Postalische Erreichbarkeit ab Juli gestrichen?

Begonnen von Subkulturmann, 19. Juni 2023, 18:34:13

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Subkulturmann

Hallo und guten Abend! Was kann man sich darunter genau vorstellen?
Streichung der postalischen Erreichbarkeit ab Juli ist vorgesehen... :weisnich:

Hary

Spontan würde ich mutmaßen, dass auch ein Obdachloser ohne festen Wohnsitz nun Bürgergeld beantragen kann. Ich vermute dass es bei der Erreichbarkeit im Normalfall keine Auswirkung haben wird. Also sprich wenn du einen Wohnsitz hast, dann musst du auch weiterhin schriftlich erreichbar sein.


Greywolf08

Zitat von: Hary am 19. Juni 2023, 19:18:50Spontan würde ich mutmaßen, dass auch ein Obdachloser ohne festen Wohnsitz nun Bürgergeld beantragen kann. ...
Mutmaßung richtig.
Bisher mussten Obdachlose eine Postadresse nachweisen um Leistungen zu erhalten. Das fällt ab 1.07. weg.
Nichtsdestotrotz müssen sie für das JC erreichbar sein - und das kann eben auch telefonisch möglich sein.

Milla

.... oder aber die Mitarbeiter vom JC können auch gleich einen "Hausbesuch" machen und die Obdachlosen an den bekannten Orten aufsuchen.

Ottokar

"Streichung der postalischen Erreichbarkeit ab Juli ist vorgesehen" ist unzutreffend.
Am Erfordernis der - auch postalischen - Erreichbarkeit ändert sich nichts. Vielmehr wurde die Erreichbarkeit auch auf andere Medien ausgeweitet.
Die werktägliche postalische Erreichbarkeit ist lediglich seit 01.01.2023 rechtlich keine Anspruchsvoraussetzung für Leistungen des SGB II mehr.
Zudem kam es wegen eines Fehlers im Gesetz dazu, dass im Zeitraum 01.01. - 30.06.2023 der Aufenthalt im sog. zeit- und ortsnahen Bereich keine Anspruchsvoraussetzung war, somit auch keinen Leistungsverlust nach sich ziehen konnte.
Das ist alles.

Zitat von: Ottokar am 04. Juni 2023, 11:37:50Schon seit 2005 ist der Aufenthalt im sog. zeit- und ortsnahen Bereich Anspruchsvoraussetzung für die Leistung (ALG II/Bürgergeld).
Dies führt u.a. dazu, dass bei einer ungenehmigten Ortsabwsenheit - also einem vom JC nachzuweisenden Aufenthalt außerhalb zeit- und ortsnahen Bereiches - der Anspruch auf die Leistung für die Zeit der ungenehmigten Ortsabwesenheit entfällt.
Das ist also keineswegs neu.
Weil die bisherige Regelung infolge einer Gesetzesänderung zum 01.01.2023 entfallen war, die neue aber erst am 01.07.2023 in Kraft tritt - was der Gesetzgeber jedoch so nicht beabsichtigt hatte, sondern einfach übersehen wurde - war vom 01.01. - 30.06.2023 der Aufenthalt im sog. zeit- und ortsnahen Bereich keine Anspruchsvoraussetzung, konnte also keinen Leistungsverlust nach sich ziehen.

Ob und wie man ab dem 01.07.2023 erreichbar sein muss, ist derzeit vollkommen ungeklärt.
Der dann in Kraft tretende § 7b SGB II beinhaltet dazu keine konkrete Regelung.

§ 7b SGB II lautet wie folgt:

Zitat§ 7b Erreichbarkeit
(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten Leistungen, wenn sie erreichbar sind. Erreichbar sind erwerbsfähige Leistungsberechtigte, wenn sie sich im näheren Bereich des zuständigen Jobcenters aufhalten und werktäglich dessen Mitteilungen und Aufforderungen zur Kenntnis nehmen können. Ein Aufenthalt im näheren Bereich liegt vor, wenn es den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten möglich ist, eine Dienststelle des zuständigen Jobcenters, einen möglichen Arbeitgeber oder den Durchführungsort einer Integrationsmaßnahme im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Jobcenters in einer für den Vermittlungsprozess angemessenen Zeitspanne und ohne unzumutbaren oder die Eigenleistungsfähigkeit übersteigenden Aufwand aufzusuchen. Der nähere Bereich schließt auch einen Bereich im grenznahen Ausland ein.

(2) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die nicht erreichbar sind, erhalten nur dann Leistungen, wenn für den Aufenthalt außerhalb des näheren Bereichs ein wichtiger Grund vorliegt und das Jobcenter dem Aufenthalt außerhalb des näheren Bereichs zugestimmt hat.
Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor bei
 1. Teilnahme an einer ärztlich verordneten Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation,
 2. Teilnahme an einer Veranstaltung, die kirchlichen oder gewerkschaftlichen Zwecken dient oder im öffentlichen Interesse liegt,
 3. Aufenthalten außerhalb des näheren Bereichs, die überwiegend der Eingliederung in Ausbildung oder Arbeit dienen, oder
 4. Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit, wenn die Eingliederung in Ausbildung oder Arbeit nicht wesentlich beeinträchtigt wird.
Für Abwesenheiten außerhalb des näheren Bereichs aufgrund der Ausübung einer Erwerbstätigkeit ist abweichend von Satz 1 keine Zustimmung des Jobcenters erforderlich.

(3) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die ohne wichtigen Grund nicht erreichbar sind, erhalten Leistungen, wenn das Jobcenter dem Aufenthalt außerhalb des näheren Bereichs zugestimmt hat und die Eingliederung in Ausbildung oder Arbeit nicht wesentlich beeinträchtigt wird. Die Zustimmung zu Abwesenheiten ohne wichtigen Grund soll in der Regel für insgesamt längstens drei Wochen im Kalenderjahr erteilt werden. Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die weder arbeitslos noch erwerbstätig sind, ist die Zustimmung nach Satz 1 zu erteilen.

Der nähere Bereich des zuständigen Jobcenters ist also nach Absatz 1 dadurch gekennzeichnet, dass man in der lage ist, werktäglich Mitteilungen und Aufforderungen des JC zur Kenntnis nehmen können und im Weiteren dann das JC, einen möglichen Arbeitgeber oder eine Maßnahme "in einer für den Vermittlungsprozess angemessenen Zeitspanne und ohne unzumutbaren oder die Eigenleistungsfähigkeit übersteigenden Aufwand" aufzusuchen.
Die Art der "Mitteilungen und Aufforderungen" ist nicht definiert, erstreckt sich somit auf alle dem JC verfügbaren Kommunikationswege (Post, E-Mail, Telefon, Fax etc.), wobei dem JC die Wahl des Kommunikationsweges obliegt. Dabei gilt weiterhin, dass man dem JC weder E-Mail noch Telefonnummer angeben muss.

Arztbesuche und Pflege von Angehörigen sind imho als wichtiger Grund nach § 7b Abs. 2 S. 2 Nr. 1 SGB II anzuerkennen. Das JC muss hier einer Ortsabwesenheit zustimmen.
Die Pflege von Angehörigen ist imho hierbei der Ausübung einer Erwerbstätigkeit gleichzusetzen, da diese Pflege einer Erwerbstätigkeit lt. § 10 Abs. 1 Nr. 4 SGB II vorgeht. Damit wäre gemäß § 7b Abs. 2 S. 3 SGB II keine vorherige Zustimmung des JC erforderlich.

Man kann nur hoffen, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zum 01.07.2023 von seiner Ermächtigung gebrauch macht und Näheres dazu regelt, ansonsten sehe ich da eine Klagewelle im Anmarsch.
Meine Beiträge beinhalten oder ersetzen keine anwaltliche Beratung oder Tätigkeit.
Für eine verbindliche Rechtsberatung und -vertretung suchen Sie bitte einen Anwalt auf.


Subkulturmann

Ich wollte nur wissen, ob ich auch ab Juli per Mail und Telefon erreichbar für das Amt sein muss. Angabe Email Tel. Jetzt Pflicht?

Ottokar

Es gibt nach wie vor keine Pflicht, dem JC E-Mail Adresse oder Telefonnummer zu geben.
Hat das JC diese, bedeutet es auch nicht, dass man für das JC rund um die Uhr per E-Mail oder Telefon erreichbar sein muss.
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