Sozialgericht Gotha hält Hartz IV Sanktionen für verfassungswidrig

Begonnen von Diskus, 27. Mai 2015, 15:25:32

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Orakel

Zitat von: Gast18959 am 04. Juni 2015, 22:45:06
... so ist die Obliegenheit eine Rechtspflicht.

Die Obliegenheit ist ein Rechtsgebot!

"Eine Obliegenheit begründet für den Berechtigten weder einen Erfüllungsanspruch noch bei Verletzung durch den Belasteten einen Schadensersatzanspruch und gibt keine Klage- und Vollstreckungsmöglichkeit. Es handelt sich vielmehr um Verhaltensregeln, bei deren Nichtbeachtung der mit der Obliegeneheit belastete einen Verlust oder eine Minderung einer Rechtsposition erleidet."

Quelle

Anderes hat auch Papier nicht gesagt ...

Du wirst nirgends eine andere Definition finden ...

Gast18959

"Generell ist eine Obliegenheit als Pflichten eines Schuldverhältnisses anzusehen, welche vom Gläubiger nicht eingeklagt werden können. verletzt der Schuldner diese Pflichten, so kann er auch nicht seitens des Gläubigers regresspflichtig gemacht werden; das heißt, der Gläubiger hat keinen Anspruch auf Schadensersatzleistungen. Der Schuldner muss allerdings im Falle einer Pflichtverletzung seinerseits damit rechnen, dass er bestehende Rechte verliert beziehungsweise diese nicht mehr geltend machen kann."

http://www.juraforum.de/lexikon/obliegenheit

Stellt sich erst recht die Frage in welchem Schuldverhältnis ein Grundrechteträger steht um seine Grundrechte zu erhalten und wie sich ein solches aus der Verfassung ableiten liesse.
Noch schützt die Verfassung den Grundrechteträger vor Eingriffen in die Freiheitsrechte durch den Staat und nicht den Staat vor ungelittenen Rechtehabern.

Orakel

Tja, lesen und verstehen ...

Zwischen dem Leistungsberechtigten und dem Leistungsträger besteht kein Schuldrechtsverhältnis ...

Gast18959

Zitat von: Orakel am 05. Juni 2015, 00:55:18Tja, lesen und verstehen ...

Zwischen dem Leistungsberechtigten und dem Leistungsträger besteht kein Schuldrechtsverhältnis ...

Tja, wie kommt es dann wohl zu den Obliegenheiten laut - Papier ?
Die Frage war schliesslich ob ein Arbeitszwang verfassungsgemäss wäre und nicht ob der Leistungsberechtigte generell Obliegenheiten zu erfüllen hätte.
Die hat er nämlich  -   im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung.
Das BGE wurde noch nicht für gut befunden.



Orakel

Zitat von: Gast18959 am 05. Juni 2015, 01:26:35
Tja, wie kommt es dann wohl zu den Obliegenheiten laut - Papier ?

Das hat er doch gesagt:

"Juristisch handelt es sich genau genommen nicht um "Pflichten", sondern um "Obliegenheiten" zur Erlangung einer Leistung. Und die sind im geltenden Recht durchaus schon vorgesehen. Wer eine zumutbare Arbeit ohne triftige Gründe ablehnt, muss mit einer Leistungskürzung rechnen. Sozialleistungen des Staates sind prinzipiell subsidiärer Natur, sie sollen nur dann gezahlt werden, wenn jemand in einer Notlage ist, aus der er mit eigener Kraft nicht herauskommt."

Zitat von: Gast18959 am 05. Juni 2015, 01:26:35
Die Frage war schliesslich ob ein Arbeitszwang verfassungsgemäss wäre ...

Die Frage stellt sich im Grunde nicht, weil es einen solchen Zwang nicht gibt; gäbe es ihn, wäre er allerdings verfassungswidrig.

Ausführlich (240 Seiten) in:

Katrin Toens
Recht, Leistung, Bedarf
Die Verteilungsprinzipien der sozialen Gerechtigkeit am Beispiel der erwerbszentrierten Sozialhilfereform
Politische Theorie Band 1
LIT Verlag, 2003

Gast9483

Äh, Moment. Für LBs gibt es einen Arbeitszwang, aber diesen Arbeitszwang gibt es nicht? Wow, das ist ja Doppeldenk in Reinkultur!  :schock:

Ottokar

Zitat von: Gast18959 am 04. Juni 2015, 22:45:06
zitat:
"Welt am Sonntag : Wäre eine Arbeitspflicht für Hartz-IV-Empfänger verfassungsgemäß?

Papier : Juristisch handelt es sich genau genommen nicht um "Pflichten", sondern um "Obliegenheiten" zur Erlangung einer Leistung. Und die sind im geltenden Recht durchaus schon vorgesehen. Wer eine zumutbare Arbeit ohne triftige Gründe ablehnt, muss mit einer Leistungskürzung rechnen. Sozialleistungen des Staates sind prinzipiell subsidiärer Natur, sie sollen nur dann gezahlt werden, wenn jemand in einer Notlage ist, aus der er mit eigener Kraft nicht herauskommt. "

http://www.welt.de/politik/deutschland/article6587967/Bundesrichter-mahnt-moderate-Steuersaetze-an.html
Das ist doch Unsinn! Wenn will der denn mit dieser sinnlosen Wortspielerei verarschen?

Zwischen Pflichten und Obliegenheiten gibt es juristisch keinen Unterschied, das ist ein Fakt. Beide Begriffe sind per Definition bedeutungsgleich und damit beliebig austauschbar.
In beiden Fällen handelt es sich um Voraussetzung zur Erlangung eines Rechtsgutes (hier dem Leistungsanspruch).
Der traurige Witz dabei ist, dass der Gesetzgeber in § 31 SGB II selbst wörtlich von "Pflichten" und "Pflichtverletzungen" spricht und Herr Papier in seinen Urteilsbegründungen selbst oft genug den Begriff "Obliegenheitspflicht" verwendet hat.
Da stellt sich die Frage, warum solche Leute die Verwendung des Wortes Pflicht in der Öffentlichkeit offenbar scheuen wie der Teufel das Weihwasser.
Meine Beiträge beinhalten oder ersetzen keine anwaltliche Beratung oder Tätigkeit.
Für eine verbindliche Rechtsberatung und -vertretung suchen Sie bitte einen Anwalt auf.


Gast28527

Da wird aus dem Wort Pflicht eine Obliegenheit. Wer diese Obliegenheit nicht nachkommt begeht eine >Pflichtverletzung< und muss mit einer Sanktion rechnen. Nicht umsonst sagt der Volksmund: Juristen sind Rechtsverdreher. Letztlich mag auch ungeklärt sein, was eine zumutbare Arbeit sei.

Gast18959

Zitat von: Ottokar am 05. Juni 2015, 09:06:00Zwischen Pflichten und Obliegenheiten gibt es juristisch keinen Unterschied, das ist ein Fakt.

Naja, ursprünglich stammt der Begriff ja aus dem Schuld- bzw. Vertragsrecht. Die Definition ist schon uralt und bedeutet nichts anderes als : Wer seiner Obliegenheitspflicht nicht nachkommt, hat auch keinen Anspruch auf Vertragserfüllung.
Deshalb hatte ich ja das Orakel befragt in welchem Schuldverhältnis ein Grundrechteträger steht.


Zitat von: Orakel am 05. Juni 2015, 02:16:00Das hat er doch gesagt:

"Juristisch handelt es sich genau genommen nicht um "Pflichten", sondern um "Obliegenheiten" zur Erlangung einer Leistung. Und die sind im geltenden Recht durchaus schon vorgesehen. Wer eine zumutbare Arbeit ohne triftige Gründe ablehnt, muss mit einer Leistungskürzung rechnen. Sozialleistungen des Staates sind prinzipiell subsidiärer Natur, sie sollen nur dann gezahlt werden, wenn jemand in einer Notlage ist, aus der er mit eigener Kraft nicht herauskommt."

Hier übersieht der Herr Papier allerdings einen wesentlichen Punkt.
Art. 12 GG legt eindeutig fest wem die Obliegenheit zur Prüfung aller Gründe zufällt ob ein zugewiesener Arbeitsplatz angenommen werden soll.
Weiter noch, es bedarf keiner Angabe von Gründen eine bestimmte Arbeit eben nicht zu übernehmen.
Aus einem solchen Verhalten dürfen sich auch keine Nachteile für den Grundrechteträger ergeben, andernfalls würde er in seiner Rechtsstellung eingeschränkt.
Art. 19 GG
(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.


Auch hat das nichts mit der subsidären Natur (also Nachrang) von Sozialleistungen zu tun, denn der grundgesetzlich garantierte Anspruch auf ein Existenzminimum kann niemals an eine ominöse Obliegenheit = Grundrechteverzicht gekoppelt sein.

Gast36005

Zitat von: Gast9483 am 05. Juni 2015, 03:19:29
Äh, Moment. Für LBs gibt es einen Arbeitszwang, aber diesen Arbeitszwang gibt es nicht? Wow, das ist ja Doppeldenk in Reinkultur!  :schock:
Du irrst. Es gibt keinen Arbeitszwang.
Wurde doch grad erklärt.
Du balancierst von Pflicht über --->Obliegenheit --->zumutbares Angebot aus unwichtigem Grund nicht annehmen--->Pflichtverletzung ---> deswegen Sanktion---> bis zu Zwang.
Du irrst und stürzt ab.

AlterGaul

Ich denke die ganzen Hobbyjuristen hier, sollten sich mal insgesamt im Staatsrecht etwas einlesen, um wenigstens das Grundgerüst zu verstehen. Danach würden sich sehr sehr viele Kommentare inklusive der typischen Hasstiraden, die durch ständiges wiederholen auch nicht richtiger werden absolut erübrigen.
Egal was das Sozialgericht Gotha denkt oder meint, letztendlich entscheidet nur das BVerfG ob ein Gesetz verfassungswidrig ist oder nicht. Daran gibt es nichts dran zu rütteln, egal was viele "Experten" hier denken oder auch nicht.
Solange das BVerfG eben diese Fragen noch nicht als verfassungswidrig festgestellt hat, sind sie im Umkehrschluß verfassungsgemäss egal ob es einem passt oder nicht.
Ich würde mit angrenzender Wahrscheinlichkeit vermuten, dass das BVerfG sich auf Zahlen bei Erhöhungen oder Kürzungen nicht festlegen wird, sondern das dem Gesetzgeber auferlegen wird.
"The tree of liberty must be refreshed from time to time with the blood of patriots and tyrants."
Thomas Jefferson

Gast36005

Zitat von: AlterGaul am 05. Juni 2015, 12:14:55
Ich würde mit angrenzender Wahrscheinlichkeit vermuten, dass das BVerfG sich auf Zahlen bei Erhöhungen oder Kürzungen nicht festlegen wird, sondern das dem Gesetzgeber auferlegen wird.
Oh. Aber darum gehts doch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei dem Vorlagebeschluss aus dem SG Gotha gerade nicht.
Sicher nicht um die Frage, wie hoch oder wie niedrig darf eine Sanktion sein. Und BMAS, leg du das selber fest.
Sondern doch eher: BVerfG soll entscheiden, OB oder OB NICHT verfassungswidrig.
Ob 1Cent oder 399,-€ spielen dann keine Rolle.

Ich bin weder Jurist noch Hobbyjurist noch Staatsrechtler.
Ich dachte bisher, verstanden zu haben, über WAS das BVerfG zu entscheiden hat. Aber ich kann mich auch irren.

Gast18959

Zitat von: Gast36005 am 05. Juni 2015, 13:26:28BVerfG soll entscheiden, OB oder OB NICHT verfassungswidrig.
......
...... Aber ich kann mich auch irren.

Nein da irrst du nicht.

Aber hier:

Zitat von: Gast36005 am 05. Juni 2015, 11:48:41Du irrst. Es gibt keinen Arbeitszwang.
Wurde doch grad erklärt.
Du balancierst von Pflicht über --->Obliegenheit --->zumutbares Angebot aus unwichtigem Grund nicht annehmen--->Pflichtverletzung ---> deswegen Sanktion---> bis zu Zwang.
Du irrst und stürzt ab.

Sanktionen haben Strafcharakter und sind somit Zwangsmassnahmen  zuzuordnen.

Zitat von: Ottokar am 04. Juni 2015, 19:09:56Duden

Sanktion
(Völkerrecht) Maßnahme, die zur Bestrafung angewandt wird.
(Soziologie) Reaktion, mit der ein bestimmtes Verhalten bestraft wird
(bildungssprachlich) Maßnahme zur Bestrafung

Synonyme
Abstrafung, Bestrafung, Strafaktion, Strafe, Strafmaßnahme


Übrigens hasse das 44lenzen in keinster Weise und vorm Wissen vom Orakel habe ich gehörig Respekt.
Mit beiden kann man trefflich in der Sache streiten (auch mal etwas Lauter), für seltsame Tiraden ist da kein Platz.
Für Hobbyjuristen hier aber schon, Meinungsäusserung und Wissenstausch sind der Sinn eines Forums @AlterGaul.

MichaK

Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz

"Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt" i. V. mit "Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat"

Art.2 Abs.2 S.1 GG

"Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. "

und Art. 12 GG

"  Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden."
"Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht."
"Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig."

Ich wollts nochmal hinschreiben, damit auch Jeder vor Augen hat, wo die Kammer (nix Hobbyjurist!) die Grundrechteverstöße verortet.

Meck

Das Sozialgericht Gotha hält Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger für verfassungswidrig. Letzte Woche verwies es deshalb die Klage eines Betroffenen an das Bundesverfassungsgericht. Bis zur Klärung fordern nun vor allem Politiker der Linken, darunter auch Thüringens Sozialministerin Heike Werner, die Sanktionspraxis auszusetzen. Hartz-IV-Foren rufen Betroffene dazu auf, schon mal pro forma Widerspruch gegen verhängte Sanktionen einzulegen. Macht sich das in den Jobcentern bereits bemerkbar?

-->> http://www.mdr.de/nachrichten/hartz-vier-sanktionen100_zc-e9a9d57e_zs-6c4417e7.html
Finde das grosse Glück in den kleinen Dingen des Lebens und empfinde dadurch wahre Zufriedenheit. LG Meck :bye: