. Denn auch wenn die Behörden viele Juristen haben, muss das nicht heissen, dass diese auch eine Zulassung für die Gerichte haben. Inwieweit  man eine braucht entzieht sich meiner Kenntnis. Ein weiterer Grund für die Abgabe, ist die Spezialisierung der Anwälte auf bestimmte Fachgebiete. Die haben viel mehr Prozesserfahrung, als die Juristen in Behörden.
"The tree of liberty must be refreshed from time to time with the blood of patriots and tyrants."
Thomas Jefferson

Meph1977

Wie geht das jetzt eigentlich weiter? bzw wann ist da mit der Entscheidung zu rechnen.
Seid vorsichtig was ihr dem JC erzählt. Die machen aus nem französischen Rotwein eine rothaarige Französin und drehen euch noch eine BG mit der Französin an.

Ottokar

In der Jahresvorschau ist das Verfahren 1 BvL 7/16 beim 1. Senat des BVerfG als Nr. 25 von insgesamt 33 anhängig.
Ob tatsächlich noch in diesem Jahr eine Entscheidung erfolgt, ist offen. Allerdings darf man sicher davon ausgehen, dass das erst nach der Bundestagswahl passiert.

http://www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Verfahren/Jahresvorausschau/vs_2017/vorausschau_2017_node.html
https://dejure.org/9999,95424
Meine Beiträge beinhalten oder ersetzen keine anwaltliche Beratung oder Tätigkeit.
Für eine verbindliche Rechtsberatung und -vertretung suchen Sie bitte einen Anwalt auf.


Gast30751

Ganz ehrlich ... Der Artikel der jungen Welt den Meck gepostet hat ließt sich für mich so als würde man die Menschen dazu zwingen wollen, eine bestimmte Norm anzunehmen, um sich in der Gesellschaft zu etablieren. Also weg vom Individualismus hin zum Normmenschen ...

Gast38171

Zitat von: Gast30751 am 01. August 2017, 23:40:02Also weg vom Individualismus hin zum Normmenschen ...

Das fällt dir jetzt erst auf? Die Menschen sollen zum Großteil Marionetten der Wirtschaft werden, bis auf die Etablierten! Aber nicht nur durch die Hartz- Gesetzgebung mit eingebautem Strafrecht, da wäre dann die Digitalisierung und die Bargeldabschaffung wodurch die Menschen noch mehr überwach- und kontrollierbar werden sollen.