EuGH-Urteil: EU-Ausländer haben keinen Anspruch auf Hartz IV

Begonnen von Meck, 15. September 2015, 11:03:35

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Meck

Deutschland darf arbeitslosen Zuwanderern aus EU-Staaten Hartz-IV-Leistungen verweigern, auch wenn sie bereits eine gewisse Zeit hierzulande gearbeitet haben. Der Ausschluss von Sozialleistungen verstoße nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot, entschied der Europäische Gerichtshof (Rechtssache C-67/14).

Damit bestätigten die Richter die gesetzlichen Regelungen in Deutschland. In ihrem Urteil kommen sie zu dem Schluss, dass die Staaten auch nicht den Einzelfall prüfen müssten, da bereits im Gesetz die persönlichen Umstände der Antragsteller berücksichtigt würden.

In Deutschland gilt, dass EU-Ausländer in den ersten drei Monaten grundsätzlich keine Sozialleistungen erhalten. Wer mindestens ein Jahr gearbeitet hat, hat dagegen denselben Anspruch wie Deutsche. Kann keine zwölfmonatige Beschäftigung nachgewiesen werden, geht der Anspruch auf Sozialleistungen nach sechs Monaten automatisch verloren.


-->> http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-09/hartz-iv-eugh-entscheidung-eu-auslaender




Sozialleistungen für arbeitsuchende Unionsbürger.

Der EuGH hat entschieden, dass ein Mitgliedstaat Unionsbürger, die in diesen Staat zur Arbeitsuche einreisen, von bestimmten beitragsunabhängigen Sozialleistungen ausschließen kann.

Ausländer, die nach Deutschland kommen, um Sozialhilfe zu erhalten, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, erhalten keine Leistungen der deutschen Grundsicherung. Im Urteil Dano (EuGH, Urt. v. 11.11.2014 - C-333/13) hat der EuGH unlängst festgestellt, dass ein solcher Ausschluss bei Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, die in einen anderen Mitgliedstaat einreisen, ohne dort Arbeit suchen zu wollen, zulässig ist.


-->> http://www.juris.de/jportal/portal/t/1tkj/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA150902033&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp




Gerichtshof der Europäischen Union - Pressemitteilung: http://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2015-09/cp150101de.pdf

Rechtsprechung - Anhängiges Verfahren: https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Text=C%20-%2067/14
LG Meck :bye:

Gast25563

Ich habe das Urteil nicht gelesen - so zusammengefasst heißt das doch aber, dass zum Beispiel ein Italiener, der in den 80ern hergekommen ist und die Staatsbürgerschaft nicht gewechselt hat, keinen Anspruch auf ALG2 hat, auch wenn er hier die letzten 30 Jahre (minus 1 mit ALG1) gearbeitet hat?

Gast18959

Zitat von: Gast25563 am 15. September 2015, 12:24:57so zusammengefasst heißt das doch aber, dass zum Beispiel ein Italiener, der in den 80ern hergekommen ist und die Staatsbürgerschaft nicht gewechselt hat, keinen Anspruch auf ALG2 hat, auch wenn er hier die letzten 30 Jahre (minus 1 mit ALG1) gearbeitet hat?



Zitat von: Meck am 15. September 2015, 11:03:35Wer mindestens ein Jahr gearbeitet hat, hat dagegen denselben Anspruch wie Deutsche.

Gast25563

Zitat von: Meck am 15. September 2015, 11:03:35grundsätzlich keine Sozialleistungen erhalten. Wer mindestens ein Jahr gearbeitet hat, hat dagegen denselben Anspruch wie Deutsche.
mmmmmh
Hatte gedacht, das eine Jahr bezieht sich auf die Versicherung. Danke.

Gast18959

Zitat von: Gast25563 am 15. September 2015, 18:11:16Hatte gedacht, das eine Jahr bezieht sich auf die Versicherung.

Das ist auch so.
Hat sich der "Unioner" einen Anspruch auf ALG 1 erarbeitet, hat er nach derzeitiger Rechtslage auch Anspruch auf beitragsfreie Sozialleistungen.

Meck

Der Europäische Gerichtshof stellt klar: Deutschland darf auch EU-Ausländern Sozialleistungen verweigern. Aber manchen zumindest nicht immer. Eine Analyse.

Die Rechtsfindung vollzieht sich in Europa im Schneckentempo. Und ist sie in einer Frage erst einmal zur Vollendung gereift, ist das Ergebnis selten übersichtlich. Daran wird man an diesem Dienstag wieder einmal erinnert, denn der Europäische Gerichtshof hat gerade sein Grundsatzurteil in Sachen ,,Alimanovic" verkündet. Es geht um die Frage, ob arbeitslose EU-Bürger hier in Deutschland Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben, umgangssprachlich gerne ,,Hartz IV" genannt. Das ist genau die Frage, die so lange die Gemüter bewegte – allerdings vor mittlerweile zwei Jahren und damit lange, bevor die Flüchtlinge nach Europa strömten wie jetzt gerade.


Weiter unter -->> http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/eugh-urteil-zum-hartz-iv-fuer-eu-buerger-eine-analyse-13804193.html




EuGH-Urteil zu Sozialleistungen für EU-Bürger: Warum Deutschland Hartz IV verweigern darf.

Deutschland darf zugewanderten EU-Bürgern auf Jobsuche Hartz IV verweigern. Das hat der EuGH entschieden. ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam erklärt das Urteil, die Vorgeschichte und warum der Fall noch nicht endgültig entschieden ist.

Worum geht es?

Ein wichtiger Grundpfeiler der Europäischen Verträge war schon immer die sogenannte "Arbeitnehmerfreizügigkeit" - also das Recht für EU-Bürger - in anderen EU-Staaten Arbeit zu suchen und zu finden. 2007 sind Rumänien und Bulgarien der EU beigetreten. Für die ersten sieben Jahre war geregelt worden, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Richtung Deutschland für diese beiden Länder noch nicht gilt.

Seit Anfang 2014 hat sich das geändert. Es gibt es keine Einschränkungen mehr. Zum Thema "Arbeitssuche" gehört auch die Folgefrage: Wovon leben, wenn es nicht klappt? Deutschland ist ein Sozialstaat, der verpflichtet ist, für seine Bürger ein Mindestmaß an finanzieller Sorge zu tragen.


Weiter lesen unter -->> http://www.tagesschau.de/inland/faq-hartzvier-auslaender-101.html
LG Meck :bye:

oldhoefi

EuGH - Leistungsausschluss von Unionsbürgern

EuGH bestätigt restriktive BRD Politik: Ein Mitgliedstaat kann Unionsbürger, die in diesen Staat zur Arbeitsuche einreisen, von bestimmten beitragsunabhängigen Sozialleistungen ausschließen.

Damit wäre eigentlich alles klar, im Ergebnis ist weiterhin nichts sehr viel klarer, außer dass der EuGH eine harte Linie gegen Arbeitsmigranten aus der EU fährt. Hier wird jetzt das BVerfG zu klären haben, ob es der Auffassung ist, dass das EuGH-Urteil mit seiner Rechtsprechung und dem Grundrecht auf Existenzsicherung kompatibel ist.

Pressemitteilung des EuGH vom 15.09.2015 --> [Anm. von mir: Link siehe Eingangsbeitrag]

Sehr kritischer Artikel in der Legal Tribune Online (LTO) dazu --> http://tinyurl.com/odg2old

Ich denke es wird bald eine ,,Arbeitshilfe" geben, aus der die Details für die Sozialberatung ersichtlich werden.

(Zitat und Quelle: Harald Thomé – Newsletter vom 21.09.2015)

Gast37751

Zitat von: oldhoefi am 21. September 2015, 21:31:47
Sehr kritischer Artikel in der Legal Tribune Online (LTO) dazu --> http://tinyurl.com/odg2old
Kritisch ja, überzeugend nein. In der deutschen LSG-Rechtsprechung ist es herrschende Meinung, dass Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38 EG als lex specialis Art. 4 VO 883/2004 vorgeht (LSG Celle, Beschluss vom 03.08.2012, L 11 AS 39/12 B ER m.w.N.). Den von Frau Prof. Janda konstruierten Verstoß gegen die VO 883/2004 sehe ich nicht.


oldhoefi

Schwerpunktthema EuGH-Urteil Alimanovic C-67/14 vom 15.09.2015

Der Kollege Bernd Eckhardt hat sich ausführlich mit der Entscheidung des EuGH und seiner Bedeutung für die Beratungspraxis auseinandergesetzt.

Daher gehört die Veröffentlichung zur Pflichtlektüre aller Berater, die mit Unionsbürgern und deren sozialrechtlichen Leistungsausschlüssen zu tun haben.

sozialrecht justament 10/2015 --> http://www.harald-thome.de/media/files/Sozialrecht-justament-5-2015.pdf

(Zitat und Quelle: Harald Thomé - Newsletter vom 07.11.2015)

Gast28219

Zitat von: Gast18959 am 15. September 2015, 22:44:29
Zitat von: Gast25563 am 15. September 2015, 18:11:16Hatte gedacht, das eine Jahr bezieht sich auf die Versicherung.

Das ist auch so.
Hat sich der "Unioner" einen Anspruch auf ALG 1 erarbeitet, hat er nach derzeitiger Rechtslage auch Anspruch auf beitragsfreie Sozialleistungen.

Nein. Er hat Anspruch auf das beitragsfinanzierte AGL I. Ein Aufstockungsbetrag wird gerade nicht so behandelt, als sei er beitragsfinanziert gewesen. Allerdings führt der ALG I-Anspruch dazu, daß KV-Schutz und Aufenthaltsrecht erhalten bleiben. Ist woanders auch so: Wer als deutscher Wanderarbeiter in der Schweiz arbeitslos wird, muß beizeiten packen und heimgehen.

Gast18959

Zitat von: Gast28219 am 08. November 2015, 12:28:56Nein. Er hat Anspruch auf das beitragsfinanzierte AGL I. Ein Aufstockungsbetrag wird gerade nicht so behandelt, als sei er beitragsfinanziert gewesen.



Zitat von: oldhoefi am 08. November 2015, 00:31:54Daher gehört die Veröffentlichung zur Pflichtlektüre aller Berater, die mit Unionsbürgern und deren sozialrechtlichen Leistungsausschlüssen zu tun haben.

sozialrecht justament 10/2015 --> http://www.harald-thome.de/media/files/Sozialrecht-justament-5-2015.pdf

(Zitat und Quelle: Harald Thomé - Newsletter vom 07.11.2015)

"Arbeitnehmer  aus  der  EU  haben  auf  jeden  Fall  Anspruch  auf  ergänzende  SGB  II-Leistungen.  Nach
dem  Urteil  Genc  (EuGH,  04.02.2010  -  C-14/09)  reichten  5,5  Stunden  pro  Woche  um  den
Arbeitnehmerstatus  zu  erhalten.  Die  dem  Urteil  zugrunde  liegende  Beschäftigung  wurde  schon
längere  Zeit  ausgeübt  und  war  unbefristet. "

Gast28219

Anderes Thema. Wir redenvon Leuten, die arbeitslos sind (Null Wochenstunden) und einen Anspruch auf ALG I haben, der mit ALG II aufgestockt werden müßte. Da differenziert der EuGH zwischen beitrags- und steuerfinanzierten Sozialleistungen und erklärt, daß eine beitragsunabhängige Leistung nicht deshalb als beitragsfinanziert gelten solle, nur weil sie eine beitragsfinanzierte ergänze.

Gast18959

#12
Zitat von: Gast28219 am 08. November 2015, 17:04:14Da differenziert der EuGH zwischen beitrags- und steuerfinanzierten Sozialleistungen und erklärt, daß eine beitragsunabhängige Leistung nicht deshalb als beitragsfinanziert gelten solle, nur weil sie eine beitragsfinanzierte ergänze.

Da hat allerdings das BVerfG bereits entschieden wie dieses Thema zu händeln ist.

Wer sich in Deutschland aufhält, hat das Anrecht auf´s Existenzminimum.

ZB.:
ZitatFalls der Gesetzgeber bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums die Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigen will, darf er bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren. Eine Differenzierung ist nur möglich, sofern deren Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von dem anderer Bedürftiger signifikant abweicht und dies folgerichtig in einem inhaltlich transparenten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs gerade dieser Gruppe belegt werden kann.
http://www.bverfg.de/entscheidungen/ls20120718_1bvl001010

Nichts anderes kann gelten wenn ein Aufenthaltsrecht bereits feststeht.

Im Fall des oben angesprochenen Italiener´s :

http://www.gesetze-im-internet.de/freiz_gg_eu_2004/__4a.html



Im Bezug auf :

Zitat von: Gast18959 am 15. September 2015, 22:44:29Hat sich der "Unioner" einen Anspruch auf ALG 1 erarbeitet, hat er nach derzeitiger Rechtslage auch Anspruch auf beitragsfreie Sozialleistungen.

§ 2 Recht auf Einreise und Aufenthalt FreizügG/EU

Zitat(1) Freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen haben das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes.
......
(3) Das Recht nach Absatz 1 bleibt für Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätige unberührt bei
...........
   2. unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit,
http://www.gesetze-im-internet.de/freiz_gg_eu_2004/__2.html

oldhoefi

Am, morgigen Tag, Donnerstag den 03.12.2015, laufen beim Bundessozialgericht drei Grundsatzurteile, die eine außerordentliche Relevanz haben. Es geht dabei um die Frage, ob der Leistungsausschluss von Ausländern zum Zwecke der Arbeitssuche mit deutschem Verfassungsrecht vereinbar ist.

Denn das BVerfG hat klargestellt:

Aus Art. 1 Abs. 1 GG iVm Art. 20 Abs. 1 GG begründe sich einen Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Menschenrecht, das deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zusteht. Insofern müsse ein Leistungsanspruch eingeräumt werden (Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10,1 BvL 2/1).

Genau vor diesem Hintergrund hat das BSG zu urteilen und wenn es der Auffassung ist, dass kein Leistungsanspruch bestehe, also das BSG vom deutschem Verfassungsrecht abweicht, dann haben sie das umfassend zu begründen. Auch können sie damit rechnen, dass bei einer Leistungsversagung der Fall wieder vom BVerfG geprüft wird.   

Andere Gerichte sagen durchaus, das trotz gegenteiligem Urteil des EuGH ein SGB II Leistungsanspruch für Unionsbürger besteht, wie zuletzt das LSG NRW mit Beschluss vom 23.11.2015 - L 6 AS 1583/15 B ER.

Der Kollege Roland Rosenow von Sozialrecht in Freiburg hat dazu in gestriger Nacharbeit noch eine Veröffentlichung geschrieben, in der er den politischen und juristischen Kontext der Anstehenden BSG-Urteile aufzeigt und er stellt auch die Forderung auf, wenn das BSG Leistungsansprüche versagen sollte, dann haben sie Urteile in dieser verfassungsrechtlichen Dimension nachvollziehbar zu begründen. Auf diese möchte ich verweisen und mich thematisch anschließen.

Die Urteile haben auch Bedeutung für die geplanten Änderungen im sog. Asylbeschleunigungsgesetz zum Umgang mit Flüchtlingen.

Die Veröffentlichung von Roland Rosenow gibt es hier --> http://www.srif.de/ und dann > Aktuelles > Marginalisierung als Methode. Die aktuelle Rechtsprechung zum Anspruch von EU-Bürgern auf Leistungen nach dem SGB II.

(Zitat und Quelle: Harald Thomé Sonder-Newsletter vom 02.12.2015)

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Ausschluss von SGB II-Leistungen für Unionsbürger – Sozialhilfe bei tatsächlicher Aufenthaltsverfestigung

Der 4. Senat des Bundessozialgerichts hat in drei Urteilen vom heutigen Tag unter Berücksichtigung der Urteile des Bundesverfassungsgerichts zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums konkretisiert, in welchen Fallgestaltungen Unionsbürger aus den EU-Mitgliedstaaten existenzsichernde Leistungen nach dem Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) beziehungsweise dem Sozialhilferecht (SGB XII) beanspruchen können (vergleiche zu den Sachverhalten Terminvorschau Nr. 54/15).

Dies erfolgt im Anschluss an das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 15. September 2015 (Rs C-67/14 "Alimanovic"), wonach der ausnahmslose Ausschluss von Unionsbürgern mit einem alleinigen Aufenthaltsrecht nur (noch) zur Arbeitsuche von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II europarechtskonform ist.

weiterlesen --> http://sozialberatung-kiel.de/2015/12/03/ausschluss-von-sgb-ii-leistungen-fuer-unionsbuerger-sozialhilfe-bei-tatsaechlicher-aufenthaltsverfestigung/

oldhoefi

Urteil des BSG zu Unionsbürgern

Mal ein echt cooles Urteil, so möchte ich das Urteil vom BSG zusammenfassen.
Das BSG stellt damit klar, dass die unsäglichen Leistungsausschlüsse von Unionsbürgern im SGB II und SGB XII so nicht haltbar sind und, wenn keine Aufenthaltsgründe im SGB II vorliegen, spätestens nach sechs Monaten ein Leistungsanspruch nach dem SGB XII besteht.

Im Detail:

+ Wenn neben Arbeit, im nicht absolut geringfügigen Umfang, weitere Aufenthaltsgründe in Deutschland vorliegen, so beispielsweise ein Aufenthaltsrecht der Kinder durch Eingliederung in das Schulsystem und Durchführung einer Ausbildung, dann besteht ein SGB II Anspruch bei Vorliegen von Hilfebedürftigkeit.

+ Bürger aus EFA–Staaten (dies sind Bürger aller Staaten, die bereits vor dem Jahr 2004 der Europäischen Union angehört haben, außer Österreich und Finnland, sowie Estland, Malta, die Türkei, Island und Norwegen) haben einen regulären SGB XII Leistungsanspruch ab dem ersten Tag des Aufenthalts in Deutschland, wenn sie sich rechtmäßig in Deutschland aufhalten und dem Grunde nach von SGB II Leistungen ausgeschlossen sind. Die Tatsache, dass sie gesundheitlich erwerbsfähig sind, steht dem nicht entgegen.

+ Bei Nicht EFA-EU-Bürger muss bei einem SGB II Ausschluss im Rahmen des Ermessens über SGB XII Leistungen entschieden werden. Im Falle eines verfestigten Aufenthalts – über sechs Monate – ist dieses Ermessen jedoch aus Gründen der Systematik des Sozialhilferechts und der verfassungsrechtlichen Vorgaben des BVerfG in dem Sinne auf null reduziert. Hier ist Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu erbringen. Die Tatsache, dass sie gesundheitlich erwerbsfähig sind, steht dem nicht entgegen.

+ Der früher beim Jobcenter gestellte und abgelehnte oder nicht bearbeitete SGB II Antrag löst rückwirkend einen SGB XII Anspruch aus. Dieser SGB XII Anspruch ist rückwirkend bis max. Januar des jeweiligen Vorjahres geltend machbar.

Das BSG stellt sich mit diesem Urteil gegen die absolut restriktive Leistungsverweigerungspraxis des deutschen Gesetzgebers und des EuGH. Es bestätigt den vom BVerfG entwickelten unabdingbaren Gewährleistungsanspruch auf Existenzsicherung.

Ich denke, dass dazu in absehbarer Zeit Arbeitshilfen für die existenzsichernde Beratung erstellt werden, in denen die Feinheiten der Aufenthaltsgründe im SGB II, die Rechtsprechung zur Arbeit im nicht ganz geringfügigen Umfang usw. zusammengestellt werden.

Jetzt geht es mir aber um drei Dinge:

1. Die vielen Unionsbürger die in Folge des EuGH Urteils vom 15.09.2015 spätestens nach sechs Monaten des SGB II Leistungsbezuges den SGB II Anspruch verloren haben, diese haben jetzt alle einen SGB XII Leistungsanspruch. Sie sollten nun alsbald zum Sozialamt gehen und Leistungen beantragen. Hierbei ist aber zu beachten, dass andere Vermögensgrenzen existieren, so 1.600 € für unter 60-Jährige, 2.600 € für über 60-Jährige, zzgl. 614 € für Ehegatten und 256 € jede weitere Person (§ 1 Abs. 1-Vo zu § 90 SGB XII), sowie dass kein Kfz geschützt ist.

2. Das BSG hat klargestellt, dass die behördliche Kenntnis der Notlage beim JC, also mit der Ablehnung der SGB II Leistungen, im Sinne des § 18 Abs. 1 SGB XII rückwirkend anspruchsbegründet für SGB XII Leistungen ist. Diese sind erst ausgeschlossen mit Ablauf des Januar des Vorjahres (§ 118a SGB XII) oder, wenn kein Leistungsanspruch vorlag, durch Wegfall der Hilfebedürftigkeit.

3. Die explizit vom BSG hingewiesene Rückwirkung ist für Betroffene, aber auch Kliniken oder Frauenhäuser wichtig, die so rückwirkend die Chance haben, ihre Leistungen noch zu erhalten. Im Zweifel wäre hier über die Einrichtungen innerhalb der nächsten 3 Wochen nach dem BSG-Urteil ein sog. Nothelferantrag nach § 25 SGB XII von den Kliniken oder Frauenhäusern und etwaig weiteren Einrichtungen selbst zu stellen.

Terminbericht des BSG --> http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bsg&Art=tm&Datum=2015&nr=14080

Bericht in der Welt --> http://www.welt.de/politik/deutschland/article149593118/EU-Auslaender-koennen-deutsche-Sozialhilfe-bekommen.html

Kommunen bekommen kostenmäßig Panik - aus der FAZ --> http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/milliardenbelastung-fuer-staedte-und-kreise-durch-sozialhilfe-fuer-eu-auslaender-13949002.html#Drucken

(Zitat und Quelle: Harald Thomé - Newsletter vom 05.12.2015)

B 4 AS 43/15 R - B 4 AS 44/15 R - B 4 AS 59/13 R - jeweils vom 03.12.2015