Gegen Widerspruchsbescheid klagen bei BG/HG

Begonnen von PetraL, 11. Juli 2022, 14:17:23

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PetraL

Hallo, ihr Lieben, ich habe noch eine Frage zum Klageweg gegen Widerspruchsbescheide:
Nachdem meine erste Klage auf volle Übernahme der Heizkosten nun seit gut 2,5 Jahren läuft, ist dem Jobcenter nun etwas Neues als Erwiderung eingefallen:

"Abschließend ist festgestellt, dass unbeachtlich sämtlicher benannter Punkte die Klage nicht vollumfänglich erfolgreich sein kann. Beteiligter dieses Klageverfahrens ist auf Klägerseite lediglich Frau xxx. Die Heizkosten wären jedoch kopfanteilig auf die Klägerin und Ihre Tochter aufzuteilen. Die begehrte vollständige Übernahme der Heizkostennachzah- lung durch den Beklagten kann die Klägerin daher in diesem Verfahren nicht erstreiten."

Frage: Ist da was dran? Hätte meine Tochter als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft (zeitweise Haushaltsgemeinschaft) separat klagen müssen? (es geht um die monatlichen Heizkosten sowie mindestens 1 Heizkostennachzahlung(en) )
Hätte das mein/unser Rechtsanwalt nicht wissen müssen?
Ist doch wohl logisch, dass wir nicht nur meine Hälfte der Heizkosten haben möchten - was können wir jetzt tun?
Den Anwalt versuche ich seit dem (15.06.22) zu erreichen (telefonisch und per Email), heute habe ich endlich erfahren, dass er noch in Urlaub ist - das raubt mir aber jetzt schon die ganze Zeit den Schlaf und jeden Appetit und ich bin mit den Nerven ziemlich runter ...  :sad:

Wer kann mir dazu was sagen und ggf. raten, ob und wie wir da jetzt noch "die Kuh vom Eis" bekommen? Ich muss leider das meiste für den RA vordenken und -schreiben ...  :nea:

Vielen lieben Dank für eure Mühe.

OLD-MAN

Petra, da das Klageverfahren nun seit gut 2,5 Jahre läuft, solltest du dich ausschießlich und auch weiterhin nur vom Rechtsanwalt vertreten lassen.

Hier wirst du wahscheinlich nur viele verschiedenen Meinungen hören, die dich "unterm Strich" nur besorgter machen, statt dich zu beruhigen.

Kennste doch ...."viele Köche verderben den Brei"!


Flip

Ist die Tochter volljährig? Wen hat der Anwalt in der Klage als Kläger benannt? Nur dich? ALG2 ist ein Individualanspruch. Klageerhebung ist auch nicht mehr von der Vertretungsvermutung des § 38 SGB II umfasst. Das heißt, der Anwalt hätte für euch beide als Mandantenmehrheit Klage erheben müssen.

Natürlich hätte der Anwalt das wissen müssen. Ist er Fachanwalt für Sozialrecht?

Ratlos

Wie wäre es mit einem ergänzenden Sachvortrag oder einer Klageänderung oder Klageerweiterung die in1. Instanz immer zulässig ist? 
Für Prozesshandlungen gilt die Auslegungsregel des § 133 BGB
Jaja die Anwälte sind auch nicht alle das was sie mal waren :grins:

Flip

Zitat von: Ratlos am 11. Juli 2022, 14:35:48Wie wäre es mit einem ergänzenden Sachvortrag oder einer Klageänderung? 


Das JC wird keiner Klageänderung zustimmen, nur damit der Anwalt enthaftet wird. Einem Anwalt muss man zutrauen, dass er weiß, was er tut.


PetraL

Zitat von: Flip am 11. Juli 2022, 14:25:04Ist die Tochter volljährig? Wen hat der Anwalt in der Klage als Kläger benannt? Nur dich? ALG2 ist ein Individualanspruch. Klageerhebung ist auch nicht mehr von der Vertretungsvermutung des § 38 SGB II umfasst. Das heißt, der Anwalt hätte für euch beide als Mandantenmehrheit Klage erheben müssen.

Natürlich hätte der Anwalt das wissen müssen. Ist er Fachanwalt für Sozialrecht?
1. Ja
2. Ja
3. Ja - hätte, hätte, Fahrradkette  :sad:
4. Keine Ahnung - glaube aber nicht. Fachanwälte für Sozialrecht - zumindest laut Suchergebnissen im Internet - gibt's hier gar keine, er taucht da (manchmal - je nach Suche) auf.

P.S.:
Zitat von: OLD-MAN am 11. Juli 2022, 14:22:55Petra, da das Klageverfahren nun seit gut 2,5 Jahre läuft, solltest du dich ausschießlich und auch weiterhin nur vom Rechtsanwalt vertreten lassen.
Würde ich ja auch gerne - nur 1. antwortet er so gut wie nie auf meine Fragen und 2. muss ICH ihm die Argumente und Fragen liefern ...
Und jetzt?

P.P.S.:
Zitat von: Ratlos am 11. Juli 2022, 14:35:48Für Prozesshandlungen gilt die Auslegungsregel des § 133 BGB
Wie kann uns das helfen?  :weisnich:

Zitat von: Flip am 11. Juli 2022, 14:43:04Einem Anwalt muss man zutrauen, dass er weiß, was er tut.
Jaaa ... sollte man meinen! Dachte ich ja auch - bis ich diesen Absatz gelesen habe. Der Rest von dieser Stellungnahme des JC ist auch ziemlich ... äh ... "unzutreffend", deshalb dachte ich, das könnte ja evtl. genauso Bullshit sein ...

P.P.P.S.:
Zitat von: Flip am 11. Juli 2022, 14:51:53Nichts "und jetzt". Es geht demnach in der Klage nur um deinen Individualanspruch. Und das sind wohl 50% der HK-Nachzahlung.
Es geht nicht nur um 1 oder mehrere HK-Nachzahlungen, sondern um die gesamten Heizkosten von ca. 3 Jahren - das ist für uns richtig, richtig, richtig viel Geld !!  :schock:  :weisnich:  :schock:  :weisnich:  :schock:  :weisnich:  :schock:  :weisnich:  :schock:  :weisnich:

Flip

ZitatUnd jetzt?

Nichts "und jetzt". Es geht demnach in der Klage nur um deinen Individualanspruch. Und das sind wohl 50% der HK-Nachzahlung.

Es sei denn, sie hat zur Zeit der Fälligkeit der Nachzahlung nicht bei dir gewohnt.




Ratlos

Zitat von: Flip am 11. Juli 2022, 14:43:04Das JC wird keiner Klageänderung zustimmen, nur damit der Anwalt enthaftet wird.
Das JC hat keinen Einfluss auf die Klageerweiterung der Klägerin. Erweiterung ist in 1. Instanz immer zulässig.
Nicht vergessen die Willensauslegung nach § 133
Bei Fehlverhalten eines RA - wenn dadurch materieller Schaden entsteht - gibts die Anwaltshaftung die aber an recht kurze Fristen gebunden ist.

Werden die monatlichen Heizkosten getrennt (halbe : halbe) bezahlt oder in 1 Summe? was zu vermuten ist

Flip

Lies § 99 SGG. Es bedarf der Zustimmung der anderen Beteiligten oder der Richter muss es für sachdienlich halten. Letzteres wird aber angesichts der Rechtsprechung des BSG zu § 38 SGB II nicht geschehen. Im Übrigen hätte das innerhalb der Klagefrist erfolgen müssen:

https://openjur.de/u/673995.html

Zitat1. Die Bestimmung der Person des Kläger oder der Kläger ist grundsätzlich im Wege der Auslegung zu ermitteln.

2. Anders als im Widerspruchsverfahren (insoweit Anschluss an BSG vom 27.9.2011 - B 4 AS 155/10 R = SozR 4-1935 § 7 Nr 1, RdNr 14) gilt für das Klageverfahren durch § 38 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB 2) keine Vermutung der Bevollmächtigung eines Leistungsberechtigten, auch hinsichtlich der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft Klage zu erheben.

3. Die Auslegung von Klageanträgen erfolgt nach dem Meistbegünstigungsprinzip (vgl nur BSG vom 27.9.2011 - B 4 AS 160/10 R = SozR 4-4200 § 26 Nr 2, RdNr 14 mwN). Dieser Grundsatz erstreckt sich aber regelmäßig nur auf die Antragsauslegung, nicht aber die Bestimmung der Kläger. Diese müssen sich vielmehr der konkreten Klageschrift entnehmen lassen. Etwas anderes ergibt sich für nach dem 30.6.2007 erhobene Klagen auch nicht mehr aus der Rechtsprechung des BSG (vgl Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R = BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1), mit welcher eine Erweiterung des Meistbegünstigungsprinzips auch für die Auslegung, welche Personen überhaupt Klage erhoben haben, erfolgte. Diese Erweiterung des Meistbegünstigungsprinzips galt nur für die Übergangszeit bis 30.6.2007. Bei den nach diesem Zeitpunkt erfolgten Klagen (maßgeblich: Antragszeitpunkt) sind wiederum die gewöhnlichen Auslegungskriterien anzusetzen.

4. Auch wenn das das Sozialgericht nach § 99 SGG die subjektive Klageerweiterung für sachdienlich gehalten oder aber der Beklagte der Klageänderung zugestimmt hat, müssen die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen (wie zB die Wahrung der Klagefrist), die auch das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen hat, vorliegen. Die Beteiligten können über deren Vorliegen nicht disponieren.

http://www.sozialgerichtsbarkeit.de/legacy/182143

ZitatEine erweiternde Auslegung der vom Kläger im eigenen Namen erhobenen Klage im Sinne einer Klage (auch) für seine Ehefrau und die beiden minderjährigen Kinder ist auch und gerade unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes - nicht möglich. Nach dem im Bereich des Arbeitsförderungsrecht entwickelten Meistbegünstigungsgrundsatz ist ein Klageantrag, unabhängig von seinem Wortlaut unter Berücksichtigung des wirklichen Willens so auszulegen, dass das Begehren des Klägers möglichst weitgehend zum Tragen kommt (vgl. BSG, Urteil vom 27. September 2011 B 4 AS 160/10 R m. w. N.; BSG, Urteil vom 10. März 1997 - 7 RAr 38/93 - SozR 3-4100 § 104 Nr. 11; BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 1; BSG, Urteil vom 24. April 2015 - B 4 AS 22/14 R - SozR 4-4200 § 11 Nr. 71). Dieser Grundsatz erstreckt sich aber regelmäßig nur auf die Antragsauslegung, nicht auf die Bestimmung des/der Kläger. Diese müssen sich vielmehr der Klageschrift eindeutig entnehmen lassen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Klageschrift von einem Rechtskundigen - wie im vorliegenden Fall durch einen Rechtsanwalt - verfasst worden ist. 

http://www.sozialgerichtsbarkeit.de/legacy/191767

ZitatSoweit mit der Berufung auch die Klägerinnen höhere Leistungen für sich selbst begehren sollten, wäre eine hierin liegende Klageänderung (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 99 Abs. 1 SGG) unzulässig, da es insofern an den allgemeinen Prozessvoraussetzungen fehlen würde: Der angefochtene Widerspruchsbescheid ist mangels entsprechender, fristgerechter Klage ihnen gegenüber bestandskräftig (§ 87 SGG). Selbiges würde für einen etwaigen Parteiwechsel in Bezug auf B gelten.


Ratlos

Zitat von: Flip am 11. Juli 2022, 15:16:18ist ein Klageantrag, unabhängig von seinem Wortlaut unter Berücksichtigung des wirklichen Willens so auszulegen, dass das Begehren des Klägers möglichst weitgehend zum Tragen kommt
Da steht es doch - und so habe ich es geschrieben siehe § 133 und Klägerwille ist natürlich die gesamte Zahlung.

Alternativ kann ja die Tochter immer noch einen eigenen Klageantrag einreichen. Dann werden beide Klagen auch zu einer zusammengefasst. Aber den gleichen Anwalt würde ich nicht beauftragen - vor allem kann sie sich ja selber vor dem SG vertreten, zusammen mit ihrer Mutter

Flip

Liest du auch mal ganz? Es geht weiter:

ZitatDieser Grundsatz erstreckt sich aber regelmäßig nur auf die Antragsauslegung, nicht auf die Bestimmung des/der Kläger. 

Und dass es, wenn überhaupt, in der Klagefrist sein muss, blendest du auch noch aus!

Nochmal: es ist keine Klageerweiterung mehr möglich!

ZitatAlternativ kann ja die Tochter immer noch einen eigenen Klageantrag einreichen.
.

Nein, nein und nochmal nein, da die Klagefrist abgelaufen ist!

Vielleicht verstehst du es ja anhand dieser Entscheidung:

http://www.sozialgerichtsbarkeit.de/legacy/180986

ZitatAus denselben Gründen kann der Kläger zu 1 den Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 2012 nicht mit Erfolg anfechten. Auch gegen diesen Widerspruchsbescheid hat allein seine Mutter am 13. März 2012 Klage erhoben. In der Klageschrift heißt es: "Klage der Frau E. " bzw "Namens und im Auftrage der Klägerin erhebe ich Klage" und in der Klagebegründung "Der Mehrbedarf für das Kind F. ist der Klägerin zuzusprechen ... Die beantragte Leistung steht der Klägerin zu." Auch hier ist nur die Auslegung möglich, dass Klägerin des Verfahrens allein die Mutter des Kläger zu 1 sein sollte, die einmonatige Klagefrist war auch in diesem Klageverfahren am 23. Mai 2012 bereits überschritten.

Ratlos

Zitat von: Flip am 11. Juli 2022, 15:31:41Nein, nein und nochmal nein, da die Klagefrist abgelaufen ist!
Auah Sch.... im Eingangsthread 1. Satz steht Widerspruchsbescheide also Mehrzahl, d.h. die Tochter hat auch einen Bescheid erhalten. Für den kann sie dann aber doch noch einen Überprüfungsbescheid verlangen oder nicht?
Dann geht freilich nichts mehr.
Ich lese künftig sorgfältiger.

PetraL

Also heißt das, dass wir die Hälfte des Geldes (also ca. 3.500 Euro, hier geht es insgesamt um überschlagsweise ca. 7.000 Euro!!!) in den Kamin schreiben müssen?????  :schock:
Nur, weil der RA einen Formfehler bei der Klageerhebung gemacht hat ????  :wand:
Keine nachträgliche Erklärung o.ä. meiner Tochter möglich oder sonst irgendwas?????  :schock:

P.S.:
Zitat von: Ratlos am 11. Juli 2022, 15:49:41d.h. die Tochter hat auch einen Bescheid erhalten.
NEIN. Meine Tochter hat nie einen Bescheid bekommen, immer nur ich, als Vertreterin der BG.
Bescheide Mehrzahl, weil für ca. 3 Jahre, jedes halbe Jahr 1, plus Heizkostennachzahlung(en), also min. 7 Bescheide.
Gegen jeden Bescheid habe ich entsprechend Rechtsmittel = Widerspruch eingelegt.
Gegen jeden ablehnenden Widerspruchsbescheid habe ich entsprechend Rechtsmittel = Klage eingereicht.

Ratlos

Wenn @ Flip recht hat, was offensichtlich ist, musst du ganz schnell die Anwaltshaftung aktivieren.
Die Fristen hierfür sind kurz

Flip

ZitatAuah Sch.... im Eingangsthread 1. Satz steht Widerspruchsbescheide also Mehrzahl, d.h. die Tochter hat auch einen Bescheid erhalten. 

Glaube ich nicht. Es sind anscheinend mehrere Nachzahlungen, also wohl ein WSB pro Ablehnung der Nachzahlung.

ZitatFür den kann sie dann aber doch noch einen Überprüfungsbescheid verlangen oder nicht?

Auch da gibt es Fristen und zwar 1 Jahr. Ü-Anträge, die eine Nachzahlung erreichen sollen, gehen daher nur rückwirkend bis 01.01.2021.

ZitatAlso heißt das, dass wir die Hälfte des Geldes (also ca. 3.500 Euro, hier geht es insgesamt um überschlagsweise ca. 7.000 Euro!!!) in den Kamin schreiben müssen?????  :schock:

Das weiß ich nicht, weil du die Frage, ob deine Tochter jeweils zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Nachzahlung(en) bei dir gewohnt hat, nicht beantwortest.

Ansonsten steht dir natürlich zu, Schadensersatz gegen den Anwalt geltend zu machen.