Neuigkeiten:



Das Forum Team wünscht allen Mitgliedern
und Besuchern eine schöne Adventszeit.

Hauptmenü

Sammelthema: Hartz IV wird zu Bürgergeld, zu mehr wird's nicht

Begonnen von Ottokar, 15. August 2022, 14:07:27

⏪ vorheriges - nächstes ⏩

0 Mitglieder und 3 Gäste betrachten dieses Thema.

Ottokar

#180
Zusammenfassung zum Regierungsentwurf

Ab 01.07.2023 gelten neue Freibeträge für das Brutto-Erwerbseinkommen.
Stufe 1: 100€ bis 520€ = 20%
Stufe 2: 520,01€ bis 1000€ = 30%
Stufe 3: 1000,01€ bis 1.200€ = 10%
Alles was über 1.200€ hinaus geht, wird voll berücksichtigt.
Für Erwerbstätige ohne minderjährige Kinder ergibt sich dabei ein um maximal 48€ höherer Freibetrag.
Für Erwerbstätigen mit minderjährigen Kindern erhöht sich der maximal mögliche Freibetrag lediglich um 18€, da die bisher dort greifende Erweiterung des Freibetrages der Stufe 3 auf 1.500€ Brutto-Einkommen entfällt.
Erwerbstätige mit minderjährigen Kindern werden hierbei also als deutlich schlechter gestellt als Kinderlose. Das zeigt mal wieder überdeutlich die Einstellung unserer Politiker zu Kindern.

Es bleibt bei einem angemessenen KFZ.

Die Frist für den Beginn einer neuen Karenzzeit für die Vermögensprüfung wurde von 2 auf 3 Jahre ohne Leistungsbezug verlängert.

Die Pflicht, ab dem 63. LJ Altersrente beantragen zu müssen, wird nur bis Ende 2026 ausgesetzt, statt bislang abgeschafft.

Kooperationsplan
Das Verfahren wurde geändert:
In den ersten 6 Monaten gilt eine "Vertrauenszeit", eine Verletzungen der Mitwirkungspflichten führt hier nicht zu Sanktionen.
An die Vertrauenszeit schließt sich eine zeitlich unbegrenzte "Kooperationszeit" an. Innerhalb dieser Kooperationszeit erfolgen bei einer Verletzungen der Mitwirkungspflicht lediglich Aufforderungen zu den Mitwirkungshandlungen. Wird denen Folge geleistet, passiert nichts weiter.
Werden jedoch weiterhin Mitwirkungspflichten verletzt, endet die Kooperationszeit und es wird für die Pflichten ein sanktionsbewehrter Durchsetzungs-Verwaltungsakt mit Rechtsfolgenbelehrung erlassen. Jede danach erfolgende Pflichtverletzung wird sanktioniert.

Der Kooperationsplan wird nicht mehr ,,abgeschlossen", sondern ,,erstellt".
Damit will man den Kooperationsplan so weit wie möglich vom Anschein eines öffentlich-rechtlichen Vertrages entfernen. Da darin weiterhin rechtsverbindlich wechselseitige Rechte und Pflichten geregelt werden, bleibt es jedoch ein öffentlich-rechtlicher Vertrag.
Ohne einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, der rechtsverbindlich individuelle Mitwirkungspflichten regelt, gäbe es keine rechtliche Voraussetzung für den Erlass von sanktionsbewehrten Mitwirkungsaufforderungen zur Erfüllung dieser individuellen Mitwirkungspflichten und den Erlass von Sanktionen, wenn diese nicht erfüllt werden.
Bestehende Eingliederungsvereinbarungen gelten solange nach den gesetzlichen Regelungen für einen Kooperationsplan weiter (als de facto Kooperationsplan), bis ein Kooperationsplan erstellt wurde.

Bürgergeldbonus
Erfolgt nach der 6monatigen Vertrauenszeit ein Pflichtverstoß, entfällt der Anspruch dauerhaft. Damit wird diesem finanziellen Anreiz ein erhebliches Druckmittel hinzugefügt.

Ganzheitliche Betreuung
Die Verweigerung der Mitwirkung bei einer solchen Maßnahme darf nicht sanktioniert werden.
Offenbar aufgrund des öffentlichen Drucks wurde diese Regelung entschärft.

Pflichtverletzungen
Die erste Sanktion bei einer Pflichtverletzung beträgt nur noch 20% des Regelbedarfs, erst ab der zweiten Sanktion beträgt die Sanktionshöhe 30%.
Da nicht geregelt ist, wann eine erste, weitere oder wiederholte Pflichtverletzung vorliegt, kann es derzeit eine 20%-Sanktion nur einmalig im gesamten Leistungsbezug geben.

Meldepflichtverletzungen
Während der 6monatigen Vertrauenszeit soll erst ab der 2. Meldepflichtverletzung sanktioniert werden.

Die Sippenhaft beim Leistungsentzug wegen fehlender Mitwirkung entfällt.

Die 2jährigen Karenzzeiten nach § 12 SGB II (Vermögensfreibeträge von 60.000€ bzw. 30.000€) und § 22 SGB II (Anerkennung der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung) gelten für alle Leistungsbezieher.
Ausnahme: bei Leistungsbeziehern, bei denen vor dem 31.12.2022 nur noch die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung anerkannt wurden, werden weiterhin nur diese anerkannt.

Die Änderungen sind im Artikel "Hartz IV wird zu Bürgergeld, zu mehr wird's nicht" berücksichtigt. Dort sind alle aktuell zum SGB II geplanten Änderungen ersichtlich.

Außerdem ist in Artikel 13 geregelt, dass die Änderungen/Neufassungen der SGB II zu:
- Kooperationsplan,
- Bürgergeldbonus,
- Ganzheitliche Betreuung,
- Sanktionen,
- Freibeträgen
erst zum 01.07.2023 in Kraft treten sollen.
D.h. die aktuellen Regelungen zur Eingliederungsvereinbarung, Sanktionen und Freibeträgen gelten bis einschl. 30.06.2023 weiter.


Nachtrag:
- Wichtig zu Sanktionen ab dem 01.01.2023 –


Pflichtverstöße aus Eingliederungsvereinbarungen können auch nach Ende des Sanktionsmoratoriums (31.12.2022) nicht sanktioniert werden.
§ 84 Abs. 1 SGB II regelt, dass § 31a bis zum Ablauf des 1. Juli 2023 nicht anzuwenden ist, und da am 01.07.2023 die Änderung von § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II in Kraft tritt, welche die bis dahin dort geregelte Sanktion für Pflichtverstöße aus Eingliederungsvereinbarungen durch die Neuregelung für Pflichtverstöße aus Kooperationsvereinbarungen ersetzt, existiert ab dem 01.07.2023 keine rechtliche Grundlage mehr für eine Sanktion wegen Pflichtverstößen aus Eingliederungsvereinbarungen.

Ab dem 01.01.2023 begangene Pflichtverstöße nach § 31 Abs. 1 Nr. 2 u. 3 SGB II können jedoch ab 01.07.2023 sehr wohl unter Berücksichtigung der 6monatsfrist für die Feststellung von Pflichtverletzungen nachträglich sanktioniert werden. Dies wäre auch legitim, da das Sanktionsmoratorium nach dem Willen des Gesetzgebers nur bis Ende 2022 gilt (Bt-Drs. 20/1413).
Wer also ab dem 01.01.2023
- sich weigert, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit nach § 16d oder ein nach § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch sein Verhalten verhindert, oder
- eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antritt, abbricht oder Anlass für den Abbruch gibt,
kann dafür ab dem 02.07.2023 ganz legal sanktioniert werden. Das betrifft auch die in § 31 Abs. 2 SGB II genannten Sachverhalte.
Meine Beiträge beinhalten oder ersetzen keine anwaltliche Beratung oder Tätigkeit.
Für eine verbindliche Rechtsberatung und -vertretung suchen Sie bitte einen Anwalt auf.


OLD-MAN

Zitat von: Ottokar am 20. September 2022, 15:14:28Die 2jährigen Karenzzeiten nach § 12 SGB II (Vermögensfreibeträge von 60.000€ bzw. 30.000€) und § 22 SGB II (Anerkennung der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung) gelten für alle Leistungsbezieher.

Fehlt da vielleicht ein entscheiden Wort?

.....KdU .....für alle neuenLeistungsbezieher?

Denn im Umkehrschluss könnte sich sonst jeder LB für die nächsten 2 Jahre eine "teure" Unterkunft suchen und würde diese auch bezahlt bekommen!

Ich glaube nicht, das der Gesetzgeber eine solche "Lücke" im neuen Gesetz geöffnet hat.


Yavanna

Innerhalb der ersten zwei Jahre des erstmaligen  Leistungs Bezugs nach diesem Buch (SGB II) Daher glaube ich, dass das Standard ist und nicht erst durchgeklagt werden muss. Ansonsten müssten alle Jobcenter zum 1.1.25 die KDU aller BGs überprüfen... Viel Spaß  :help:

Ottokar

Zitat von: OLD-MAN am 20. September 2022, 15:33:43Fehlt da vielleicht ein entscheiden Wort?
Nein, da fehlt nix.
Im Regierungsentwurf wurde zusätzlich geregelt, Zitat § 65 Abs. 4:
ZitatZeiten eines Leistungsbezugs bis zum 31. Dezember 2022 bleiben bei den Karenzzeiten nach § 12 Absatz 3 Satz 1 und § 22 Absatz 1 Satz 2 unberücksichtigt
In der Begründung steht zu lesen, Zitat:
ZitatDie Vorschrift trifft Übergangsregelungen für die neu geschaffenen Karenzzeiten. Für die beim Inkrafttreten dieses Gesetzes laufenden Fälle wird geregelt, dass Zeiten eines Leistungsbezugs bis zum 31. Dezember 2022 unberücksichtigt bleiben. Damit soll erreicht werden, dass die neue Karenzzeit für das neue Bürgergeld für alle Bürgerinnen und Bürger unabhängig davon gilt, ob vor Inkrafttreten des Bürgergeldes Leistungen nach dem SGB II - möglicherweise pandemiebedingt - bezogen wurden.
Meine Beiträge beinhalten oder ersetzen keine anwaltliche Beratung oder Tätigkeit.
Für eine verbindliche Rechtsberatung und -vertretung suchen Sie bitte einen Anwalt auf.


Yavanna

Ok, bis §65 hatte ich nicht gelesen. Da ist ja Voll-Chaos vorprogrammiert

Ottokar

Wieso Chaos? Es gilt damit doch nur der Status Quo der Pandemie-Sonderregelung zu Vermögen und KdUH weiter.
Meine Beiträge beinhalten oder ersetzen keine anwaltliche Beratung oder Tätigkeit.
Für eine verbindliche Rechtsberatung und -vertretung suchen Sie bitte einen Anwalt auf.


SuuSanne

Sehr gut geschrieben Ottokar, gute Analyse und vor allem vereinfacht gut.
Zitat "und § 22 SGB II (Anerkennung der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung) gelten für alle Leistungsbezieher.
Ausnahme: bei Leistungsbeziehern, bei denen vor dem 31.12.2022 nur noch die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung anerkannt wurden, werden weiterhin nur diese anerkannt."
Die Karenzzeit von 2 Jahren würde auch für Leute gelten, die wohnungslos sind und ab dem 01.01.2023 eine neue Wohnung mieten (Neuer Mietvertrag), vermute ich.

SuuSanne

Zitat von: Ottokar am 20. September 2022, 19:01:58Wieso Chaos? Es gilt damit doch nur der Status Quo der Pandemie-Sonderregelung zu Vermögen und KdUH weiter.

die Pandemie-Sonderregelung gilt nicht für ALLE. oder?
in Hartz IV wird zu Bürgergeld, zu mehr wird's nicht heißt es:

Bedarfe für Unterkunft und Heizung
1. In den ersten zwei Jahren gelten die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung als angemessen ("Karenzzeit"). Diese Karenzzeit gilt ab 01.01.2023 für alle, auch für solche Bestandsfälle, bei denen die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung anerkannt wurden.

Yavanna

Zitat von: Ottokar am 20. September 2022, 19:01:58Wieso Chaos? Es gilt damit doch nur der Status Quo der Pandemie-Sonderregelung zu Vermögen und KdUH weiter.
Nach Ablauf der ersten zwei Jahre...

Ottokar

Zitat von: SuuSanne am 20. September 2022, 19:41:42Die Karenzzeit von 2 Jahren würde auch für Leute gelten, die wohnungslos sind und ab dem 01.01.2023 eine neue Wohnung mieten (Neuer Mietvertrag), vermute ich.
Da vermutest du richtig.

Zitat von: SuuSanne am 20. September 2022, 21:31:04die Pandemie-Sonderregelung gilt nicht für ALLE. oder?
Natürlich gilt die für alle Leistungsbezieher.
Meine Beiträge beinhalten oder ersetzen keine anwaltliche Beratung oder Tätigkeit.
Für eine verbindliche Rechtsberatung und -vertretung suchen Sie bitte einen Anwalt auf.


terrier

-Terriermentalität-
Ironie ist mein Schild

Leeres Portemonnaie

Wo bin ich denn bloß hingekommen, und wie ist das passiert? 😦 🤧

Kampfgeist

Wie werden die Mehrbedarfe bei schwerwiegender Erkrankung beim Bürgergeld geregelt? Bleiben die oder fallen die weg?

Ottokar

Da sind bislang keine Änderungen vorgesehen, d.h. es bleibt wie es ist.
Meine Beiträge beinhalten oder ersetzen keine anwaltliche Beratung oder Tätigkeit.
Für eine verbindliche Rechtsberatung und -vertretung suchen Sie bitte einen Anwalt auf.


Hartzer mit Herz

Zitat von: Ottokar am 20. September 2022, 19:01:58Wieso Chaos? Es gilt damit doch nur der Status Quo der Pandemie-Sonderregelung zu Vermögen und KdUH weiter.

also nur noch einmal, damit ich das richtig verstehe: ich profitiere im Moment von der Corona Sonderreglung, meine Wohnung ist eigentlich zu teuer. Vom 1.1.23 an bekomme ich die Kosten der Unterkunft für weitere 2 Jahre voll bezahlt, ohne wenn und aber? Gilt also doch nicht nur für Neu-Bezieher? Richtig??  :flag:  :flag:  :flag: