Sozialgericht Gotha hält Hartz IV Sanktionen für verfassungswidrig

Begonnen von Diskus, 27. Mai 2015, 15:25:32

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Gast17647

Vielleicht. Kommt auf die Fragen an.
Ich hoffe aber das sich das  BVerfG endlich mal ernsthaft mir dem System ALG 2 beschäftigt.

Gast26342

ZitatDas BVerfG hat den Verein Tacheles als einen sachkundigen Dritten bestellt, daneben natürlich auch die Sozial- und Wohlfahrtsverbände, Städte- und Landkreistag, Gewerk-schaften und verschiedene juristische Organisationen.

Die Benennung von Tacheles als sachkundigen Dritten,  als  Organisation die Betroffenen-interessen und Positionen vertritt spricht dafür, dass das BVerfG sich eine ausgewogene  Meinungsbildung verschaffen will und ist daher zu begrüßen.

Die genannten wurden vom BVerfG zu folgendem Punkten befragt:

- Erkenntnisse über die tatsächliche Anzahl der Sanktionen und Verteilung auf einzelne Pflichtverletzungstatbestände.
- Erkenntnisse über Fehleranfälligkeit der Leistungsabsenkungen und wie oft diese im WS – und sozialgerichtlichen Verfahren aufgehoben werden.
- Erkenntnisse über die Wirkungen von Sanktionen, einmaliger und wiederholter, insbesondere bei Nachholung der Obliegenheit und wie oft sich Leistungsberechtigte nach vollständiger Absenkung bereit erklärten, ihren Pflichten nachzukommen.
- Erkenntnisse über die Verwaltungspraxis der Höhe von Sachleistungen und ob es Abweichungen zu den Fachlichen Hinweisen der BA Nr. 4.5 (Rn. 31.48 ff) gibt und ob dabei die Dauer der Leistungsabsenkung eine Rolle spielt.
http://tacheles-sozialhilfe.de/startseite/tickerarchiv/d/n/2116/

PM von Tacheles:
http://tacheles-sozialhilfe.de/startseite/tickerarchiv/d/n/2117/

Luchs0

Das finde ich gut.
Wurde auch langsam mal Zeit das der Blickpunkt der Betroffenen von diesen Zwangsmaßnahmen mal gewürdigt  wird.

Hexe

Zitat Harald Thome :
3. Das Sanktionsregime vor dem BVerfG und sachverständige Dritte vor dem BVerfG
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Ich habe im letzten Newsletter mitgeteilt, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) den Vorlagebeschluss des SG Gotha zu Sanktionen annimmt und unter anderem den Verein Tacheles als sachkundigen Dritten bestellt hat. Diese Meldung hat bei vielen, insbesondere aus der Erwerbslosenszene, Hoffnungen und Erwartungen geweckt, dass vielleicht das BVerfG die Sanktionen in Grund und Boden stampfen könnte.
Dazu möchte ich klarstellen: das BVerfG wird (leider!) ganz bestimmt nicht das Hartz IV-Sanktionsregime grundsätzlich in Frage stellen.
Das Sanktionsregime dient als Druckmittel zur Durchsetzung der kapitalistischen Verwertung von billigen Arbeitskräften und zur Durchsetzung des Niedriglohnes, daran wird das BVerfG gewiss nichts ändern. Hier machen sich einige falsche Hoffnungen. Wenn es "Hoffnung" gibt, dann ist das Handarbeit, nämlich sich zu organisieren, Missstände anzuprangern, Forderungen zu erarbeiten, eigene Positionen und solidarische Gegenstrukturen zu entwickeln.
Was aber möglich ist, ist dass das BVerfG einige der heftigsten Punkte für unzulässig erklärt, daher werden wir uns an der Gewinnung von ,,Erkenntnissen" des BVerfG beteiligen.

Aufruf zur Unterstützung
In dem Zusammenhang eine Bitte an die Newsletterleserinnen und -leser, das BVerfG fragt nach der Verwaltungspraxis bei Sanktionen und den Folgen. Dazu möchte ich dem BVerfG konkrete ,,Fälle" vorlegen. Diese sind in ausreichendem Maße fast nur über Anwälte dokumentierbar, daher richtet sich der Aufruf vorrangig an Anwälte.
Ich suche Fälle,

• in denen trotz mehr als 30 % Sanktionen keine Lebensmittelgutscheine, auch mit Antrag gewährt wurden,
• in denen die Miete nicht übernommen wurde, es einen Antrag auf Übernahme der Miete im Rahmen der Wohnraumsicherung gab und das Verwaltungshandeln dann zu Wohnungslosigkeit geführt hat
• oder Gerichte Eilklagen auf Mietübernahme wegen Sanktionen wegen fehlendem Anordnungsgrund abgelehnt haben und später der Vermieter deswegen ordentlich gekündigt hat,
• in denen eine ,,Unterwerfungserklärung" / Bereiterklärung im Sinne des § 31a Abs. 1 S. 6 SGB II abgegeben wurde und diese von den JC's ignoriert wurden
• in denen kein JC Hinweis auf Lebensmittelgutscheine erfolgte und dann ua. Krankenkassenschulden und Krankenbehandlungskosten in erheblicher Höhe angefallen sind

Solche Fälle machen nur Sinn wenn die davon Betroffenen den Anwälten die Vollmacht gibt, diese an uns weiter zu geben und uns, diese dem BVerfG vorzulegen und anonymisiert öffentlich verwerten zu dürfen.
Daher die Bitte an alle Leser*innen, geht in euch, guckt ob ihr/Sie solche oder vergleichbare Fälle habt und schlagt mir die dann vor.

Ich danke im Vorhinein für die Mühen und bitte um rege Unterstützung!

LG Hexe
Ich erteile keine Rechtsberatung sondern gebe nur meine eigene Erfahrung weiter

Kowalka

#724
Irgendwie war der Thread schon mal online, ist aber nicht mehr wiederzufinden :weisnich: ?!
Wurde der raus genommen oder bin ick zu dämlich den zu finden? *



Nun hat das Bundesverfassungsgericht Tacheles als sachkundigen Dritten in einer Richtervorlage zum Sanktionsrecht bestellt. Tacheles wird aufgefordert bis Mitte Februar 2017 eine Reihe richterliche Fragen zum Umfang, Rechtskonformität und Folgen von Sanktionen zu beantworten.

,,Wir halten die Sanktionen für in weiten Teilen für nicht verfassungskonform und Menschenrechts-widrig. Sanktionen bedeuten den Verlust verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf Existenzsicherung. In vielen Fällen geht mit Sanktionen der Verlust der Wohnung, Energie- und Krankenkassenschulden einher" erklärt Harald Thomé vom Verein Tacheles ,,Die Sanktionspraxis des Jobcenter in Wuppertal ist sehr heftig und liegt deutlich über dem Landesdurchschnitt, wir werden unsere Erfahrungen mit der oft mehr als kritischen Verwaltungspraxis in unserer Stellungnahme gegenüber dem Bundesverfassungsgericht einfließen lassen" umreißt Thomé die Position des Vereins.


Quelle:http://wuppertal.tacheles-sozialhilfe.de/startseite/aktuelles/d/n/2118/



* Die Beiträge befinden sich alle in diesem Thema und wurden verknüpft. Dein jetziger Beitrag wurde ebenfalls hier mit eingefügt. LG Meck

Gast26342

#725
Zitat von: Hexe am 02. Januar 2017, 16:42:17Dazu möchte ich klarstellen: das BVerfG wird (leider!) ganz bestimmt nicht das Hartz IV-Sanktionsregime grundsätzlich in Frage stellen.
Das Sanktionsregime dient als Druckmittel zur Durchsetzung der kapitalistischen Verwertung von billigen Arbeitskräften und zur Durchsetzung des Niedriglohnes, daran wird das BVerfG gewiss nichts ändern.
Dann sollte das BVerfG aber auch mal grundsätzlich erklären, inwieweit ein Grundrecht (BVerfG 2010) bzw. Menschenrecht (BVerfG 2012) von Gegenleistungen bzw. Mitwirkungspflichten abhängig gemacht werden darf. Dürfte interessant werden.

Wird die Gewährung des Existenzminimums von einem bestimmten Verhalten abghängig gemacht, dann ist das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum quasi ein "Grundrecht unter Vorbehalt"; dann steht die Menschenwürde als solche ebenfalls unter dem Vorbehalt eines bestimmten Verhaltens.
Tanz dem SB nach der Pfeife und du bist ein Mensch, hab deine eigene Meinung und du bist kein Mensch?
So steht das nicht im Grundgesetz.

Nicht zu vergessen das Problem mit der sofortigen Vollziehbarkeit. Den Leuten das Geld sofort zu streichen kann u.U. zur Folge haben, dass nicht einmal die Fahrtkosten zum Anwalt, zu einer Hartz-IV-Beratungsstelle oder zum SG aufgebracht werden können, was im Ergebnis auf eine bewusste und vorsätzliche Verletzung der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) hinausläuft.

Hinzu kommt die Verletzung der Gewaltenteilung einschl. dem Entzug des gesetzlichen Richters durch die verfassungswidrige Ermächtigung von Verwaltungsmitarbeitern zur Verhängung von Strafen (nichts anderes sind die Sanktionen!).

Ebenfalls nicht zu vergessen die Unverhältnismäßigkeit dieser existenzbedrohenden Strafen im Vergleich mit echten Straftätern, worauf das SG Gotha in seinem Vorlagebeschluss auch zutreffend hingewiesen hat.
Jeder Serienmörder, jeder Kinderficker, jeder Mafiosi, jeder Terrorist oder sonstiger Schwerverbrecher hat im Knast ein Dach überm Kopf, hat jeden Tag genug zu essen und bei Bedarf eine Krankenversorgung - alles Dinge die JC-Mitarbeiter ihren sog. "Kunden" praktisch nach Belieben streichen dürfen.

Wie Herr Thome vor diesem Hintergrund auf die Idee kommt, die derzeitigen Sanktionsregelungen könnten vorm BVerfG Bestand haben, erschließt sich mir nicht so recht.

Meck

Mit dem Aktenzeichen S 15 AS 5157/14 hat das Sozialgericht Gotha beim Bundesverfassungsgericht ein Vorlagebeschluss eingereicht. Damit möchte das Sozialgericht klären lassen, ob Hartz IV-Sanktionen mit dem Grundgesetz vereinbar sind.

Ist es ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, gegen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit oder gegen die Berufsfreiheit? Ich persönlich finde schon. Wie viele andere auch.

Die Expertise muss von den Sachverständigen bis Februar eingebracht worden sein, dann beginnt das Bundesverfassungsgericht mit der Beschlussfassung. Die Dauer beim Bundesverfassungsgericht ist (leider) nicht absehbar.

Katja Kipping, Vorsitzende der Partei Die Linke, erklärt dazu: ,,Auch hier gilt: Wer sich wehrt, lebt nicht verkehrt. Es ist sinnvoll, mit Verweis auf den Vorlagebeschluss Widerspruch gegen Sanktionen bei Hartz IV einzulegen. Denn sollte das Bundesverfassungsgericht die Sanktionsvorschriften ganz oder teilweise für nichtig erklären, besteht kein Anspruch auf Rücknahme bestandskräftiger
Sanktionsbescheide.


-->> http://www.huffingtonpost.de/oliver-lippert/hartzivsanktionen-mit-dem_1_b_14239420.html
Finde das grosse Glück in den kleinen Dingen des Lebens und empfinde dadurch wahre Zufriedenheit. LG Meck :bye:

Chakotay

Ergänzend:

Pressemitteilung des SG Gotha vom 2.August 2016:

"Gothaer Sozialgericht ruft erneut das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe an - Hartz IV-Sanktionen weiter auf dem Prüfstand

Nachdem das Bundesverfassungsgericht einen in dem erstinstanzlichen Verfahren S 15 AS 5157/14 ergangenen Vorlageschluss aus dem Jahr 2015 mit Entscheidung vom 6. Mai 2016 aus formalen Gründen zurückgewiesen hatte, hat nunmehr die 15. Kammer des SG Gotha die Verfassungsmässigkeit der Sanktionsregeln gegen Arbeitsuchende im Bereich der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch II erneut in Zweifel gezogen und die Sache dem BVerfG zur Entscheidung über die Vereinbarkeit der Sanktionsregeln mit dem Grundgesetz vorgelegt "

Vollständige Mitteilung im Anhang.

M.W. dauern Verfahren am Bundesverfassungsgericht 1-2(3)Jahre

[gelöscht durch Administrator wegen Erreichen der Speicherfrist]
Willensstärke ist, Erdbeeren zu pflücken ohne dabei zu naschen. ;-)

Orakel

Hast du außer dem Schnee von gestern auch aktuellere Informationen?

Chakotay

Um Deine Frage zu beantworten : NEIN
Die Frage eines anderen Users: "Wo bleibt Bundesverfassungsgericht Entscheid zu Hartz4 Sanktionspraxis" wurde am 17.1.2017 erneut gestellt:
http://hartz.info/index.php?topic=106972.0
Willensstärke ist, Erdbeeren zu pflücken ohne dabei zu naschen. ;-)

Orakel

Hier im Thread Antwort #678

oder in dem von dir verlinkten Thema Antwort #5

Aber gut, noch 100 neue Themen mit der gleichen Frage eröffnen ... vielleicht lesen die Verfassungsrichter ja hier mit und haben Verständnis für das besondere Interesse ... Vielleicht entscheiden sie ja deshalb schneller ...

Chakotay

Willensstärke ist, Erdbeeren zu pflücken ohne dabei zu naschen. ;-)

MichaK

Zitat von: Orakel am 03. Februar 2017, 18:48:42... vielleicht lesen die Verfassungsrichter ja hier mit ..

das wär ja noch schöner, bei den Rechtsunterworfenen mitlesen  :grins:


Gast9483

Es gibt ja nur eine Möglichkeit, wie das Verfassungsgericht urteilen kann, nämlich dass Sanktionen Grundgesetzwidrig sind!