Sozialgericht Gotha hält Hartz IV Sanktionen für verfassungswidrig

Begonnen von Diskus, 27. Mai 2015, 15:25:32

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Gast35753

Zitat von: Ottokar am 28. Mai 2015, 17:09:57
... Das ist doch Quatsch. ...

Es ist schon mühselig, in einem spekulierenden Thread von "Quatsch" zu schreiben. Festmachen kann man aber einiges aus dem Gerichtsurteil vom 09.02.2010, speziell auch zu dem Gestaltungsspielraum. Der Begriff kommt dort mehrfach vor und besonders herausstellen möchte ich die Randziffern 125, 133, 137 und 138, in denen der Gestaltungsspielraum auf die fiskalische Angemessenheitsberechnung festgemacht wird.
Der Begriff "Gutschein" findet sich nicht ein einziges Mal in dem Urteil. Hier lesen:
https://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/ls20100209_1bvl000109.html

Und ja, ich weiss dass es zum Beispiel auch Amazongutscheine gibt, die allerdings nicht in die Berechnung des Existenzminimum eingeflossen sind!
Und an Dritte, nämlich private "Hilfsorganisationen" wie Tafeln, kann zwar eine einfältige Sachbearbeitung gern verweisen, allerdings ist mindestens seit dem Urteil von 2010 keine Tafel zur Existenzsicherung verpflichtet, sondern eindeutig und im Wortgebrauch des Urteils der Bund!
Übrigens, in der Tafel, solltest Du es nicht wissen, müssen die Menschen mit BARGELD BEZAHLEN!

MichaK

Zitat von: Gast37075 am 28. Mai 2015, 15:42:36Übrigens finde ich es als ziemlichen Tobak und befremdlich, wenn Du sanktionierte Bedürftige mit verurteilten Straftätern gleichsetzt, deren Strafe weder Hungern, Verhungern, Obdachlosigkeit noch Entzug der Krankenversicherung beinhaltet.

Sorry, dieser Vergleich war wirklich unglücklich gewählt.

Ottokar

Zitat von: Gast35753 am 28. Mai 2015, 17:19:29Es ist schon mühselig, in einem spekulierenden Thread von "Quatsch" zu schreiben.
Du hast bezüglich des konkreten Sachverhaltes, um den es dabei geht, ja nicht spekuliert, sondern postuliert.
Und genau das ist ja der Quatsch dabei.

Zitat von: Gast35753 am 28. Mai 2015, 17:19:29Übrigens, in der Tafel, solltest Du es nicht wissen, müssen die Menschen mit BARGELD BEZAHLEN!
Und was hat das mit dem konkreten Sachverhalt zu tun?
Wenn das JC Sachleistung gewährt, dann wird das JC die Tafel schon mit Bargeld bezahlen und nicht mit Coupons.
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Gast35753

Lieber Ottokar, vielleicht eröffnet ja dann auch die Sachbearbeitung eine Tafel vor Ort. Die gibt es nämlich nicht mal überall. Da  ist dann noch wohlgefälliger "Markt"  :mocking:
:ironie: Alternative wären dann die Neuauflage sogenannter Butterfahrten, durch die Jobcenter, zur nächstgelegenen Tafel ....

MichaK

Hallo Ottokar,

ich halte die Idee Sachleistung statt Geld als Sanktion auch nicht für sehr wahrscheinlich. Und praktikabel wohl auch nicht. Theoretisch schon denkbar, nur wäre das eigentlich keine Kürzung der Leistung.

Gast35753

Übrigens findet sich in dem von mir verlinkten Urteil nicht mal der Begriff "Ersatzleistung", dafür aber zum Beispiel der Begriff "Ersatzteile" für Kfz  :zwinker:

Ottokar

Zitat von: Gast35753 am 28. Mai 2015, 17:37:38
Übrigens findet sich in dem von mir verlinkten Urteil nicht mal der Begriff "Ersatzleistung", dafür aber zum Beispiel der Begriff "Ersatzteile" für Kfz  :zwinker:
Das nennt sich "Gestaltungsspielraum".

Es geht nicht darum, was warscheinlich ist, sondern darum, was möglich und zulässig ist.
Lies dazu doch mal
§ 4 Abs. 1 SGB II
§ 24 Abs. 1 und 2(!) SGB II
§ 29 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 SGB II
§ 31a Abs. 3 SGB II
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MichaK

Zitat von: Gast35753 am 28. Mai 2015, 17:37:38... dafür aber zum Beispiel der Begriff "Ersatzteile" für Kfz  :zwinker:

jetzt mal nicht schludern bitte!
Zitatund Zubehör
steht da.  :mocking:

Gast35753

Und Du bist Dir sicher lieber Ottokar, dass das SGB II dem Grundgesetz gegenüber ein nachrangiges Gesetz die Rechtsprechung des BVerfG rechtsgültig ersetzen kann? Und vorallem auch das Grundgesetz?
Hier gibt es etwas über die Normenlehre und Kollisionsregeln:
http://www.helge-sodan.de/materialien/kluckert_index.html

Entschuldigung MichaK, ich bemühe mich um Besserung.

Orakel

Es ist schon bemerkenswert: Niemand kennt auch nur eine Zeile aus dem Vorlagenbeschluss des Gerichts; einige User meinen aber nicht nur schon zu wissen, wie das BVefG entschieden, sondern wie auch die Entscheidung des BVerfG umgesetzt werden könnte; nicht zuletzt, weil ihnen verfahrensrechtliche Grundlagen völlig unbekannt sind.

Einfach mal die Beiträge von @Ottokar in aller Ruhe lesen. Das Ergebnis aller Überlegungen kann zum gegenwärtig Zeitpunkt nämlich nur lauten: abwarten und Tee trinken ...

Übrigens ist es durchaus auch hilfreich, sich mit der Rechtsprechung zu § 25 BSHG auseinanderzusetzen, auf die bislang immer noch zurückgegriffen wird ... Sooooo einfach ist die Entscheidung nämlich nun auch wieder nicht ...

Gast37075

Zitat von: Ottokar am 28. Mai 2015, 17:09:57

Das ist leider falsch.
Privatpersonen steht das Rechtsmittel der abstrakten Normenkontrollklage beim BVerfG nicht zur Verfügung.
Privatpersonen steht nur das Rechtsmittel der konkreten Normenkontrolle zur Verfügung, dazu muss der Kläger selbst betroffen sein, beim SG klagen und als Grund (u.a.) die Verfassungswidrigkeit der Norm, durch die er in seinen Rechten verletzt wurde, anführen und begründen. Wenn das SG dem folgt, lässt es die Sache mittels Vorlagebeschluss durch das BVerfG prüfen.
Ist mir bekannt.
Glaubt es oder auch nicht, laut Ralph Boes beruht besagte Klage auf dieser Vorlage und ich habe erst einmal keinen Grund, an diesem Umstand zu zweifeln. Was der Richter damit gemacht hat, ist eine andere Frage. Er wird sie schwerlich 1:1 übernommen haben. 

Auszug:

" b)
Keine verfassungskonforme Auslegung des § 31 a Abs. 1 und 2 SGB II

Bei Leistungskürzungen nach § 31a, § 31b, § 32 SGB II [ggf. § 32 streichen!] kommt eine verfassungskonforme Auslegung nicht in Betracht, weil sie contra legem wäre.

Der Wortlaut des § 31a Abs. 1 und 2 SGB II und des § 32 SGB II [ggf. § 32 streichen!] ist eindeutig, entspricht der in der Gesetzesbegründung offengelegten Absicht des Normgebers und lässt keinen Beurteilungsspielraum zu.

Einzige Tatbestandsvoraussetzung für eine Sanktion ist eine Pflichtverletzung nach § 31 SGB II. Der in § 31 Abs. 1 S. 2 SGB II normierte unbestimmte Rechtsbegriff des ,,wichtigen Grundes" kommt nicht als Abwägungskriterium in Betracht, da er nur zur Definition der Pflichtverletzung führt, die anschließende Rechtsfolge sich aber allein nach § 31a SGB II bestimmt. Eine Pflichtverletzung nach § 31 SGB II muss erst festgestellt sein, bevor § 31a Abs. 1 und 2 SGB II zur Anwendung kommt. Im Anwendungsbereich der Sanktionsnorm gibt es somit überhaupt keine Entscheidungsmöglichkeit für die Verwaltung mehr.

Auch ist die Definition des ,,wichtigen Grundes" bereits detailliert von der Rechtsprechung (durch eine Analogie zum SGB III) vorgenommen worden. Als wichtige Gründe gelten alle Umstände des Einzelfalls, die unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Leistungsberechtigten in Abwägung mit etwa entgegenstehenden Belangen der Allgemeinheit das Verhalten des Hilfebedürftigen rechtfertigen.

Vgl. Knickrehm - Kreikebohm, Kommentar zum Sozialrecht, 2. Auflage 2011, Rn. 24; BSG 9.11.2010 – B 4 AS 27/10 R; vgl. auch Mutschler, § 144 SGB III; ABC des wichtigen Grundes bei Winkler in: Gagel, § 144 SGB III-Anhang; ähnlich Valgolio in: Hauck/Noftz SGB II, § 11 Rn. 74; zum SGB III BSG, 12.7.2006 – B 11 a AL 55/05 R.

Die Tatbestände des § 31 SGB II entfallen nur, wenn der erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für sein Verhalten darlegt und nachweist. Wichtige Gründe können z. B. im beruflichen oder persönlichen Bereich des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten liegen. Ein wichtiger Grund muss jedoch objektiv vorliegen,

vgl. BSG NJW 2011, 2073, 2076; Berlit in: ZfSH/SGB 2008, 1 ff., 6; Sonnhoff in juris-PK SGB II, Stand 15.8.2011, § 31 Rn. 104; Valgolio in: Hauck/Noftz, SGB II, Stand 11/2011, § 31 Rn. 167; Knickrehm/Hahn in: Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, Rn 63 ff.

Diese Definition bietet gerade keinen Raum für eine rechtsfolgenbezogene Abwägung derart, dass etwa auch die unverhältnismäßigen Folgen einer Sanktion den Tatbestand entfallen lassen könnten.

Auch auf Rechtsfolgenseite findet sich bei § 31a ff. SGB II kein unbestimmter Rechtsbegriff. Im Unterschied zu § 1a AsylbLG sowie zur früheren Vorschrift des § 25 BSHG findet durch §§ 31a, 32 SGB II keine Absenkung der Leistung auf das ,,nach den Umständen unabweisbar Gebotene" bzw. das ,,zum Lebensunterhalt Unerlässliche" statt, sondern es werden exakte prozentuale Leistungskürzungen (Sanktionsstufen) vorgegeben: um 10 % bzw. 30 %, 60 %, 100 % sowie das völlige Entfallen des ALG-II-Anspruchs inklusive der Kosten für Krankenkasse und für Unterkunft und Heizung.

Auch hinsichtlich der Verhängung einer Sanktion sowie bezüglich der Dauer einer Leistungskürzung ist kein Ermessen der Verwaltung (z. B. durch Einzelfallprüfung oder Härtefallklausel) vorgesehen. § 31a SGB II etabliert sie vielmehr als zwingende Rechtsfolge ohne Ausnahmetatbestände. § 31b Abs. 1 S. 3 SGB II sieht zusätzlich eine starre Dauer des Minderungszeitraums von drei Monaten vor, einzig bei Unter-25-Jährigen kann er auf (wiederum starre) sechs Wochen reduziert werden.

An diese strikten gesetzlichen Vorgaben ist die Verwaltung aufgrund des Vorrangs des Gesetzes und sind auch die überprüfenden Gerichte in jedem Einzelfall gebunden. Eine Möglichkeit, durch eine Einzelfallabwägung eine Sanktion nicht zu verhängen oder diese aufgrund von Verhältnismäßigkeitserwägungen zu reduzieren

(zu dieser Möglichkeit bei Kürzungen des alten § 25 BSHG vgl. BVerwG, V C 109.66 vom 31.1.1968),

ist im SGB II nicht vorgesehen. Ausdrücklich wird durch § 21 b Abs. 2 SGB II auch das Ausweichen auf Leistungen des SGB XII verwehrt.

Eine Auslegung, die dazu führte, dass trotz Einschlägigkeit der §§ 31a ff. SGB II keine verminderten, sondern reguläre Leistungen entrichtet werden könnten (wie sie durch einige Gerichte im Bereich des § 1a AsylbLG erfolgt) wäre daher offensichtlich unzulässig.

Sie wird – soweit ersichtlich – auch weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung vertreten."

Ottokar

Zitat von: Gast35753 am 28. Mai 2015, 17:51:40die Rechtsprechung des BVerfG rechtsgültig ersetzen kann
Es gibt derzeit keine Rechtsprechung des BVerfG zu Saktionen.
Abgesehen davon sind deine Ausführungen vollkommen sinnentleert und haben keinen Bezug mehr zum eigentlichen Thema.
Ich finde es zudem traurig, dass man in Ermangelung von Argumenten sich dann hier im Thema lustig macht und Zoten reißt.

Zitat von: Gast37075 am 28. Mai 2015, 17:58:19Glaubt es oder auch nicht, laut Ralph Boes beruht besagte Klage auf dieser Vorlage
Zitat von: Ottokar am 28. Mai 2015, 17:09:57Möglicherweise hat der Kläger seine Klagebegründung darauf gestützt, das hat aber mit dem eigentlichen Vorlagebeschluss nichts zu tun, den das Gericht selbst ausarbeiten muss.
Meine Beiträge beinhalten oder ersetzen keine anwaltliche Beratung oder Tätigkeit.
Für eine verbindliche Rechtsberatung und -vertretung suchen Sie bitte einen Anwalt auf.


Gast35753

Zitat von: Ottokar am 28. Mai 2015, 18:00:19
Zitat von: Gast35753 am 28. Mai 2015, 17:51:40die Rechtsprechung des BVerfG rechtsgültig ersetzen kann
Es gibt derzeit keine Rechtsprechung des BVerfG zu Saktionen.
Abgesehen davon sind deine Ausführungen vollkommen sinnentleert.

Wenn die Verlinkung und die Benennung einschlägiger Randziffern eines rechtskräftigen BVerfG Urteil, die Verlinkung der allgemein in der Juristerei geltenden Normen- und Kollissionsregeln eines Universitätsprofessor "sinnentlehrt" sind, dann nehme ich dieses so zur Kenntnis und bewerte dieses, ohne mich provozieren zu lassen, für mich selbst. Natürlich gibt es noch keine Entscheidung des BVerfG zu Sanktionen. Da müssen wir eben noch Geduld haben und vielleicht auch hier und da darauf hin arbeiten - und genau darum geht es nämlich im Verfahren mit dem AZ S 15 AS 5157 / 14 aus Gotha, welches hier zum Eingangsbeitrag führte  :bye:
Ich zitiere hier noch von der Webseite von Gegen-Hartz den letzten Absatz zur Meldung und bin damit im vollen Einklang:

Zitat...Aussetzung von Sanktionen beantragen
In Hinblick auf dieses Urteil können Sanktionierte in Widerspruchsverfahren mit Verweis auf das Urteil von Gotha gehen und mindestens eine Aussetzung der Sanktion einfordern, bis das Bundesverfassungsgericht ein entsprechendes Urteil gefällt hat. Dazu muss das Aktenzeichen angegeben werden: S 15 AS 5157 / 14 (sb)...

Übrigens, in dem Beitrag von Gegen-Hartz spielen die Tafeln auch keine Rolle!
http://www.gegen-hartz.de/nachrichtenueberhartziv/gericht-hartz-iv-sanktionen-verfassungswidrig-90016576.php

Gast37075

Zitat von: Ottokar am 28. Mai 2015, 18:00:19
Zitat von: Gast35753 am 28. Mai 2015, 17:51:40die Rechtsprechung des BVerfG rechtsgültig ersetzen kann
Es gibt derzeit keine Rechtsprechung des BVerfG zu Saktionen.
Abgesehen davon sind deine Ausführungen vollkommen sinnentleert und haben keinen Bezug mehr zum eigentlichen Thema.
Ich finde es zudem traurig, dass man in Ermangelung von Argumenten sich dann hier im Thema lustig macht und Zoten reißt.

Zitat von: Gast37075 am 28. Mai 2015, 17:58:19Glaubt es oder auch nicht, laut Ralph Boes beruht besagte Klage auf dieser Vorlage
Zitat von: Ottokar am 28. Mai 2015, 17:09:57Möglicherweise hat der Kläger seine Klagebegründung darauf gestützt, das hat aber mit dem eigentlichen Vorlagebeschluss nichts zu tun, den das Gericht selbst ausarbeiten muss.

Beruhen: sich auf etwas gründen, stützen; seinen Grund, seine Ursache in etwas haben; basieren

MichaK

Zitat von: Orakel am 28. Mai 2015, 17:56:34ist es durchaus auch hilfreich, sich mit der Rechtsprechung zu § 25 BSHG auseinanderzusetzen, auf die bislang immer noch zurückgegriffen wird ... Sooooo einfach ist die Entscheidung nämlich nun auch wieder nicht ...

Hallo,

das wird dem SG schon bewusst gewesen sein.