Jobcenter, ÄD und Schweigepflicht – Was ist wirklich verpflichtend?

Begonnen von Kando, 30. März 2025, 14:43:38

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Kando

Hallo zusammen,

ich lese hier schon länger mit und hole mir gelegentlich Informationen. Nun brauche ich aber euren Rat, da die Situation immer weiter ausufert und sich wohl auch die Gesetzeslage geändert hat.

Ich bin seit Jahren Beistand einer Frau, die Leistungen vom Jobcenter bezieht. Im Jobcenter ging es oft hitzig zu, mit unsachlichen Sachbearbeitern, Beschimpfungen und Wutausbrüchen. Was hier über die Jahre passiert ist, klingt so unglaublich, dass ich es manchmal selbst nicht glauben kann.

Letztendlich gab es 46 Klagen vor dem Sozialgericht – 44 davon wurden gewonnen.

Psychische Belastung und fragwürdiges Verhalten des ÄD

Die Frau entwickelte im Laufe der Zeit psychische Probleme und hatte große Angst vor dem Jobcenter. Sie wurde über Jahre hinweg krankgeschrieben, doch das Jobcenter setzte sie immer wieder unter Druck – bis ein Anwalt und ein Richter eingriffen und das Jobcenter rügten. Danach war sie sieben Jahre durchgehend arbeitsunfähig.

In dieser Zeit wurde sie einmal zum Ärztlichen Dienst (ÄD) eingeladen. Ich war als Beistand nicht dabei. Ich dachte, der ÄD sei "normal" drauf. Nach dem Termin rief sie mich völlig aufgelöst an. Der Arzt hatte sie nicht etwa zu ihrer Gesundheit befragt, sondern wollte wissen, ob sie mit mir eine sexuelle Beziehung hat und warum ich heute nicht anwesend sei "Der hockt doch sonst immer mit dabei". Er hielt ihr einen Klebezettel vor, auf dem Handschriftlich stand, dass der Sachbearbeiter wissen wolle, ob ich ihr Lebensgefährte bin und ob wir miteinander schlafen.

Sie verneinte das.

Ich war zu dieser Zeit auch für andere Personen als Beistand tätig.

Die Sache wurde zur Anzeige gebracht, doch der Arzt bestritt die Vorwürfe. Bis heute wird die Herausgabe der Akte verweigert, sodass unklar ist, ob ein entsprechender Vermerk vom Sachbearbeiter oder vom Arzt existiert. Der Anwalt, der den Fall betreute, hat mittlerweile aufgegeben – er sagte, so etwas habe er noch nie erlebt.

Wiedereinstieg in den Job und neue Probleme


Nach Jahren der Untätigkeit seitens des Jobcenters erhielt sie irgendwann ein Jobangebot. Sie entschied sich, mit ihrem Arzt einen Versuch zu wagen, um aus diesem tristen Loch herauszukommen. Der Arzt war zunächst der Meinung, dass er nicht länger als vier Wochen krankschreiben dürfe, da er sonst Ärger bekäme – auch hier musste ich eingreifen, weil er einfach falsche Informationen hatte.

Letztendlich arbeitet sie seit zwei Jahren in einem Minijob und ist froh darüber.

Nun hat sie einen neuen Sachbearbeiter bekommen und wird von Terminen überhäuft. Ich war wieder als Beistand dabei. Der Sachbearbeiter meinte:

"Sie waren jetzt so lange krank, ich schicke Sie erst mal zum ÄD, um zu sehen, wie krank Sie noch sind."

Er überreichte ihr einen "Ärztlichen Fragebogen" und eine "Schweigepflichtentbindung" und fragte, ob sie damit einverstanden sei.

Ich fragte ihn, worauf er die Annahme stützt, dass noch gesundheitliche Einschränkungen bestehen (Seit 2 Jahren ohne AU). Seine Antwort war lediglich, dass er das nun veranlasse – und es wurde im Kooperationsplan festgehalten.

Er drohte sofort mit einer Leistungseinstellung, falls sie sich verweigert.

Ich sagte ihm, dass er einen Termin beim ÄD machen solle, damit die relevanten Unterlagen dort persönlich übergeben werden können. Daraufhin meinte er, dass dies nicht mehr so gehandhabt werde – der ÄD hole sich nun selbst alle Unterlagen von den Ärzten und entscheide nach Aktenlage.

Meine Fragen an euch


Da ich einige Jahre aus diesen Themen raus war, habe ich die aktuellen Regelungen nicht mitbekommen. Daher frage ich euch:

  •     Muss man den Ärztlichen Fragebogen zwingend ausfüllen?
  •     Ist eine Schweigepflichtentbindung mittlerweile Pflicht?

Früher habe ich dem ÄD immer mitgeteilt, dass die Untersuchung nicht verweigert wird, der Arzt jedoch selbst die notwendigen Untersuchungen vornehmen muss. Befunde und Arztbriefe wurden ausgedruckt, aber private Passagen geschwärzt. So hat es jahrelang funktioniert.

Muss man jetzt wirklich komplett die Hosen runterlassen?

Den Ärztlichen Fragebogen könnte ich eventuell akzeptieren, wenn man dort nur die relevanten Erkrankungen einträgt. Aber eine Schweigepflichtentbindung? Die wird es definitiv nicht geben – schon gar nicht für einen Arzt, der solche Fragen stellt und mit hoher Wahrscheinlichkeit Diagnosen einfach am Telefon mit dem Sachbearbeiter bespricht.

Bin gespannt auf eure Einschätzungen.

LG

Lockenstab

Ich war im September 24 beim ÄD, unterlagentechnisch hat sich nichts geändert, zum Termin mitnehmen reicht völlig. Was dann eine Schweigepflichtsentbindung dann ja auch überflüssig macht. Mir riet meine erste FM dazu darauf zu bestehen das es ein Arzt im Arbeitsamt selbst ist, da landet man dann zumindest beim richtigen Facharzt. Ich sollte damals orthopädisch untersucht werden und saß beim Kardiologen deswegen.

Ob der Termin eim ÄD überhaupt rechtens ist ist hier eher die Frage, oder bestehen Einschränkungen mehr Std zu arbeiten?

Ich war überrascht von meiner Ärztin, weil sie sich erst mal bedankte das ich überhaupt erschienen bin, und zum Schluss meinte sie das sie befürwortet das so bleibt wie es ist, den in meiner Situation müsste ich überhaupt nicht mehr arbeiten, und dass findet sie bewundernswert.  Also es gibt auch noch Menschen in dem Laden.

Ach ja die Schweigepflichtsentbindung geht ja auch direkt an den Arzt und nicht an den SB, der hat mit nem Arzt überhaupt nicht zu reden.

Ob das jetzt hilfreich war weis ich nicht wünscher deiner Betreuten alles liebe.
meist ist alles eine Frage der Argumentation!

Kopfbahnhof

Zitat von: Kando am 30. März 2025, 14:43:38Aber eine Schweigepflichtentbindung?
Ist IMMER freiwillig!

Niemals kann es eine Sanktion geben, wenn man diese komplett verweigert.

Ob das am Ende sinnvoll ist, kommt auf den Fall an.
Zumindest kann man aber auch bestimmte Ärzte davon rausnehmen.

Zitat von: Kando am 30. März 2025, 14:43:38In dieser Zeit wurde sie einmal zum Ärztlichen Dienst (ÄD) eingeladen
Zitat von: Kando am 30. März 2025, 14:43:38und warum ich heute nicht anwesend sei "Der hockt doch sonst immer mit dabei"
Irgendwas kann hier nicht stimmen.

Zitat von: Kando am 30. März 2025, 14:43:38Er hielt ihr einen Klebezettel vor, auf dem Handschriftlich stand, dass der Sachbearbeiter wissen wolle, ob ich ihr Lebensgefährte bin und ob wir miteinander schlafen.
Fragt der Arzt??


Kando

Zitat von: Kopfbahnhof am 30. März 2025, 17:42:58Irgendwas kann hier nicht stimmen.

Sie wurde innerhalb dieser sieben Jahre einmal zum Ärztlichen Dienst (ÄD) eingeladen. Ausgerechnet an diesem Termin war ich ausnahmsweise nicht als Beistand dabei. Ich dachte der ÄD wäre neutral und nicht so eingestellt wie die SBs in den JC.

Der Arzt fragte direkt, wo ich sei. Offenbar steht in den Akten etwas wie ,,taucht immer mit Beistand auf" – also irgendein abfälliger Vermerk über mich. Der Termin eskalierte dann auch, weil der Arzt plötzlich sehr private Fragen stellte.

Der Sachbearbeiter besteht aktuell auf dem ärztlichen Fragebogen. Wir haben das heute noch einmal besprochen und werden den Bogen direkt dem ÄD zukommen lassen – nicht unterschrieben. Denn im Formular steht sinngemäß, dass mit Unterschrift automatisch alle behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden werden.

Wir legen ein kurzes Anschreiben bei, in dem steht, dass ein Termin beim ÄD gewünscht wird und dort alle relevanten medizinischen Unterlagen persönlich vorgelegt werden.

Ich denke, damit sind wir rechtlich auf der sicheren Seite – oder wie seht ihr das?

Kopfbahnhof

Zitat von: Kando am 30. März 2025, 18:04:50Denn im Formular steht sinngemäß, dass mit Unterschrift automatisch alle behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden werden.
Dann würde ich es gar nicht abgeben.

Jeder Arzt muss einzeln davon entbunden werden.
Das kann man dann auch beim ÄD so angeben, welcher Arzt überhaupt davon entbunden werden soll.

oldtom

Naja... schlagt mich ... aber ich denke das läuft schon unter Mitwirkungspflicht. Allerdings nur gegenüber dem Arzt... nur dumm, wenn die dann intern nicht nach den Regeln spielen. Wovon ich ausgehe...  Das sind dann halt immer Einzelfälle, die nie ein Gesamtbild ergeben, weil niemand nachschaut.

Kopfbahnhof

Zitat von: oldtom am 30. März 2025, 21:27:47aber ich denke das läuft schon unter Mitwirkungspflicht
Aber nicht die Entbindung von der Schweigepflicht.

Die Mitwirkung beim Ä.D. dann schon.

Fettnäpfchen

Kando

Zitat von: Kando am 30. März 2025, 14:43:38Muss man den Ärztlichen Fragebogen zwingend ausfüllen? Ist eine Schweigepflichtentbindung mittlerweile Pflicht?
Da gab es vor Jahren eine Änderung. Zwar läuft es noch unter "Freiwilligkeit" aber das JC hat jetzt die Möglichkeit unter fehlender Mitwirkung die Leistungen einzustellen.
Steht im Praxisleitfaden im Anhang!

Zitat von: Kando am 30. März 2025, 18:04:50Wir haben das heute noch einmal besprochen und werden den Bogen direkt dem ÄD zukommen lassen – nicht unterschrieben. Denn im Formular steht sinngemäß, dass mit Unterschrift automatisch alle behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden werden.
Ich gehe davon aus das es eine SPE ist die zum Vorteil des JC ist. Du kannst aber jederzeit eine rechtlich korrekte für dich wesentl. bessere (SPE) Schweigepflichtsentbindung für den Amtsarzt nehmen. Da steht auch dabei dass:
Zitat von: Kopfbahnhof am 30. März 2025, 18:27:58Jeder Arzt muss einzeln davon entbunden werden.
genauso wie jede Institution falls involviert.

Zitat von: Kando am 30. März 2025, 14:43:38Letztendlich gab es 46 Klagen vor dem Sozialgericht – 44 davon wurden gewonnen.
Könnte mein JC sein  :mocking:
und nach einer Rüge eines Richters habe ich auch meine komplette Ruhe.
Zitat von: Kando am 30. März 2025, 14:43:38sodass unklar ist, ob ein entsprechender Vermerk vom Sachbearbeiter oder vom Arzt existiert.
Vllt. mal Akteneinsicht nach den Regeln der DSGVO beantragen.
Den entsprechenden § habe ich mir nie gemerkt. Dürfte aber von anderen Usern kommen wenn die das lesenoder einfach mal googeln oder mit dem Datenschutz telefonieren.

Der einzige Vorteil:
im Moment kann das JC deiner Bekannten gar nichts mehr was mit Vermittlungsvorschlägen, Maßnahmen oder so Zeug zu tun hat verlangen oder unter Druck setzen.

Zitat von: Kando am 30. März 2025, 14:43:38Er hielt ihr einen Klebezettel vor, auf dem Handschriftlich stand, dass der Sachbearbeiter wissen wolle, ob ich ihr Lebensgefährte bin und ob wir miteinander schlafen.
Selbst wenn es so wäre kann das JC nichts damit anfangen. Selbst für den Verdacht einer VuE ist der Beischlaf egal da geht es um Einstehen und Verantwortung und nicht um Matratzensport.

MfG FN
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